# taz.de -- Neues Buch über die Band Pet Shop Boys: Adorno zum Mitstampfen
       
       > Jan-Niklas Jägers Buch „Factually“ stellt die Pet Shop Boys in Theorie
       > und Praxis vor. Es zeigt, dass die Haltung der Band reine Gegenkultur
       > ist.
       
 (IMG) Bild: Die Musik von PSB berücksichtige „welt- und sozialpolitische Ereignisse“, auch hier 2017 in Montreux
       
       Wir tanzen in einer politischen Welt. Und die Disco-Hymnen der Pet Shop
       Boys kommen weltweit gut an – vom schwulen Underground-Schuppen in San
       Francisco (wo die Debütsingle „West End Girls“ 1984 zum Hit wurde, bevor es
       überhaupt ein Album gab) bis hin zum homophobsten [1][Fußballstadion, in
       dem viele Fans unbewusst die Melodie von „Go West“] etwa zum Schlachtruf
       „Steht auf, wenn ihr Schalker seid“ schmettern.
       
       „Kann eine Chartband subversiv sein? Schließen kommerzieller Erfolg und
       kritischer Anspruch einander nicht aus?“, fragt der Autor Jan-Niklas Jäger
       rhetorisch in seinem Essay „Factually. Pet Shop Boys in Theorie und
       Praxis“, der im Mainzer Ventil Verlag in der Reihe „Testcard Zwergobst“
       veröffentlicht ist. Sie hat ihren Titel aus einer Adorno-Überschrift in den
       „Minima Moralia“ stibitzt. Hört, hört!
       
       Pet Shop Boys und Adorno? Warum nicht! Jäger verspricht „ein Buch über die
       Möglichkeiten von Pop“, er behandelt „das dialektische Spannungsfeld
       zwischen Massenunterhaltung und Subversion“, die beiden Pole, zwischen und
       mit denen die Pet Shop Boys (PSB) so subtil spielen wie niemand sonst.
       Jägers These klingt spannend, aber stimmt auch skeptisch: Will hier ein
       bekennender Fanboy sein privates guilty pleasure zum intellektuellen
       Abenteuer nobilitieren, indem er ihm einen politischen Anstrich verpasst
       und somit zumal beim linken Publikum mit sozialer Relevanz punktet?
       
       Keineswegs: Jäger macht keinen Hehl daraus, dass er Fan ist, gerade deshalb
       hat er es nicht nötig, im Vagen zu fabulieren. Zwar zitiert er ausgiebig
       Interviews mit den PSB und versorgt so auch uneingeweihte LeserInnen mit
       popkulturellem Kontextwissen. Vor allem aber legt er das Vergrößerungsglas
       auf klangliche und lyrische Details.
       
       ## Passt für den Jahrmarkt, ist dennoch weltpolitisch
       
       Von den Powerplay-Megahits bis hin zu unbekannten B-Seiten: Jäger
       beschreibt präzise, seine Sätze reißen mit, Les- und Hörarten überzeugen.
       Der Autor vollzieht nach, wie das britische Popduo eine erstaunlich
       komplexe Gesellschaftsgeschichte komponiert, und zwar mit Songs, die auf
       dem Jahrmarkt mitgestampft werden.
       
       Die Musik von PSB berücksichtigt „welt- und sozialpolitische Ereignisse,
       porträtiert Menschen, die von ihnen betroffen sind, hat Kenntnis von
       Ideengeschichte und den verschiedensten Diskursen, beschäftigt sich mit
       Identität und Sexualität, kommentiert (massen- wie sub-)kulturelle
       Entwicklungen“ – und das in einer Kunstform, deren „Qualität sich zum Teil
       über Simplizität definiert“. Wobei PSB natürlich kein Problem damit haben,
       in ihren Tracks Thatcher und Tschaikowski zu verwursten.
       
       Chris Lowe und Neil Tennant schafften es mit Porträts der britischen
       Klassengesellschaft in die Charts: „West End Girls“, die erste PSB-Single
       überhaupt, verknüpft die soziale Dynamik des reichen Londoner West End mit
       dem armen East End. Und so ging es weiter: „Suburbia“ (1986) seziert die
       selbstgerechte, ausgrenzende Mittelschicht der posheren Vorstädte.
       
       Der Autor jagt die LeserInnen kreuz und quer und queer durch das Œuvre der
       beiden Jungs von der Zoohandlung, zeigt, wie sie sich in ihrer auch vokal
       heruntergekühlten Künstlichkeit von der behaupteten Authentizität des
       Mainstream-Rock der Achtziger abgrenzten. Und das nicht bloß durch eine
       schamlose, bedeutungsverschiebende Coverversion („Where the Streets Have No
       Names“) der von PSB verabscheuten irischen Emoband U2.
       
       ## PSB sind in ihrer Haltung Gegenkultur
       
       [2][In ihrer Haltung waren und sind PSB wie einst Punk: Gegenkultur.] So
       manch vermeintlichen Schmachtfetzen schält Jäger bis zu seinem politischen
       Kern blank. Der Song „Rent“ erzählt konkret vom Sugar Daddy, der die Miete
       blecht, aber eben auch von entmenschlichender Verwertungslogik. „I’m With
       Stupid“ lästert aus der Sicht von Tony Blair über George W. Bush.
       
       Wobei auf den 150 Seiten auch klar wird, dass Plakatives eher zu den
       simpelsten Späßen gehört; die Idee, dass Liebe nur ein bourgeoises
       Konstrukt sei, entlarven die beiden Künstler im gleichnamigen Song als
       Selbstbetrug eines linken Akademikers. PSB denken um viele Ecken und sind
       historisch versiert; um das herauszuarbeiten, braucht es ein Buch.
       „Factually“ ist dieses Werk.
       
       Ambivalent ist der Umgang von PSB mit ihrem Schwulsein, das arbeitet Jäger
       gut heraus. Die Coming-outs kamen spät, Lowe und Tennant haben keine Lust,
       aus ihren Privatleben zu plaudern; und doch waren Themen wie Aids, sexuelle
       Freiheit, unkonventionelle Beziehungsmodelle immer präsent. Jäger
       inspiriert mit seinem Buchessay, gerade indem er so nah ranzoomt, denkt er
       weit über das Phänomen Pet Shop Boys hinaus.
       
       1 May 2019
       
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