# taz.de -- Parlamentswahl in Finnland: Regierungswechsel liegt in der Luft
       
       > Umfragen sehen die Sozialdemokraten vorne. Die rechtspopulistische Partei
       > „Wahre Finnen“ könnte erneut zweitstärkste Partei werden.
       
 (IMG) Bild: Der Chef der Sozialdemokraten, Antii Rinne, bei einem Interview am 9. April in Helsinki
       
       STOCKHOLM taz | Eine andere Regierung, ein neuer Regierungschef und eine
       zunehmend zersplitterte Parteienstruktur zeichnen sich als wahrscheinliches
       Ergebnis der Parlamentswahl ab, die am Sonntag in Finnland stattfindet. Wie
       in vielen anderen europäischen Ländern sind auch hier die Zeiten vorbei, wo
       bei den Wahlen zwei oder drei große Parteien über zwei Drittel des Kuchens
       unter sich aufteilen konnten. In Finnland waren das traditionell die
       Sozialdemokraten, die liberale Zentrums- und die konservative
       Sammlungspartei.
       
       Diesmal wird womöglich keine Partei die 20-Prozent-Marke nehmen können. Das
       wäre das erste Mal, seit vor 112 Jahren das allgemeine Wahlrecht eingeführt
       wurde. Stattdessen drängeln sich laut letzten Umfragen gleich fünf Parteien
       bei Anteilen zwischen 14 und 19 Prozent. Abgeordnete von zehn Parteien
       könnten im neuen Reichstag sitzen.
       
       Die Nase vorn haben dürften nach allen Prognosen die Sozialdemokraten. 2015
       war für sie eine Katastrophenwahl gewesen. Mit 16,5 Prozent waren sie nur
       auf Platz 4 gelandet und verbuchten das schlechteste Resultat ihrer mehr
       als 100-jährigen Geschichte. Man werde sich in der Opposition regenerieren,
       hatte der Parteivorsitzende Antti Rinne damals als Motto ausgegeben.
       
       Das scheint tatsächlich gelungen zu sein und Rinne gilt als
       wahrscheinlichster Kandidat für das Amt des künftigen Regierungschefs.
       Mögliche Partner für eine Mitte-Links-Koalition könnten die Grünen und die
       Linkspartei werden, denen ebenfalls deutlich bessere Ergebnisse als vor
       vier Jahren vorhergesagt werden.
       
       ## Verlust jeder dritten Stimme
       
       Für die bisherige Mitte-rechts Koalition wird es aller Voraussicht nach
       nicht mehr zu einer Mehrheit reichen. Der Zentrumspartei von
       Ministerpräsident Juha Sipilä prophezeien Umfragen einen Absturz auf 14
       Prozent und damit den Verlust jeder dritten WählerInnenstimme. Ihr
       Koalitionspartner, die konservative Sammlungspartei, wird dieses Minus
       nicht ausgleichen können, sondern vermutlich ebenfalls Verluste hinnehmen
       müssen.
       
       Ursache dieses Einbruchs und Hauptgrund für den Aufschwung der
       Sozialdemokraten, Linken und Grünen ist eine weitverbreitete
       Unzufriedenheit mit dem Regierungskurs der vergangenen vier Jahre. Der war
       von Kürzungen bei Sozialleistungen, einer gescheiterten Gesundheitsreform
       und der Privatisierung öffentlicher Aufgaben geprägt.
       
       Eine ganze Reihe von Skandalen und Missständen im Pflegebereich machte den
       FinnInnen noch rechtzeitig vor dem Wahltermin deutlich, welche Folgen es
       hat, die Versorgung alter und kranker Menschen Konzernen zu überlassen, die
       nur an der Maximierung ihrer Profits interessiert sind.
       
       Die Wahlkampagne der Sozialdemokraten, die unter dem Motto „Mitmenschlich,
       gleich und gerecht“ stand, versprach hinsichtlich der bisherigen
       Austeritätspolitik „zu reparieren, was kaputt gemacht wurde“.
       
       ## Große Unterschiede bei Klimapolitik
       
       Begrenzungen gewerkschaftlicher Rechte und ein umstrittenes
       „Aktivierungsprogramm“ für Arbeitslose sollen wieder rückgängig gemacht,
       bessere Bedingungen für berufliche Weiterbildung geschaffen und die
       Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen eingeebnet werden. Anders als
       Grüne und Linke hat man aber keinen neuen Anlauf für ein
       Grundeinkommensmodell im Programm.
       
       Bei der Klimapolitik gibt es zwischen den rechten und linken Parteien die
       größten Unterschiede. Während das Zentrum die Wirtschaft nicht zu sehr
       belasten will und ein „CO2-neutrales“ Finnland nicht vor 2045 sieht, wollen
       Linke und Grüne das schon in weniger als der Hälfte dieser Zeit, bis 2030
       erreichen. Die Sozialdemokraten wollen sich fünf Jahre länger Zeit lassen.
       
       Dazu soll die Verbrennung von Biomasse zur Stromproduktion eingeschränkt
       und die von Kohle und Torf möglichst bald ganz beendet werden. Entweder
       über eine Änderung im Mehrwertsteuersystem oder eine neue „Fleischsteuer“,
       soll der Fleischkonsum deutlich teurer gemacht und dadurch vermindert
       werden. In der EU will man sich für Klimazölle stark machen, also Zölle auf
       Importe in die EU, bei deren Herstellung mehr CO2 anfällt als in
       europäischer Produktion.
       
       Und die „Wahren Finnen“? 2014 waren sie mit knapp 18 Prozent zweitstärkste
       Partei geworden und durften mitregieren. Nach einem Wechsel in ihrer
       Parteiführung, bei dem sich die rechtsextreme Fraktion durchsetzte, hatte
       Ministerpräsident Sipilä aber gedroht, diese Regierungszusammenarbeit
       aufkündigen zu wollen.
       
       ## Blaue Zukunft
       
       Daraufhin verließen eine Mehrheit der Abgeordneten der „Wahren Finnen“ und
       alle fünf Kabinettsmitglieder Fraktion und Partei und organisierten sich
       als „Blaue Zukunft“ neu. Mit dieser Formation wurde die Dreier-Koalition
       dann fortgesetzt.
       
       Zukunft scheinen die „Blauen“ aber nicht wirklich zu haben. In Umfragen
       liegen sie abgeschlagen bei weniger als einem Prozent. Da es bei der
       Reichstagswahl keine landesweite Sperrklausel gibt, könnten einzelne ihrer
       KandidatInnen dennoch den Sprung ins Parlament schaffen.
       
       Den neuen „Wahren Finnen“, die ebenso wie die AfD Mitglied der am Montag in
       Mailand gegründeten europäischen Vereinigung rechtspopulistischer Parteien
       ist, werden diesmal rund 16 Prozent und erneut die Position als
       zweitstärkste Partei vorhergesagt. Ihr Vorsitzender Jussi Halla-aho strebt
       eine Regierungsmitarbeit an. Alle anderen Parteien lehnen eine solche aber
       ab. Jedenfalls bis jetzt.
       
       13 Apr 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
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