# taz.de -- Abgeworbene Azubis: Oberster Handwerker fordert Ablöse
       
       > Deutschlands oberster Handwerker findet: Ausbildungsbetriebe gehören
       > entschädigt, wenn Azubis nach der Lehre die Firma wechseln.
       
 (IMG) Bild: H.P. Wollseifer findet Headhunting in der Handwerksbranche unfair
       
       Die Ablösesummen für Fußballer können in die Hunderte Millionen Euro gehen.
       Da erstaunt es erst mal, wenn Hans Peter Wollseifer, Deutschlands oberster
       Handwerker, Ablösezahlungen für Auszubildende vorschlägt. Tatsächlich
       findet sich das klingende Wort nicht in Wollseifers autorisierten Zitaten,
       sondern in der Artikel-Überschrift der Deutschen Presseagentur. Etwas
       kleiner also: „Ich persönlich denke über eine Entschädigung für
       Ausbildungsbetriebe nach, denen Azubis direkt nach der Lehre abgeworben
       werden“, sagte Wollseifer.
       
       Der 63-Jährige ist Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks
       (ZDH), der Beratungs- und Lobbyorganisation Hunderttausender kleiner und
       mittlerer Firmen. Er kennt sich aus mit den neuesten Auswirkungen des
       relativen Mangels an Arbeitskräften. „Unsere gut ausgebildeten jungen Leute
       werden abgeworben“, so Wollseifer, „zwei von drei Fachkräften, die im
       Handwerk qualifiziert wurden, arbeiten im Verlauf ihres Erwerbslebens in
       einem anderen Wirtschaftsbereich.“
       
       Für manchen kleinen Betrieb kann das finanzielle Probleme hervorrufen. Denn
       Ausbildung kostet Zeit, Nerven und Geld. Anfangs haben die Schüler*innen
       keine Ahnung, welcher der richtige Dübel ist, alles muss man ihnen
       erklären. Erst mit den Jahren lohnt sich die Anstrengung der
       Ausbildungsfirma. Schließlich erwirtschaften die Gesellen mehr Umsatz als
       sie selbst kosten. Wenn sie dann aber schnell zur Bundeswehr, Deutschen
       Bahn oder in ein größeres Privatunternehmen wechseln, ärgert sich der
       Handwerksmeister vielleicht.
       
       So hat sich die Lage geändert: In den späten 1970ern, als die
       Arbeitslosigkeit massiv zunahm, wurde über Strafen für Firmen diskutiert,
       die nicht ausbildeten. Heute, da Personal knapp wird, kann der
       ZDH-Präsident Belohnungen verlangen. Wollseifer kennt diese Veränderungen
       aus eigener Erfahrung.
       
       Nach dem Tod des Vaters sowie einer Meisterprüfung als Maler und Lackierer
       übernahm er 1976 mit 21 Jahren den Familienbetrieb in Hürth bei Köln und
       erweiterte ihn von 3 auf rund 100 Beschäftigte. Wollseifer sanierte
       Hochhäuser. „Als anspruchsvollsten Auftrag“ bezeichnete er die
       „Fassadeninstandsetzung des Deutschen Konsulats in Kabul, Afghanistan“.
       Seit Ende 2013 amtiert der mehrfache Firmengründer und Immobilieninvestor
       als Präsident des ZDH.
       
       Aber geht das überhaupt – eine Entschädigung für Ausbildung? Der Deutsche
       Gewerkschaftbund (DGB) verweist auf das Bundesausbildungsgesetz, das
       Entschädigungen verbietet, die Azubis entrichten müssten. Und dass eine
       Firma eine andere dafür bezahlt, um deren Arbeitnehmer abzuwerben,
       widerspricht der Berufsfreiheit.
       
       Was allerdings vorkommt, sind bestimmte arbeitsvertragliche
       Bindungsfristen: Wenn große Unternehmen jungen Leuten gleichzeitig
       Ausbildung und Studium ermöglichen, verpflichten sich manche Arbeitnehmer,
       nach dem Bachelor erst mal in der Firma zu bleiben. Kündigen sie früher,
       müssen sie einen Teil der Ausbildungskosten zurückerstatten. Das könnten
       auch Handwerksbetriebe ausprobieren.
       
       3 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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