# taz.de -- Ausstellung über Helena Rubinstein: Schönheit ist Macht
       
       > Eine Frau mit dem Willen zur Selbsterfindung: Das Pariser Musée d’art et
       > d’histoire du judaisme widmet sich Unternehmerin Helena Rubinstein.
       
 (IMG) Bild: „Harte Arbeit hält Falten von Geist und Seele fern“, sagte Helena Rubinstein
       
       Dürfte man aus der Ausstellung „Helena Rubinstein. L’aventure de la
       beauté“, die derzeit im Pariser Musée d’art et d’histoire du judaisme
       läuft, nur eine Anekdote aus dem faszinierenden Leben der Helena
       Rubinstein mitnehmen, es müsste wohl folgende sein: Wir schreiben das Jahr
       1941. Helena Rubinstein, die Gründerin des gleichnamigen Beauty-Imperiums,
       eine der ersten und mächtigsten Selfmadewomen der Welt, ist vor dem Krieg
       in Europa geflüchtet und möchte eine Wohnung auf der Park Avenue in New
       York mieten.
       
       Doch leider trifft sie auch auf dieser Seite des Atlantiks auf Antisemiten:
       An Juden vermiete er nicht, meint der Mann und denkt sicher, damit sei die
       Sache erledigt. Nur hat er da die Rechnung ohne Rubinstein gemacht: „Na
       gut“, antwortet die kleine, fast sechzigjährige Dame, „dann kaufe ich eben
       das gesamte Haus!“
       
       So wie dieses Problem ging Helena Rubinstein ihr Leben an: Mit viel
       Pragmatismus und einem unbeugsamen Willen. Man hat die Geschichte dieser
       Frau, die 1872 als Chaja Rubinstein im jüdischen Viertel von Krakau in eine
       bescheidene Familie geboren wurde und fünfundneunzig Jahre später als eine
       der reichsten Frauen der Welt in New York starb, erstaunlicherweise kaum
       auf dem Schirm. Vielleicht weil es um Beauty geht, vielleicht auch einfach,
       weil man große Frauen der Geschichte bis vor Kurzem gerne in einer
       Hinterkammer vergaß.
       
       Woran auch immer es liegt, es ist ein großes Verdienst dieser Ausstellung,
       es zu schaffen, einem Helena Rubinsteins unglaubliches Schicksal durch
       Fotografien, Werbeplakaten, Puderdosen und Lippenstiften und vor allem auch
       durch die Kunst, die sie sammelte, nahezubringen.
       
       ## Den Blick in die Ferne gerichtet
       
       Alles beginnt, wie gesagt, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in
       Krakau. Chaja, wie Helena damals noch heißt, ist die älteste von acht
       Schwestern und zweifellos die eigensinnigste. Vom Heiraten will sie nichts
       wissen, sie will die Welt entdecken und wird deshalb, nach kurzem
       Intermezzo in Wien, zu ihrem Onkel nach Australien geschickt.
       
       Eine junge Frau, die in den 1890er Jahren ohne Aufsicht mit einem Schiff
       nach Australien fährt, allein das wäre schon eine Sensation. Wäre ihr Wille
       zur Selbsterfindung nicht die viel größere: Statt sich als „Chaja
       Rubinstein, 24“, also mit ihrem richtigen Namen und wahrem Alter für die
       Schiffsfahrt anzumelden, schreibt sie sich als „Helena Juliet Rubinstein,
       20“ in die Passagierliste ein.
       
       Auf einem Foto sieht man sie: Den Blick in die Ferne gerichtet,
       erwartungsvoll, stark. Es wird eines von vielen weiteren Bildern sein, auf
       denen Rubinstein so, als stolze Frau, auf einem Schiffsdeck steht. Denn von
       nun an wird diese kleine, ein Meter siebenundvierzig große Frau keine Ruhe
       mehr geben. Sie wird die Welt erkunden. Und sie vor allem für sich erobern.
       
       Mit einer Idee, die ihr im rauen australischen Hinterland kommt: Die Frauen
       um sie herum, deren Haut von der Sonne und der Arbeit auf den Feldern
       verbrannt ist, bewundern ihren frischen Teint. Also beschließt Helena, die
       Creme, mit der ihre Mutter ihr von klein auf das Gesicht einschmiert und
       von der sie ihr zwölf Töpfe mitgegeben hat, unter der Ladentheke ihres
       Onkels zu verkaufen. Teuer natürlich, sie kommt ja schließlich von weit
       her.
       
       ## Ein Händchen für Marketing
       
       Irgendwann sind die Töpfe leer und Helena ist der Einöde müde: Sie verlässt
       den Onkel, zieht nach Melbourne und verkauft ihrer mittlerweile selbst
       gebraute Wundercreme „Valaze“ auf Märkten, bis sie schließlich ihren ersten
       kleinen Salon eröffnen kann. Er wird ein Hit. Unter anderem auch, weil
       Helena, so schreibt es die Kuratorin der Ausstellung, Michèle Fitoussi, in
       ihrer sehr lesenswerten Rubinstein-Biografie, zum richtigen Zeitpunkt
       kommt: Just im Jahr, in dem „La Maison de Beauté Valaze“ eröffnet, also
       1902, haben die Australierinnen das Wahlrecht erlangt.
       
       Sie genießen eine größere Freiheit, eine fast gleichwertige Stellung in der
       Gesellschaft und haben somit Geld und Selbstbewusstsein, sich eine Freude
       zu machen. Rubinsteins Slogan „Beauty is power“ trifft den Zeitgeist auf
       den Punkt, so wie sie ihn auch später oft treffen wird.
       
       Denn Helena hat ein Händchen. Nicht nur für Gesichter, auch für Marketing.
       Sie hat sehr früh verstanden, dass ein gutes Produkt auch eines guten
       Storytellingsbedarf: Sie wird zeitlebens Geschichten erzählen, ihre
       Kundinnen träumen lassen. Damals von Europa, von der feinen Gesellschaft
       der k. u. k. Monarchie, in der sie zu verkehren behauptet. Später von
       großen Wissenschaftlern und komplexen Zusammensetzungen ihrer Kosmetika,
       wie die vielen Bilder zeigen, auf denen sie sich in weißem Kittel mit
       Pipette in der Hand in Laboratorien stehend präsentiert.
       
       Beides wird funktionieren: Als sie 1905, nach nicht einmal zehn Jahren,
       nach Europa zurückkehrt, ist sie eine reiche Frau. Und wird in den
       Folgejahren noch reicher werden. Denn als gewiefte Geschäftsfrau weiß sie
       schon damals, dass man global handeln muss, und expandiert: Nach Sydney,
       nach Neuseeland, sogar nach London, wo sie den Snobismus der Ladies
       bezwingt. Und schließlich, 1909, nach Paris.
       
       ## Schöner als die Roben ist ein Brief
       
       Dort findet sie in Misia Sert, der bedeutendsten Salonkönigin der Belle
       Époque, die in der Ausstellung des Musée d’art et d’histoire du judaisme
       durch eines sehr schönes, gelb leuchtendes Tableau von Édouard Vuillard
       anwesend ist, eine Freundin. Die ihr wiederum all ihre Freundinnen in ihren
       Salon am Faubourg Saint-Honoré schickt: Die Comtesse de Greffhule, die
       Proust als „Herzogin von Guermantes“ in seiner „Suche nach der verlorenen
       Zeit“ verewigte, die Prinzessin von Polignac, die Schauspielerin Marguerite
       Moreno, selbst Colette, die Schriftstellerin, deren Faible für
       Beauty-Salons so groß war, dass sie irgendwann selbst einen eröffnete,
       gehören zu ihren Kundinnen.
       
       Helena Rubinstein wird ein Pfeiler des Paris der Jahrhundertwende: In ihrem
       prachtvollen Haus, das man in der Schau in schwarz-weißen
       Video-Ausschnitten besucht, gehen Schriftsteller und Künstler ein und aus.
       Hemingway, Joyce, Man Ray, Marc Chagall werden Freunde, Raoul Dufy,
       Salvador Dalí, Marie Laurencin und viele weitere malen ihr Porträt. Zu
       sehen ist ein sehr schönes Porträt, fotografiert von Dora Maar, sowie eines
       von Cecil Beaton.
       
       Ansonsten liegt der Fokus der Ausstellung mehr auf der Kunst, die
       Rubinstein selbst sammelte, als wolle man nochmal unterstreichen, dass „la
       beauté“ für „Madame“ das Wichtigste im Leben war: Es sind vor allem
       Skulpturen, Masken, sogenannte „primitive“ Kunst, die es ihr angetan
       hatten. Ihre Sammlung gehörte zu ihrer Zeit zu einer der bedeutendsten der
       Welt und soll Ende des Jahres in größerem Umfang im Pariser Musée du Quai
       Branly gezeigt werden.
       
       Hier, im Jüdischen Museum, bekommt man ein Aperçu, einen kleinen Einblick
       in ihren Geschmack. Auch ihren modischen: Da posieren drei Kleider, von
       Paul Poiret, ihrer Freundin Coco Chanel und [1][Yves Saint Laurent] in
       einer Ecke. Schöner als die Roben, die so unbelebt immer wenig hergeben,
       ist aber ein Brief von Rubinstein an den noch jungen Saint Laurent.
       
       Er stammt aus dem Sommer 1964, das Haus Yves Saint Laurent existiert damals
       erst seit vier Jahren, Helena bedankt sich darin für sein neues Parfum „Y“
       und bereut, seine Show zu verpassen. Es werde sicher, wie immer,
       „ravissant“, wunderschön werden, schreibt sie und verspricht, sie sofort
       nach ihrer Rückkehr bewundern zu kommen.
       
       ## Auf rührende Art altmodisch
       
       Kleine Geschichten, feine Zeitdokumente wie diese, findet man in der
       Ausstellung viele. Sie lassen die Vergangenheit, auch die Leichtigkeit
       dieser Epoche kurz aufscheinen, ebenso wie die Werbebilder und Slogans, die
       viel über das Frauenbild ihrer Zeit aussagen. Da erklärt uns etwa eine
       frühe Magazinwerbung, die dreißigjährige Frau müsse fortan nicht mehr
       fürchten, man könne ihr das hohe Alter ansehen, denn Rubinstein und ihre
       Wundercremes seien ja nun da, um all das zu richten. Eine andere, offenbar
       kurz vor Weihnachten geschaltet, fragt: „Können Sie sich als Frau
       irgendetwas vorstellen, das Ihnen mehr Freude bereiten würde, als
       leuchtende, zarte Haut? Wären Sie dafür nicht unendlich dankbar?“ Und so
       weiter.
       
       Wirklich lachen muss man dann vor den Aufnahmen, die Rubinsteins neueste
       Beauty-Behandlungen anpreisen und die, aus heutiger Sicht, mehr nach Folter
       als nach Vergnügen, mehr nach Raumschiffexpedition als nach Spa-Behandlung
       aussehen.
       
       Es ist viel Zeit vergangen, natürlich. Teilweise wirkt, was damals modern
       und fortschrittlich schien, auf rührende Art altmodisch. Helena Rubinstein
       und ihre Geschichte, ihre unglaublichen Kraft, ganz allein ein weltweites
       Imperium aufzubauen, bleibt allerdings, heute wie damals, faszinierend. Es
       wäre sicher übertrieben, sie als überzeugte Feministin darzustellen,
       zumindest aber hat sie das Ideal der Selbstbestimmung konsequent vorgelebt.
       Denn für Rubinstein gab es am Ende kein besseres Schönheitsprodukt als die
       eigene Arbeit, oder wie sie es sagte: „Harte Arbeit hält Falten von Geist
       und Seele fern.“
       
       2 Apr 2019
       
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