# taz.de -- Aktivisten in der Türkei angeklagt: Lebenslang für Gezi-Protest
       
       > Sie seien an den Demos im Sommer 2013 beteiligt gewesen – und sollen nun
       > büßen. Unter den Angeklagten: Can Dündar und Osman Kavala.
       
 (IMG) Bild: Protest am Taksim-Platz im Juni 2013
       
       ISTANBUL taz | Lebenslange erschwerte Haft. Das fordert der Istanbuler
       Generalstaatsanwalt für 16 prominente Vertreter der türkischen
       Zivilgesellschaft, die führend an den [1][Gezi-Protesten] im Sommer 2013
       beteiligt gewesen sein sollen. Der im In- und Ausland bekannteste
       Angeklagte ist der Istanbuler Kulturmäzen [2][Osman Kavala], der schon seit
       fast 500 Tagen in Untersuchungshaft sitzt.
       
       Neben Kavala werden die ehemalige Sprecherin der Bürgerinitiative für den
       Erhalt des Gezi-Parks Mücella Yapıcı und der Schauspieler Memet Ali Alabora
       sowie dessen Ehefrau angeklagt. Unter den Angeklagten ist auch der
       Journalist und frühere Cumhuriyet-Chefredakteur [3][Can Dündar], gegen den
       nach Angaben seines Anwalts noch weitere fünf Strafverfahren laufen.
       
       Dündar ist vor mehr als zwei Jahren nach Deutschland geflohen. Auch Ali
       Alabora und seine Frau leben längst nicht mehr in der Türkei, sondern in
       London. Kavala, der ebenfalls international gut vernetzt ist, wurde dagegen
       im Herbst 2017 verhaftet und sitzt seitdem in U-Haft.
       
       Kavala ist der Erbe eines Industrieunternehmens und hat sich beim
       türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan verhasst gemacht, weil er
       zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen finanziell unterstützt hat.
       Erdoğan nennt ihn deshalb „den Soros“ der Türkei, der angeblich im Auftrag
       des Auslands das Land zerstören will.
       
       ## Landesweite Widerstandsbewegung
       
       In der 657 Seiten umfassenden Anklageschrift, die die Staatsanwaltschaft am
       Mittwoch vorlegte, wirft sie Kavala und den anderen Angeklagten vor, sie
       hätten seit 2012 konspirativ die Gezi-Proteste vorbereitet. Diese
       entzündeten sich im Sommer 2013 daran, dass Erdoğan im letzten Park in der
       Istanbuler Innenstadt die Bäume abholzen lassen wollte, um dort ein
       Einkaufszentrum zu bauen.
       
       Als die Polizei hart gegen die Bürgerinitiative und die sie unterstützenden
       Umweltschützer vorging, entwickelte sich in wenigen Wochen aus der lokalen
       Protestaktion eine landesweite Widerstandsbewegung gegen Erdoğans
       autoritären und autokratischen Regierungsstil, der die Türkei mehrere
       Monate in Atem hielt. Die Proteste wurden schließlich blutig
       niedergeschlagen. Die Angeklagten sollen nun stellvertretend für die
       Protestbewegung lebenslänglich ins Gefängnis.
       
       Die lange U-Haft von Kavala hatte schon vor der Anklage auch international
       für Proteste gesorgt. Das von Kavala gegründete Anadolu-Kulturinstitut war
       mehrfach Projektpartner des Goethe-Instituts und der Mercator-Stiftung.
       Auch mit französischen Institutionen hat Kavala vielfach
       zusammengearbeitet.
       
       Die Anklageschrift löste deshalb auch weit über die Türkei hinaus Proteste
       aus. Die Menschenrechtskommissarin des Europarats Dunja Mijatović sagte,
       die Anklage zeige, wie weit sich die Türkei von europäischen
       Menschenrechtsstandards entfernt habe. Auch in Deutschland, Frankreich und
       England kritisierten einzelne Institutionen und Abgeordnete die Anklage
       scharf. Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir sagte, die Anklage
       zeige, dass der Rechtsstaat in der Türkei „nur noch ein Trümmerhaufen“ sei.
       
       Am Donnerstag entscheidet das zuständige Gericht in Istanbul formal, ob es
       die Anklage zulässt. Danach könnte der Prozess beginnen.
       
       21 Feb 2019
       
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       Kavala.