# taz.de -- Tourismusmesse ITB in Berlin: Dauerbeschallung gegen Obdachlose
       
       > Die Messe Berlin hat in einer Unterführung Lautsprecher angebracht, die
       > Obdachlosen den Schlaf rauben – damit Messebesucher*innen sich
       > wohlfühlen.
       
 (IMG) Bild: Diese Unterführung in Berlin wurde zur ITB dauerbeschallt – und vielleicht auch bald dauerhaft?
       
       BERLIN taz | In einer orange gekachelten Unterführung in
       Berlin-Charlottenburg liegt ein Mann auf seiner Isomatte und ist hellwach.
       Aus den Boxen an der ihm gegenüberliegenden Wand dröhnen epische Klänge in
       Dauerschleife. Drei immer gleiche Akkorde. Dick eingepackt mit Wollpulli
       und Schlafsack versucht er zu schlafen. Auch wenn es für Anfang März zu
       warm ist – die Nächte sind kalt. Julius, so stellt er sich vor, ist mit
       einem Freund vor der Kälte und dem Wind geflohen. Geschlafen hat er aber
       laut eigener Aussage nur eine halbe Stunde. Die Beschallung habe es
       unmöglich gemacht. Sie liefe schon die ganze Nacht.
       
       Die beiden liegen in einer Unterführung, die den S-Bahnhof, den Zentralen
       Omnibusbahnhof und die Messe Berlin verbindet. Vom 6. bis 10. März fand
       dort die Internationale Tourismus-Börse (ITB) statt. 160.000
       Messeteilnehmer*innen kommen zur ITB, der größten Reise-Messe weltweit.
       Fast alle, die vom S-Bahnhof zum Messegelände wollen, müssen hier
       mindestens einmal durch.
       
       Die meisten von ihnen werden nichts von den sich bedrohlich aufbauenden
       Klängen mitbekommen. Von 8 Uhr morgens bis zum Abend kommt aus den Boxen
       nur Vogelgezwitscher. Da Malaysia das Gastland der ITB ist, begleiten
       malaysische Urwaldgeräusche die Besucher*innen auf ihrem Weg in Richtung
       des Messegeländes. Am Abend, wenn sie wieder weg sind, setzen die drei
       Akkorde in Dauerschleife ein. Neben Julius bestätigen auch andere
       Obdachlose, die in der Unterführung übernachten, dass die Klänge seit
       Messe-Beginn die ganze Nacht laufen.
       
       Die Messe Berlin will durch die Beschallung die „Empfangs- und
       Aufenthaltsqualität für Passanten und Mitarbeiter verbessern“, antwortet
       Pressesprecher Emanuel Höger auf eine schriftliche Anfrage der taz. Durch
       das Pilotprojekt soll der „Angstraum Passerelle (Anm. d. Red.: die
       Unterführung) angenehmer gestaltet werden“. Auch wenn die Unterführung
       offiziell nicht zum Messegelände gehöre, hinterließe sie bei vielen
       Besucher*innen einen schlechten Eindruck, sagt Höger. Das passe nicht zum
       Selbstverständnis der Messe als „gutem Gastgeber“.
       
       ## Die Lautsprecher zeigen Wirkung
       
       Die Unterführung riecht nach Urin, die Rolltreppen sind meistens kaputt und
       abends trauen sich viele Menschen nicht allein hinunter. Doch muss das
       Problem durch musikalische Dauerbeschallung gelöst werden, die das Schlafen
       unmöglich macht? Was passiert mit den Obdachlosen, die dadurch einen neuen
       Schlafplatz suchen müssen? Da das Lautsprecher-Projekt noch in der
       Pilotphase sei, seien die Obdachlosen noch nicht über die Beschallung oder
       alternative Unterkünfte informiert worden, rechtfertigt Emanuel Höger.
       
       Doch wie mit der Unterführung umgegangen wird, wirft eine grundsätzliche
       Frage auf: Wie geht Berlin, die Gesellschaft, mit Obdachlosigkeit und der
       Sichtbarkeit von Armut um? 2018 waren Pläne der Deutschen Bahn bekannt
       geworden, den Berliner S-Bahnhof Hermannstraße [1][mit atonaler Musik zu
       beschallen], um Obdachlose zu vertreiben. Nach heftiger Kritik wurde das
       Vorhaben [2][nicht umgesetzt]. In Leipzig hat die musikalische
       Dauerbeschallung mit klassischer Musik 2017 bettelnde Menschen von den
       Eingängen des Hauptbahnhofs vertrieben.
       
       Gleiches könnte in der orange gekachelten Unterführung zwischen Messe, ZOB
       und S-Bahnhof Messe Nord/ICC auch passieren. Das Pilotprojekt soll nämlich
       auch nach der ITB weitergehen. Laut Messe-Berlin-Pressesprecher Emanuel
       Höger soll die Unterführung rund um die Uhr beschallt werden.
       
       Julius und sein Freund kriegen das dann vielleicht gar nicht mehr mit. Sie
       sitzen mit müden Augen auf ihren Isomatten und wissen nicht, wie lange sie
       hier noch übernachten wollen. Die Lautsprecher zeigen Wirkung.
       
       10 Mar 2019
       
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 (DIR) Vincent Bruckmann
       
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