# taz.de -- Konzert von Jawbreaker in Berlin: Die Klienten sind beglückt
       
       > Die US-Band Jawbreaker löste sich 1996 auf, wird aber bis heute in
       > Punkkreisen fast kultisch verehrt. Jetzt sind sie wieder da und traten in
       > Berlin auf.
       
 (IMG) Bild: Gut in Form: Blake Schwarzenbach
       
       Als Blake Schwarzenbach gegen kurz nach zehn am Samstagabend zur Zugabe auf
       die Bühne des Astra zurückkehrt und die ersten drei Akkorde des Songs „Save
       Your Generation“ anstimmt, da erschließt sich in einer Zeitspanne von
       wenigen Takten, was diese Band da vorne hat, was andere nicht haben.
       
       Jawbreaker heißt die Gruppe, sie war in den frühen Neunzigern in New York,
       L.A. und San Francisco aktiv, löste sich 1996 auf – bis sie im vergangenen
       Jahr überraschend ihre Rückkehr bekanntgab.
       
       Mit Spannung erwartet wurde das Comeback auch deswegen, weil Jawbreaker bis
       heute in Punkkreisen eine fast kultische Verehrung genießt. Und weil das
       Trio eine unglückliche Bandgeschichte hinter sich hat: Ausgerechnet ihr
       herausragendes viertes Album „Dear You“ (1995), das hätte ihr Durchbruch
       sein sollen, floppte damals. Der Grund: Der traditionell konservativen
       Punk-/Hardcore-Klientel war es zu glatt, zu clean, zu poppig. Auch von
       Kritikern wurde es erst viel später gewürdigt.
       
       Aber wie frisch klingen die Songs, die stark in der Post-Grunge-Ära
       verhaftet sind, heute noch? Nun, darüber gibt besagter Song „Save Your
       Generation“ Aufschluss. Sänger und Gitarrist Schwarzenbach, in ein
       schwarzes Muscle-Shirt gehüllt und körperlich in good shape, rockt die paar
       Akkorde runter und legt alles Gewicht in die Verse, die als
       Signature-Zeilen der Band durchgehen können: „If you could save yourself /
       you could save us all / go on living/ prove us wrong (…) Survival never
       goes out of style“.
       
       So gut gealtert wie Schwarzenbach – 51 ist er inzwischen – sind auch Songs
       wie dieser. Und sie zeigen, was Jawbreaker auszeichnet: die starke Zeile,
       der griffige Claim, der Pop-Appeal.
       
       ## Coming-Of-Age und Fremdheitsgefühle
       
       Diese Qualitäten hängen eng mit der Persona Schwarzenbach zusammen. Er ist
       die Seele dieser Band. Und er performt die Songs auch heute noch so, dass
       man ihm jeden einzelnen Vers abnimmt; er singt mit geschlossenen Augen,
       zuweilen tief in das Gitarrenspiel versunken. Manchmal, leider zu selten,
       holt er zu noisig-schrägen Gitarrenparts aus, zieht die Songs damit in die
       Länge.
       
       Fast phlegmatisch wirkt dagegen Bassist Chris Bauermeister, der, in ein
       schniekes Jackett gekleidet, kaum mehr als mit dem Oberkörper auf- und
       abwippt. Dafür knallt sein Bass gut, ist auf den Punkt. Die Rhythmussektion
       Bauermeister/Adam Pfahler (Schlagzeug) sorgt dann auch dafür, dass das
       Jawbreaker-Gerüst hält – vieles klingt so, als hätte die Band es vor 25
       Jahren kaum besser auf die Bühne bringen können. Was zudem an einem Sound
       liegt, den man im Astra schon weitaus schlechter erlebt hat.
       
       Die Stücke funktionieren oft wie kleine Coming-Of-Age-Geschichten; etwa
       wenn Schwarzenbach seine frühen Uni-Erfahrungen und Fremdheitsgefühle
       verarbeitet. Außergewöhnlich sind die zahlreichen literatur- und
       kulturgeschichtlichen Anspielungen in den Songs.
       
       ## Viele Lovesongs
       
       „Emocore“ – ein blöder Genrebegriff – hat man wohl auch deshalb zu dieser
       Musik gesagt, weil die Songs häufig von Kränkungen handeln, von der Liebe
       und deren Abwesenheit. Entsprechend melancholisch sind Stücke wie „Accident
       Prone“, „In Sadding Around“ und „Sluttering (May The 4th)“ gestimmt
       (Funfact: wegen des letzteren Songs haben Anhänger der Band den 4. Mai zum
       internationalen Jawbreaker-Tag auserkoren – der wurde also dieses Jahr in
       Berlin begangen).
       
       Im zu knapp drei Vierteln gefüllten Saal weiß die Fanbase der Band die
       stimmige Performance zu schätzen. Erfreulicherweise ist nicht nur die
       ältere Punk-Garde zugegen, sondern es sind auch einige jüngere Gesichter
       dazwischen. Bei manchen sieht man ein schönes Glitzern in den Augen, viele
       singen jede Zeile mit.
       
       Einmal wird Schwarzenbach gar das Mikro weggerissen, als Fans in den
       vorderen Reihen mitsingen wollen. Es folgt eine Ansage, die vom schrägen
       Humor des Sängers zeugt: „Vergesst nicht, wir sind die Dienstleister und
       ihr seid die Kunden. Das sollte sich nicht vermischen.“ Kurz darauf sagt
       er: „Oh, entschuldigt, dass ich von euch als Kunden gesprochen habe. Wir
       bevorzugen das Wort ‚Klienten‘.“
       
       Auch die Ankündigung zu Beginn des Konzerts – „Dies ist unser letzter
       Tourtag. Wir spielen alle Songs, die wir kennen. Stellt euch auf ein
       Dreieinhalb-Stunden-Set ein“ – erweist sich als Scherz.
       
       Gut eineinviertel Stunden spielen Jawbreaker, dann lässt Schlagzeuger
       Pfahler noch als letzten Gruß einen Papierflieger in die Menge fliegen.
       Auch von lauten „We want more“-Rufen lässt sich die Band nicht
       zurücklocken. Das macht aber nichts – die Klienten wirken trotzdem
       beglückt.
       
       6 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
       ## TAGS
       
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