# taz.de -- Arbeitsbedingungen von PaketbotInnen: 60 Kilo Hundefutter in den 5.Stock
       
       > Viele PaketbotInnen ackern schwer, weil KundInnen eine schnelle und
       > kostenlose Lieferung erwarten. Zwei Zusteller erzählen.
       
 (IMG) Bild: Wer die Zustellmenge nicht schafft und nach Dienstschluss Pakete zurückbringt, gilt schnell als Loser
       
       Hochhäuser können ein Albtraum sein. Zum Beispiel dieser Gebäudekomplex aus
       fünf sechsstöckigen Blocks in der Nähe von Stuttgart, ein Klingelschild mit
       30 Namen an der Tür. „Das Hochhaus soll man eigentlich in fünf Minuten
       schaffen. Ich brauchte dort aber eine halbe Stunde“, erzählt Lars Meyer.
       
       Der 23-Jährige arbeitete einige Monate für die Deutsche Post als Brief- und
       Paketbote in der Region um Stuttgart. Nie wieder würde er heute einen
       solchen Job machen, sagt Meyer. Er heißt in Wirklichkeit anders, will aber
       seinen Namen lieber nicht im Netz lesen, denn künftige Arbeitgeber googeln
       heutzutage die Namen ihrer Bewerber, und da will man sich nichts verbauen.
       Heute jobbt Meyer neben seinem Studium in einer Fabrik am Band. Das ist
       auch Akkordarbeit. „Aber da habe ich nicht das Gefühl, überfordert zu
       sein“, sagt Meyer.
       
       Als Zusteller bei der Post war er verantwortlich für ein paar Kisten mit
       Briefen und vor allem für 100 bis 200 Pakete pro Schicht, die möglichst in
       knapp acht Stunden ausgeliefert werden sollten. „Die Angst, es nicht zu
       schaffen in einer Schicht, die war am schlimmsten“, erzählt Meyer. Er hat
       von Kollegen gehört, die zu Beginn einer Schicht angesichts des Paketberges
       in Weinkrämpfe ausbrachen, weil sie wussten, sie würden es nicht schaffen.
       
       Rund 13 Euro brutto verdiente er in der Stunde, nicht schlecht für einen
       Job, für den man keine Ausbildung, nur einen Führerschein braucht. „Aber es
       wurde stillschweigend erwartet, dass man länger arbeitet, auch mit
       unbezahlten Überstunden, bis alles ausgeliefert war“, schildert er. Einmal
       sei er 13 Stunden unterwegs gewesen, bis in den Abend hinein. Etwa 30
       Prozent der Pakete in seinem Laderaum stammten von Amazon. „Pakete von
       Amazon Prime sollten wir auf keinen Fall zurückbringen“, sagt Meyer.
       
       Paketlieferanten und -lieferantinnen sind das neue
       Dienstleistungsproletariat, [1][sie erleben die Kehrseite eines
       Onlinehandels], der verwöhnten KundInnen möglichst „kostenlose“ und
       möglichst schnelle Lieferung verspricht. „Die Einhaltung des
       Lieferversprechens ist uns wichtig“, sagt Nadiya Lubnina, Sprecherin bei
       Amazon. Wie genau eine „kostenlose“ Lieferung über Amazon finanziert wird,
       darüber gibt das Unternehmen keine Auskunft.
       
       „Die Kunden sind bequemer und anspruchsvoller geworden, und das ist auch
       durch Amazon gekommen“, meint Anna Montasser, Sprecherin des
       Bundesverbandes Onlinehandel (BVOH), „aber es gibt keine ‚kostenlose‘
       Lieferung, es ist alles irgendwo eingepreist“. Amazon handelt als
       Großversender bei den Zustelldiensten hohe Rabatte aus.
       
       Der gezahlte Preis pro Amazon-Sendung für die Paketdienste läge inzwischen
       bei etwa 2 Euro, sagt Andreas Schumann, Vorsitzender des Branchenverbandes
       BdKEP. Der Preisdruck wird an die Boten weitergegeben. Neue Daten aus einer
       Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigen,
       dass Erwerbstätige in Logistikberufen überdurchschnittlich oft „an der
       Grenze der Leistungsfähigkeit“ arbeiten.
       
       „Eine Sendung darf bis zu 30 Kilo wiegen“, erzählt Meyer, „zwei Sendungen
       dürfen also 60 Kilo schwer sein.“ Hundefutter zum Beispiel ist beliebt.
       Wenn Kunden, die im fünften Stock Altbau ohne Aufzug wohnen, dann zwei
       Pakete Hundefutter à 30 Kilo bestellt haben, muss das Zeug mithilfe der
       Sackkarre, die mit Gleitschienen ausgestattet ist, über die Treppen mühsam
       nach oben gehievt werden.
       
       ## ZustellerInnen brauchen starke Nerven
       
       Wer auf die Idee kommt, einfach nur eine Benachrichtigungskarte in den
       Briefkasten zu schmeißen und die Pakete lediglich bei der Postfiliale
       abzuliefern, riskiert Beschwerden. „Mir fuhr auch mal die Personalchefin
       unauffällig hinterher, um mich zu überwachen“, schildert Meyer.
       
       Der Stress auf der letzten Meile der Zustellung fängt mit dem Halteproblem
       an. Gelobt seien Kundenparkplätze von Supermärkten, breite Hauseinfahrten
       oder mehrspurige Straßen mit wenig Verkehr. Oft gibt es das nicht. Die
       Zusteller und auch die – wenigen – Zustellerinnen sind auf ihre starken
       Nerven angewiesen, um ihre Kastenwagen oder Sprinter sonst wo zu parken und
       zu riskieren, von AutofahrerInnen, RadfahrerInnen oder PassantInnen wüst
       beschimpft zu werden.
       
       „Ich habe mich in absolute Halteverbote, auf Bürgersteige, vor Einfahrten
       gestellt, was ich als Privatmann nicht machen würde“, erzählt Meyer.
       Irgendwelche Sondergenehmigungen haben die Postfahrzeuge nicht. Die
       Ordnungshüter drücken oft ein Auge zu, es sei denn, das Lieferauto steht
       vor einer Feuerwehrzufahrt.
       
       Der Branchenverband BIEK hat eine Initiative gestartet ‚Liefern lieber in
       der ersten Reihe‘. „Wir fordern, dass die Straßenverkehrsordnung um ein
       Verkehrszeichen ‚Ladezone‘ ergänzt wird – analog zum Taxistand und
       ausschließlich für gewerbliche Be- und Entladevorgänge“, berichtet
       Verbandssprecherin Elena Marcus-Engelhardt.
       
       ## Die ZustellerInnen gelten schnell als Loser
       
       „Wenn man die Touren kennt, weiß man, wo man sich hinstellen kann“, sagt
       Meyer. Es gibt noch anderes kostbares Wissen: Wer die Touren kennt, weiß,
       wo die willigen NachbarInnen wohnen, die Pakete anderer annehmen. Und wo
       nicht. Meyer: „Es gibt Straßenzüge, wo keiner für den andern eine Sendung
       akzeptiert.“
       
       Der Traum eines Zustellers sind Touren mit ausreichend Halteplätzen,
       nachbarschaftlich orientierten RentnerInnen und möglichst vielen
       „Ablageverträgen“ mit den Haushalten, also Genehmigungen, ein Paket
       irgendwo hinterm Gartentor oder auf der Terrasse abzustellen.
       
       Wer nach Schichtende viele Pakete zurückbringt, weil er die Zustellmenge
       nicht geschafft hat, gilt schnell als Loser, zumal der Kollege von der
       nächsten Schicht die Fracht übernehmen muss. „Da herrscht Konkurrenzkampf,
       es gibt auch Mobbing“, sagt Mayer.
       
       Das A und O ist die Zahl der Pakete, die zu Beginn der Schicht am Morgen an
       der Zustellbasis ins Fahrzeug geladen wird. „Die Qualitätsmanager haben da
       oft unrealistische Vorstellungen“, schildert Herbert Achtfuchs, 47 Jahre
       alt, der schon seit vielen Jahren im Raum Freiburg für die Deutsche Post
       als Zusteller arbeitet und auch lieber nicht mit richtigem Namen in der
       Zeitung stehen will.
       
       ## Verdi drängt auf unbefristete Verträge
       
       Mengenvorgaben pro Schicht seien schwierig zu bestimmen, denn die
       Liefersituation ändere sich ständig, erzählt er. „Einmal wartet man vor
       einem Obi-Baumarkt fünf Minuten, um ein paar Pakete abzugeben, dann aber
       kann es plötzlich viel länger dauern, weil vor einem noch andere
       Lieferfahrzeuge abzufertigen sind oder der Angestellte des Baumarkts erst
       mal nicht auftaucht“.
       
       Im Unterschied zu Meyer macht sich Achtfuchs keinen Stress: „Ich bin der
       dicke Junge, der nicht mitrennt“, sagt er. Achtfuchs verdient 16 Euro die
       Stunde, hat einen unbefristeten Vertrag, Kündigungsschutz, jahrzehntelange
       Unternehmenszugehörigkeit, er war sogar mal im Betriebsrat. „Wir drängen
       auf unbefristete Verträge, weil sie ganz andere Sicherheiten bieten“,
       erklärt Sigrun Rauch, Post-Expertin bei Verdi.
       
       Am schlechtesten dran sind die AusfahrerInnen bei kleinen Subunternehmen,
       die [2][etwa für Hermes] oder DPD arbeiten und selbst zu knapp kalkulieren.
       „Viele Subunternehmer, die keine Erfahrungen haben, nehmen Aufträge an mit
       zu viel Paketen für zu wenig Geld“, meint Schumann vom BdKEP. Daher kämen
       die vielen unbezahlten Überstunden und überlangen Schichten zusammen, bis
       die ganze Lieferung ausgefahren sei.
       
       Die Kundin oder der Kunde scheren sich darum eher nicht, wenn sie das
       dritte Paar Sneakers, diesmal in Hellblau, oder den billigen Rucksack in
       Lederoptik aus China ordern. „Die Leute bestellen einfach zu viel“, sagt
       Paketbote Achtfuchs. Auf seiner Tour begegnen ihm manchmal die KollegInnen
       von der Müllabfuhr, man kennt sich. „Wir klatschen uns dann ab“, erzählt
       er, „die Fahrer sagen: Du bringst den Müll, wir holen ihn wieder ab.“
       
       30 Apr 2019
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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