# taz.de -- Bestattungskultur in Deutschland: Wie wir sterben wollen
       
       > Sarg, Urne oder Edelstein – mittlerweile gibt es viele Möglichkeiten der
       > Bestattung, doch nicht alle sind in Deutschland legal. Muss sich das
       > ändern?
       
 (IMG) Bild: Sieht man nicht mehr, ist aber drin: menschliche Überreste im Edelstein
       
       TELTOW/BERLIN/KIRCHHAM BEI VORCHDORF taz | Es ist ruhig auf dem kleinen
       Friedhof im brandenburgischen Teltow. Rings um das Grundstück ist ein
       Mäuerchen gezogen, so niedrig, dass der Blick von außen über das Gelände
       wandern kann. Zu sehen sind Grabsteine, davor Tannenzweige, um die Beete
       vor Frost zu schützen. Zwischen den Gräbern liegen Rasenflächen –
       Leerstellen, die auf die nächsten Toten zu warten scheinen.
       
       Der Friedhof sieht aus, als wäre er schon immer da, tatsächlich gibt es ihn
       seit 1805. Nicht wirklich seit immer also, aber lange genug im Verhältnis
       zu einem Menschenleben. Etwa 40 evangelische Bestattungen finden jährlich
       hier statt. Hinzu kamen letztes Jahr rund 150 weitere Beisetzungen, weil
       der Friedhof kirchlich und kommunal zugleich betrieben wird. Dass sich in
       Deutschland immer mehr Menschen für Feuerbestattungen entscheiden, führt in
       Teltow aber zu finanziellen Problemen. Wie viele andere Friedhöfe im Land
       hat auch dieser sogenannte Überhangflächen, die nicht mehr als Grabstellen
       verpachtet werden, aber weiter gepflegt werden müssen.
       
       Wo früher ein Sarg beigesetzt wurde, werden heute bis zu 13 Urnen begraben.
       Für die Hinterbliebenen sind Beisetzungen auf der „grünen Wiese“ günstiger,
       doch im Bestattungswesen bedroht diese Entwicklung ganze Berufsstände:
       Steinmetze verdienen nichts, wenn Verstorbene ohne Grabstein beigesetzt
       werden. Florist*innen bleiben ohne großen Auftrag, wenn kein Sarg dekoriert
       werden muss. Gestorben wird zwar immer – aber Deutschlands Friedhöfe
       stecken trotzdem in der Krise.
       
       Ute Zander, geboren 1963 in Berlin-Wilmersdorf, läuft in flachen
       Lederstiefeln zielsicher auf die Friedhofskapelle zu. Ihr silbernes Haar
       ist kurz und bürstig, sie trägt eine kleine Brille und eine petrolfarbene
       Daunenjacke. Zander spricht so bestimmt, wie sie geht, und wenn sie
       nachdenkt, schweigt sie länger. Seit drei Jahren arbeitet sie in der
       Friedhofsverwaltung. Ihr Schreibtisch steht in einem kleinen Häuschen aus
       gelblichen Backsteinen, direkt am Eingangstor des Friedhofs.
       
       ## Nicht nur ein Ort der Trauer
       
       Draußen an der Wand hängt ein Blechschild mit der Überschrift
       „Friedhofsordnung“. Die Zeilen darunter sind verblasst. „Klar, haben wir
       einen Verhaltenskodex, weil das hier etwas Besonderes ist“, sagt Zander.
       Ein Friedhof sei nicht das Gleiche wie ein Stadtpark. Zwischen den Gräbern
       sei kein Ort zum Joggen oder Picknicken. Aber: „Wir wollen nicht nur ein
       Ort der Trauer sein, sondern auch ein Ort der Begegnung.“ Mit einem Lächeln
       erzählt Zander, dass sich zwischen den Gräbern auch schon eine neue Ehe
       ergeben habe, zwischen zwei Menschen, deren Partner*innen hier beerdigt
       worden sind.
       
       Zander ist bemüht um gute Geschichten. Weil der [1][Friedhof an seinem
       Image arbeitet], finden hier nun immer wieder Kunst- und
       Kulturveranstaltungen statt, gerade gibt es eine Ausstellung von
       Schüler*innen zum Thema Frieden in der kleineren Holzkapelle. „Anfang 2000
       merkten wir, dass wir neuen Input brauchten“, erinnert sich Zander. Damals
       habe sich der Trend zur Urne für den Friedhof bemerkbar gemacht, außerdem
       fehlte der Nachwuchs in der Friedhofsverwaltung und der Kirchengemeinde.
       
       Nur noch wenige Menschen binden sich heutzutage an einen einzigen Ort.
       Viele schlagen ihre Wurzeln hier und da – manche, weil sie es können,
       andere, weil sie es müssen. Sesshaftigkeit passt nicht zur globalisierten
       Gesellschaft. Sie gehört für viele Menschen nicht mehr zwingend zum Leben
       und deshalb auch nicht mehr zum Tod. So flexibel, wie wir wohnen, arbeiten
       und reisen, wollen viele auch bei der Wahl ihrer Bestattung sein – lieber
       als Asche verstreut im Meer oder in der Luft, als eingesperrt in einer
       Holzkiste unter der Erde. Das deutsche Bestattungsrecht erlaubt allerdings
       bislang kaum Alternativen zum Begräbnis auf einem Friedhof.
       
       ## Wie eine Großraumdisko
       
       Zander öffnet die Tür zur großen Kapelle, die gerade saniert worden ist.
       Drinnen ist es warm, es gibt keinen Altar und keine Kanzel, dafür glitzert
       ein großes Kreuz aus vielen bunten Mosaiksteinchen an der Wand. Die
       Ausstattung wirkt modern und bescheiden. „Wir machen hier seit einer Weile
       ein paar Dinge anders, und das kommt an“, sagt Zander. Sie holt ihr
       Smartphone aus der Jackentasche und zeigt Fotos vom letzten Gottesdienst an
       Heiligabend. Darauf leuchtet die Kapelle in bunten Farben: violett und
       blau, wie eine Großraumdisko. „Richtig voll waren wir da“, sagt Zander
       stolz.
       
       Auch die Friedhofsflächen haben sich verändert. Wege zwischen den
       Grabstellen wurden neu angelegt. Sie sind nun nicht mehr gerade, sondern
       winden sich in Kurven über das Gelände – „das regt zum Schlendern an“.
       Außerdem wollen Kirche und Verwaltung ein Projekt anstoßen, bei dem
       Schüler*innen auf dem Friedhof etwas über Flora und Fauna lernen sollen.
       Und bereits jetzt gibt es sogenannte Taizé-Andachten, deren Gesang, laut
       Zander, „besonders für junge Leute“ interessant sei.
       
       Wenn man nach dem Tod sucht, dann ist er plötzlich überall. In Deutschland
       sterben jedes Jahr etwa 900.000 Menschen – mehr, als geboren werden.
       Trotzdem ist das Ende des Lebens oft ein Tabuthema. Warum auch ans Sterben
       denken, wenn wir den Moment genießen können? Der Schriftzug „Carpe diem“
       ziert nicht grundlos zahlreiche Körperteile und Raufasertapeten. Das Wissen
       um den Tod macht das Leben nur noch lebenswerter. Und was ohnehin
       unausweichlich ist, soll nicht auch noch unsere Gedanken bestimmen.
       
       ## Über den Tod reden
       
       Ute Zander findet dennoch, dass wir uns mehr mit dem Ende des Lebens
       auseinandersetzen sollten. „Die Menschen müssen begreifen, dass wir in
       einem Kreislauf leben“, sagt sie nach einer kurzen Denkpause. „Man stirbt
       ja nicht gleich, nur weil man über den Tod redet.“ Auch Zander will nicht
       unbedingt in einem Sarg unter die Erde, eine Feuerbestattung und ein
       Begräbnis auf der grünen Wiese ohne eigenen Grabstein kann sie sich
       vorstellen. Doch bei der Planung der eigenen Bestattung sollten auch
       Angehörige mit einbezogen werden, sagt sie. Oft unterschieden sich die
       eigenen Bedürfnisse von denen der Angehörigen. Manch einem sei ein
       erkennbares Grab nicht wichtig, Kinder oder Partner wünschten sich aber
       einen konkreten Ort zum Trauern – das müsste rechtzeitig besprochen werden.
       
       Doch nicht alle Wünsche lassen sich auch umsetzen: Seit 1934 gilt in den
       meisten Bundesländern ein Friedhofszwang. Aber langsam verändert sich
       etwas: Als erstes deutsches Bundesland hat Bremen 2015 die Regelung
       gelockert und erlaubt in Ausnahmefällen auch die Beisetzung von Asche im
       privaten Garten. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es seit April vergangenen
       Jahres eine Expertenkommission, besetzt mit Vertretern von Kirchen,
       muslimischen und jüdischen Gemeinden, Bestatterverbänden, der
       Rechtsmedizin, dem Verbraucherschutz und der Politik. Sie soll über ein
       neues, liberaleres Bestattungsgesetz beraten.
       
       Zander findet es wichtig, dass die Menschen bei Bestattungen frei im
       Gedenken und bei den eigenen Wünschen sind. Aber sie gibt auch zu, dass sie
       an der Friedhofspflicht hängt, „weil die natürlich unseren Beruf sichert“.
       Sorgen wegen alternativer Bestattungsmöglichkeiten macht sie sich aber
       nicht. Sie glaubt daran, dass ihr Friedhof etwas zu bieten hat, was anderen
       fehlt. „Wir sagen hier gern: Die Menschen müssen merken, dass wir da sind.
       Wie ein Geländer – wenn ich es brauche, dann kann ich es anfassen, und wenn
       nicht, lasse ich eben los.“
       
       ## Bestatten zu Discounterpreisen
       
       „Manchmal ist der Tod nicht schön. Manchmal ist er sogar ziemlich
       hässlich“, sagt Thomas Sauer, während er mit seinem Kollegen Martin Heydel
       über die Berliner Stadtautobahn fährt. Die Männer haben die Fenster einen
       Spalt geöffnet, es zieht, es ist kalt – aber sie frieren lieber, als dass
       sie den Geruch ihres stillen Mitfahrers aushalten. Hinten im schwarzen
       Transporter liegt die Leiche eines Mannes, den Sauer und Heydel aus einer
       Berliner Wohnung abgeholt haben. „Ein Kripofall“, also kein natürlicher
       Tod. „Der lag da schon eine ganze Weile und hat angefangen zu gammeln“,
       erzählt Heydel und nimmt einen Schluck aus seinem Coffee-to-go-Becher.
       Jetzt bringen sie den Toten ins Krematorium. „Den will ich hier so schnell
       raus haben wie möglich“, grummelt Sauer und zieht seinen Hemdkragen höher
       in Richtung Kinn.
       
       Für Sauer und Heydel ist der Tod ein Job. Sie sind beide Mitte 40 und
       fahren seit drei Jahren für den Berliner Billigbestatter Berolina
       Sargdiscount. Sauer war früher Maler und Lackierer, dann hat er eine
       Umschulung zum Bestatter gemacht. Heydel hat erst Kfz-Mechaniker gelernt,
       später Einzelhandelskaufmann, irgendwann ließ auch er sich zum Bestatter
       ausbilden. „Ich habe Spaß an meiner Arbeit, auch wenn das vielleicht
       komisch klingt“, sagt er. Dann korrigiert er, Spaß sei nicht das richtige
       Wort, nein, er mache seinen Job einfach gern. Außerdem zahlt Berolina im
       Vergleich zu anderen Bestattungsunternehmen nicht schlecht. Das liegt auch
       an der Auftragssicherheit, die das Unternehmen zumindest ein Jahr lang hat,
       wenn es sich um die amtlichen Bestattungen und die sogenannten Kripofälle,
       also die unnatürlichen Tode, in Berlin kümmern kann. Auftraggeberin ist die
       Stadt, der Auftragnehmer verwaltet jeweils ein Jahr lang Berlins Mordfälle.
       Und die ärmsten Toten.
       
       Billigbestatter sind in Deutschland bisher vor allem ein Berliner Phänomen.
       „Der Billigbestatter“ oder „Abschied24“ heißen nur ein paar der Webseiten,
       die hier günstig ihre Dienste anbieten. Die Mitarbeiter von Berolina
       Sargdiscount fahren mehrmals wöchentlich einen Transporter mit Leichen nach
       Vysočany in Tschechien. Dort wird günstiger kremiert und bestattet – eine
       Option, die Hinterbliebene auf der Website von Sargdiscount unter dem
       Angebot „Web-Bestattung“ wählen können. Das Paket ist ab 479 Euro zu haben,
       und es verkauft sich laut Angaben der Firma gut. Und sollte jemand doch
       günstiger bestatten, dann unterbietet Sargdiscount das Angebot um 30 Euro.
       Eine Tiefstpreisgarantie wie im Elekronikmarkt.
       
       Mit einem [2][Mausklick unter die Erde], das ist ein Angebot, dass in einer
       digitalen Servicegesellschaft durchaus Sinn zu ergeben scheint. Auch
       deshalb, weil moderne Großstädte anders funktionieren als ein Dorf: Wir
       leben am konkreten Ort anonymer, kennen unsere Nachbarn seltener, und
       unsere Beziehungsgeflechte reichen über größere Entfernungen. Wir
       kommunizieren und organisieren über das Internet, bestellen Kleidung, Essen
       und Sex online. [3][Warum also nicht auch eine Bestattung]?
       
       ## Armut endet nicht mit dem Tod
       
       Discountbestattungen haben in der Branche einen schlechten Ruf. Vollkommen
       zu Unrecht, findet Firmengründer Hartmut Woite, der seit über 25 Jahren
       Billigbestattungen anbietet: Es müsse eben auch Angebote für die geben, die
       nie etwas mit den Verstorbenen zu tun hatten, sie nun aber bestatten müssen
       – oder für die, die sich eben nicht mehr leisten können. Denn anders als
       ein Erbe lässt sich die Bestattungspflicht nicht ausschlagen.
       
       Eine einfache Beerdigung kostet in Deutschland im Durchschnitt 7.000 Euro –
       und das ohne die Kosten für die spätere Grabpflege. Früher unterstützten
       gesetzliche Krankenkassen Angehörige noch mit dem sogenannten Sterbegeld,
       doch die Leistung wurde 2003 abgeschafft. Doch Armut endet nicht mit dem
       Tod: Wenn das Geld für die Bestattung fehlt, kann zwar beim Sozialamt ein
       Antrag auf Sozialbestattung gestellt werden. Das bedeutet jedoch das
       Basispaket. Wer arm stirbt, wird häufig eingeäschert, manchmal in
       günstigeren Krematorien im europäischen Ausland. Eine Feier zur Beisetzung
       oder eine Abschiedsnahme gibt es dann oft nicht. Und auch keinen Ort zum
       Trauern, weil die Sozialbestattungen auf irgendeiner grünen Wiese landen.
       
       Der schwarze Mercedes fährt jetzt das Krematorium Ruhleben an. Man kennt
       sich, man grüßt sich, man steht zur Zigarettenpause auf dem Parkplatz in
       der Spätwintersonne. Sauer und Heydel ziehen mit routinierten Handgriffen
       die Trage aus dem Auto. Dann rollen sie den Toten durch einen langen Gang.
       Die Decke ist niedrig, das Licht warm. In Kühlraum 3 ist es dann wieder so
       kalt wie draußen, um die 6 Grad. Aber die Kälte ist anders, sie bewegt sich
       nicht, sondern steht still und ausdauernd. Hier sieht es nicht aus wie in
       Filmen und Serien. Keine übergroßen Metallschubladen, aus denen
       Patholog*innen nackte, bläuliche Körper ziehen. Dafür metallene Regale mit
       Flüssigkeiten in Plastikkanistern und zahlreiche hochkant aufgestellte
       Särge aus dünnem, unbehandeltem Kiefernholz. Manche liegen schon
       geschlossen im Raum und warten auf das Feuer.
       
       Sauer und Heydel fischen blaue Einweghandschuhe aus einer Pappbox, dann
       öffnen sie den grauen Bodybag. Der Geruch ist schneidend. Ein weißer
       Plastiküberzug mit Reißverschluss kommt zum Vorschein. Darin heben sie den
       leblosen Körper von der Trage in den Sarg. „Die Tasche müssen wir offen
       lassen, sonst schimmelt der noch mehr“, sagt Heydel.
       
       ## Schnell und effizient
       
       Dann öffnen die Männer den Reißverschluss. Was zum Vorschein kommt,
       erinnert kaum noch an einen Menschen. Der Körper abgemagert, ausgetrocknet,
       die Farbe der Haut irgendwo zwischen Kastanienrot und Jägergrün, Verwesung
       weit fortgeschritten. Die Bewegungen der Bestatter sind schnell und
       präzise, nur wenige Sekunden ist der Leichnam zu sehen, dann legen sie den
       Holzdeckel auf den Sarg. Den sogenannten Fußzettel haben sie vorher schon
       im Auto ausgefüllt, mit Namen, Geburts- und Sterbedatum. Heydel reißt eine
       Hälfe des Papiers ab und tackert es an das Fußende, die andere Hälfte wirft
       er an der gleichen Stelle in den Sarg hinein.
       
       Dann ein Anruf, es geht um eine Heimabholung. Die Männer verabschieden
       sich von den Kolleg*innen im Krematorium und fahren zu einem Pflegeheim in
       Berlin-Spandau. Bestatten ist kein Nine-to-five-Job. Sieben Fahrer sind
       insgesamt für Berolina im Einsatz, Sauer und Heydel haben im Schnitt 24
       Abholungen pro Woche – und das allein während des Bereitschaftsdienstes ab
       15 Uhr. Vorher, zur regulären Arbeitszeit, können pro Tag drei bis fünf
       weitere Sterbefälle dazukommen. Jetzt, im Pflegeheim, sind die Männer bei
       Nummer drei.
       
       Sie schieben einen Sarg durch die Eingangstür, vorbei an Senior*innen, die
       gerade ihre Gymnastikübungen machen. Im zweiten Stock sollen sie den Toten
       abholen. Dort angekommen empfängt sie eine Pflegerin, routiniert, der Tod
       ist hier ein regelmäßiger Besucher. Die Bestatter müssen kurz warten, es
       folgt etwas Papierkram, ein, zwei Unterschriften. In ein paar Metern
       Entfernung starrt eine Frau auf den noch leeren Sarg und ruft um Hilfe. Der
       Tote, den Sauer und Heydel abholen sollen, liegt im Zimmer direkt
       gegenüber. Die beiden Männer tragen jetzt Mundschutz, denn der Verstorbene
       trägt [4][MRSA in sich, multiresistente Erreger], die hochansteckend sind.
       Auch bei der Abholung sind die Bestatter effizient. Nach weniger als 10
       Minuten heben sie den Sarg in den Transporter und fahren zurück zum
       Krematorium.
       
       ## Es geht darum, was der Kunde will
       
       Berolina Sargdiscount muss sich immer wieder gegen Vorwürfe von anderen
       Bestattern verteidigen. Hartmut Woite drücke die Preise, und die
       Billigbestattungsvariante sei pietätlos. Woite erzählt, Kollegen würden
       versuchen, ihm Fehler anzuhängen. „Bei 5.000 Überführungen im Jahr geht
       natürlich auch mal was schief“, sagt Woite, „aber es wird viel überführt,
       weil die Angehörigen im Ausland mehr Spielraum haben.“ Mit Spielraum meint
       der 75-Jährige den Preis, aber auch Angebote wie die Nachthimmelbestattung
       in Tschechien, bei der menschliche Asche in eine Rakete umgefüllt und dann
       in mindestens 300 Metern Höhe mit einem lauten Knall in der Luft verteilt
       wird.
       
       „Es geht nicht um Pietät, es geht ums Geschäft – aber das gilt für die
       gesamte Branche und nicht spezifisch für unser Angebot“, sagt Woite.
       Gleichzeitig gehe es aber eben auch darum, was der Kunde will. Und es liege
       ja nicht in seiner Macht, fügt er hinzu, was die Hinterbliebenen mit der
       Urne täten, wenn sie diese nach der Kremierung in Vysočany für die
       Beerdigung zurück nach Deutschland bringen würden. Er schmunzelt.
       
       Hartmut Woite weiß, dass er sich auf einem schmalen Grat zwischen Legalität
       und Illegalität bewegt. Man merkt ihm an, dass es dabei um mehr geht als
       ums Geld. Es geht um die letzten Wünsche seiner Kund*innen, die nicht immer
       mit dem deutschen Gesetz kompatibel sind.
       
       ## Asche zu Stein
       
       Maja Werfing* liegt in einer Kiste. Oder besser gesagt das, was von ihrem
       Körper nach der Einäscherung noch übrig ist. Knochengranulat, weiße Asche
       in einer mattschwarzen Urne in Standardausführung, oben auf dem Deckel
       klebt eine handschriftliche Notiz mit Namen, Geburtstag und Sterbedatum.
       Werfing ist jetzt „biogenes Material“, wie sie bei der Firma Mevisto im
       oberösterreichischen Kirchham sagen. Auch auf einem Zettel in der
       Kunststoffkiste steht ihr Name, der aus Pietätsgründen in diesem Text
       geändert wurde. Außerdem eine Farbbeschreibung, „weiß mit hellblauen
       Schattierungen“, und eine Karatzahl. Ein kleiner, milchiger Plastikzylinder
       liegt neben der Urne, darin glitzert es. Ein Teil von Werfings Überresten
       ist jetzt ein Edelstein. Mit 1,5 Karat und Echtheitszertifikat.
       
       „Die persönlichste Erinnerung der Welt“, lautet das Produktversprechen von
       Mevisto. Maximilian Scherer ist in seinem Element, wenn er von der
       Marketingstrategie der Firma erzählen kann. Der 25-Jährige fährt im
       schwarzen Firmenwagen vor, auf der Motorhaube prangt das Logo des
       Familienunternehmens. „Mevisto, Asche zu Stein“ steht kreisförmig darauf
       geschrieben, in der Mitte reckt sich die Silhouette eines Pudels.
       
       „Das Problem mit unserem Produkt ist, dass wir es den Leuten noch erklären
       müssen“, sagt Scherer während er den Wagen in ein Bilderbuchpanorama
       hineinlenkt. „Blue-Ocean-Market“ nenne man das in Fachkreisen, wenn die
       Werbung für ein Produkt oder Angebot noch relativ teuer ist, weil ein
       etablierter Markt fehlt. Die Auftragslage werde aber stetig besser. Mit
       über 2.000 Bestattern in Deutschland arbeitet Mevisto zusammen.
       
       ## Jüngere werden heller
       
       Die bieten Produkte der Firma als Zusatzleistung an: Ein individueller
       Edelstein, synthetisch hergestellt mit 50 bis 100 Gramm Asche oder 10 Gramm
       Haaren der verstorbenen Person oder des Haustiers. Aus den Grundfarben
       Gelb, Grün und Rot kann man wählen. Welche Farbe am Ende genau herauskommt,
       lässt sich nicht vorhersagen. „Jüngere Leute werden heller“, erzählt
       Scherer beiläufig. Genaueres müsse aber erst noch erforscht werden.
       
       In der günstigsten Ausführung kostet die Edelsteinbestattung bei Mevisto
       1.960 Euro. Ab einer Größe von 2 Karat ist für 2.235 Euro eine anonyme
       Bestattung auf dem firmeneigenen Friedhof inklusive. Dann muss die Urne
       nicht erneut überführt werden, und anstelle einer Grabstelle bekommt man
       eben einen Edelstein. 2.235 Euro, das ist ein vergleichsweise gutes
       Angebot. Und wer es sich leisten kann, bestellt das Luxusprodukt: einen
       ungefassten Zwölfkaräter für 40.000 Euro.
       
       Ein Unternehmen wie Mevisto gibt es in Deutschland nicht – noch nicht.
       Selbst den Transport der sterblichen Überreste vom Krematorium zur
       Grabstelle dürfen Hinterbliebene laut Gesetz nicht persönlich übernehmen.
       Wer sich eine andere Bestattung wünscht, schaut sich deshalb oft im Ausland
       um.
       
       Auch Maximilian Scherer hat schon viel darüber nachgedacht, was mit ihm
       passieren soll, wenn er tot ist. Vielleicht eine Nachthimmelbestattung, das
       wäre ganz schön. Die ist in Österreich, genau wie in Deutschland, noch
       verboten – aber wer weiß wie lange noch. Ein klassisches Begräbnis kommt
       für Scherer jedenfalls nicht infrage, das wäre unökologisch. „Der Mensch
       trägt so viele Schadstoffe in sich, die sickern dann alle in die Böden“,
       sagt er. Auf Bestattermessen in Deutschland liegen umweltfreundliche
       Begräbnismethoden schon seit ein paar Jahren im Trend, besonders
       Baumbestattungen werden immer beliebter. Dabei wird die Asche des
       verstorbenen Menschen in einer kompostierbaren Urne zwischen den Wurzeln
       eines Baums beerdigt. Bio bis ins Grab.
       
       ## Nachhaltig sterben
       
       Im europäischen Ausland sind derweil schon andere Dinge möglich. „Da gibt
       es ja auch diese neue Methode aus Skandinavien“, erzählt Scherer mit einem
       Anflug von Begeisterung in der Stimme. Auf YouTube zeigt er später ein
       Video, das erklärt, wie Verstorbene erst mithilfe von flüssigem Stickstoff
       gefriergetrocknet werden und dann auf einer Art Schüttelplatte zu Puder
       zerfallen. Promession nennt sich das Verfahren, bei dem keine Gifte aus den
       menschlichen Überresten in die Erde gelangen sollen. Nachhaltigkeit
       wenigstens im Tod.
       
       Scherer piepst sich durch die Schranke auf den kleinen Firmenparkplatz.
       Über einem Holzaufbau reckt sich der schneebedeckte Traunstein in den
       Himmel. Im Büro im ersten Stock trotten drei große Pudel über den
       dunkelgrauen Teppich. Daniela Reiter kommt hinzu, sie ist die Tochter des
       Firmengründers und Mitglied der Geschäftsführung. Der Ehering an ihrem
       rechten Ringfinger fasst einen milchig-rosafarbenen Stein. „Da sind Haare
       meines Mannes und ein Teil der Nabelschnur von meinem Sohn verarbeitet
       worden“, erklärt die 32-jährige gelernte Grafikerin, als wäre es das
       Normalste der Welt.
       
       Mevisto beschäftigt 20 Mitarbeitende und ist Tochterfirma des
       Familienunternehmens Innotech, das unten in einer großen Werkhalle
       Absturzsicherungen für Dacharbeiten herstellt. Manchmal kommen Angehörige
       her, um sich vom Prozess des Edelsteinwerdens selbst ein Bild zu machen.
       „Die führen wir dann herum, wenn sie angemeldet sind“, sagt Scherer, „wir
       haben ja nichts zu verbergen. Bei der Diamantbestattung sind in der Regel
       am Ende des Produktionsprozesses keine menschlichen Spuren mehr im
       künstlichen Stein nachzuweisen“, erklärt der an Kritik gewohnte Scherer wie
       aus dem Effeff. „Das liegt daran, dass für die Herstellung eines
       synthetischen Diamanten amorpher Kohlenstoff benötigt wird. Der bleibt aber
       nach einer Kremierung bei mindestens 1.200 Grad nicht in der menschlichen
       Asche zurück.“ Bei den Edelsteinen soll das anders sein, weil die
       verwendeten Rubine und Saphire mit anderen menschlichen Elementen verbunden
       werden könnten. Universitäten und Forschungseinrichtungen haben Gutachten
       erstellt, um nachzuweisen, dass bei Mevisto wirklich Menschliches im
       Edelstein steckt.
       
       ## Ich wär' so gern ein Edelstein
       
       Das Labor liegt in einem kleinen Nebenraum am Ende der Werkhalle. Es ist
       schwer, sich vorzustellen, dass hier menschliche Überreste verarbeitet
       werden. Auf den Tischen stehen verschiedenförmige Glasgefäße mit
       Flüssigkeiten und Granulaten, in einer Ecke surrt der große Ofen zur
       Edelsteinherstellung. Durch die durchsichtigen Wände kann man einen
       Rohling erkennen, milchig und kaum größer als eine Reißzwecke. Über 2000
       Grad sind nötig, um aus den verschiedenen Bestandteilen einen Edelstein
       entstehen zu lassen. Das geht nur mithilfe einer Knallgasreaktion, bei der
       Wasserstoff in reinem Sauerstoff verbrannt wird. 30 Tage dauert der
       Produktionsprozess vom Granulat bis zum Edelstein, wenn dieser nicht
       zusätzlich in ein Schmuckstück gefasst werden soll. Mitten im Raum bilden
       Stellwände ein kleines Viereck, ähnlich wie in Großraumbüros, etwa 12
       Quadratmeter klein. Darin vier Arbeitsplätze für die
       Edelsteinschleifer*innen. Hier entstehen Modelle mit Namen „Royal Crest“,
       „Daydreamer“ oder „Wild Beauty“. Ob sie darüber nachdenkt, dass sie da
       gerade menschliche Biomasse verarbeitet? Nein, meint eine Mitarbeiterin,
       während sie einen rötlichen Dreikaräter mit einer Fingerlupe überprüft. Den
       Gedanken könne sie hier nicht gebrauchen, sie denke bei ihrer Arbeit nur an
       das Produkt.
       
       Ist es okay, einen Gegenstand aus menschlicher Asche zu machen und diesen
       dann zu verkaufen? Unternehmen wie Mevisto wird oft vorgeworfen, sie seien
       nur am Geld interessiert. Darüber kann Reiter nur verächtlich den Kopf
       schütteln. Jede Bestattung sei ein Geschäft mit dem Tod, doch besonders
       Kirchenvertreter*innen würden aber die Moralkeule schwingen. Einmal sei
       ein Pfarrer von der Diözese zu Besuch gewesen. „Es war gut, dass er hier
       war“, sagt Daniela Reiter, „aber viel gebracht hat das am Ende auch nicht,
       dazu sind die Fronten zu verhärtet. Er persönlich fand zwar interessant,
       was wir hier tun. Aber als Vertreter der Kirche behauptet er noch immer,
       unser Produkt sei pietätlos.“
       
       Man ist geneigt, ihr zu glauben, dass hinter der Geschäftsidee mit den
       Edelsteinen mehr steht als Geldmacherei. Besonders, wenn sie davon spricht,
       [5][Eltern, die ein Kind verloren haben], eine individuelle Erinnerung
       ermöglichen zu wollen. „Die können ihr Kind oft nicht so aus den Händen
       geben. Weil sie es weiterhin bei sich tragen und beschützen wollen“, sagt
       Reiter, legt ihre Hände ineinander und führt sie zur Brust. Maximilian
       Scherer setzt nach und erzählt von einen älteren Mann, der seine
       verstorbene Frau als Edelstein an die verschiedensten Orte mitgenommen habe
       – zum Wandern in die Berge oder zum kleinen Sonntagsspaziergang. Diese
       Geschichten gehen nahe, aber so geht auch gelungenes Marketing: Wenn man
       plötzlich etwas will, was man vorher nie vermisst hat. Ein Edelstein sein
       zum Beispiel.
       
       ## Ethik- statt Religionsunterricht
       
       Trotz ihrer professionellen Emotionalität hat Daniela Reiter eine
       pragmatische Einstellung zum Bestatten. Sie findet es absurd, dass die
       ganze Energie, die von Krematorien erzeugt wird, noch nicht ins Stromnetz
       eingespeist werden darf. „Ich wäre froh, wenn ich mit meinem Körper einen
       Teil zum Klimaschutz beitragen könnte“, sagt Reiter und zuckt mit den
       Schultern. Aber so ein progressiver Zugang sei halt nicht gewollt, schiebt
       sie nach und meint damit die Kirche und die regressive Gesetzeslage in
       Deutschland.
       
       Doch das größte Problem, da ist sich Reiter dann doch mit Ute Zander auf
       dem kleinen Friedhof in Teltow einig, sei nach wie vor, dass sich die
       meisten Menschen erst dann mit dem Tod auseinandersetzen, wenn er absehbar
       sei. Reiter denkt, dass es auch weniger Skepsis gegenüber „ihrem Produkt“
       gäbe, wenn wir uns ausgiebiger mit dem Sterben beschäftigen würden. Sie
       wünscht sich Ethik- statt Religionsunterricht in den Schulen, und darin
       möglichst früh eine Beschäftigung mit dem Tod. „Wir sind alle auf diese
       Welt gekommen, und wir müssen auch alle irgendwann wieder gehen“, sagt sie
       und legt eine kleine Karte in Maja Werfings Kiste. Handschriftlich
       personalisiert.
       
       *Anmerkung: Name aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes von der Redaktion
       geändert.
       
       7 Apr 2019
       
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