# taz.de -- Nachruf auf Dr. John: Der Mann mit der Schotterstimme
       
       > Seine Musik verband Blues, Jazz und Psychedelicrock, ergänzt durch
       > Voodoo-Zauber. Der Sänger und Pianist Dr. John ist mit 77 Jahren
       > gestorben.
       
 (IMG) Bild: Dr. John bei einem Festival in New Orleans im Jahr 2013
       
       BERLIN taz | Seine Stimme krächzte, als hätte er zum Frühstück ein Glas
       Schotter gegurgelt. So konnte sie die Songs mit einer Boogie-Woogie-Wonne
       veredeln, wie es sie kein zweites Mal gab. Er war ein exzellenter Pianist,
       der die Akkorde bis knapp vorm Durchdrehen verschleppen konnte, der den
       Blues, den Jazz, den Psychedelicrock drauf hatte und den Voodoo-Zauber
       seiner Heimatstadt New Orleans nicht als Folklore-Postkartenkitsch
       inkorporierte, sondern zur unheimlich seltsamen Séance arrangierte, mit
       Call&Response-Spielen, undogmatischen solistischen Ausflügen und rituell
       geopfertem Huhn.
       
       Die Rede ist vom Sänger und Pianisten Dr. John aus New Orleans, der eine
       über sechzigjährige Pop-Karriere hingelegt hat, in einer unbarmherzigen
       Stadt, die das Älterwerden nur unter Schmerzen zulässt und Schwächen mit
       Nichtbeachtung bestraft. Der Erinnerung nach sah Dr. John immer aus wie
       Catweazle, das Quacksalber-Image und den akademischen Titel legte er sich
       erst Mitte der Sechzigerjahre zu, in Anlehnung an einen afroamerikanischen
       Arzt, der in den 1840ern in New Orleans tätig war.
       
       Voodoo: Das Alias vom Alias hieß „The Night Tripper“, Gegenthese zum
       Beatles-Chartssong „Day Tripper“, aber Malcolm John Michael Creaux
       Rebennack Jr., wie ihn seine Eltern tauften, oder Mac Rebennack, wie ihn
       alle nannten, war nie nur Nachtfalter. New Orleans, wo er im November 1941
       geboren wurde, hat ihn geprägt, im Guten, wie im Schlechten. [1][„Right
       Place wrong time“], sein größter Hit, wandelt im Refrain denn auch ab „I
       been in the wrong place but it must have been the right time“.
       
       Durch seine Mutter, ein Model, das den Sohn für Babycreme-Reklame einsetzte
       und den Vater, der einen Schallplattenladen besaß, kam Rebennack schon als
       Steppke mit Musik in Berührung. Gitarrenunterricht nahm er bei Walter
       Nelson, Gitarrist in der Band seines Idols Fats Domino. Mitte der
       Fünfziger, als Schüler in einem Jesuitenkolleg, schockte er die Pfaffen mit
       weltlichen R&B-Songs. Er musste vorzeitig von der Schule, leitete als
       Teenager 1955 ein Orchester. Sein Wechsel an die Tasten geschah
       zwangsweise, nachdem ihm 1961 bei einer Auseinandersetzung mit einem
       Motelbesitzer um eine Gage sein linker Zeigefinger teilweise weggeballert
       wurde. Es war das Aus als Gitarrist, aber Rebennack hielt sich mit Bass
       spielen als Sessionmucker (etwa für Sam Cooke) über Wasser.
       
       Big Easy, so wird New Orleans ehrfurchtsvoll genannt. Bis weit in die
       Siebzigerjahre aber kontrollierte eine recht mafiös agierende
       Musikergewerkschaft Clubs und Studios, Rebennack lag mit ihr über Kreuz.
       Von Schulden geplagt und von harten Drogen zerfressen tauchte er 1964 ab
       nach Texas in die Rehab, konnte nach diversen Verstößen gegen
       Betäubungsmittel nicht zurück. 1965 in Los Angeles gelang ihm dann der
       Anschluss an die Studioszene. Erst dort, mithilfe seines Freundes und
       Kollegen Harold Battiste, wurde die Künstlerpersona Dr. John geboren und
       debütierte auf dem Album „Gris Gris“ (1967), einem magischen Eintopf aus
       Jazzinstrumentierung, Soulatmosphäre und hippieeskem Rockvoodoo. Die
       Sehnsucht nach New Orleans führte immer wieder zu grandiosen Songs und
       verspulten Konzepten.
       
       Bisweilen floppten Dr. Johns Soloalben, dafür konnte er als Gaststar
       punkten, etwa bei den Rolling Stones (auf deren Doppelalbum „Exile on
       Mainstreet“ 1973), bei Harry Nilsson, Soloalben von Ringo Starr. Er blieb
       im Geschäft. Nach New Orleans kehrte er erst Ende der Achtzigerjahre
       zurück, als die Metropole eine Renaissance erfuhr, neue Musikergenerationen
       ihre Traditionen erneuerten und ihr musikalisches Erbe endlich in den USA
       Anerkennung fand. So geschah es auch mit den Songs von Dr. John und seinen
       Verdiensten als Mittler zwischen Black Music und Rockszene. 2010 gastierte
       er in Deutschland und spielte, obwohl gezeichnet von körperlichen
       Gebrechen, schlafwandlerisch sicher die schönsten Songs aus seinem
       beachtlichen Repertoire. Donnerstagnacht ist er im Alter von 77 Jahren
       gestorben.
       
       7 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://youtu.be/HT4RainY-lY
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
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