# taz.de -- Die Linke nach der Europawahl: Alle sehen sich bestätigt
       
       > Einen Monat nach der Europawahl sucht die Linkspartei Gründe für ihr
       > schlechtes Abschneiden. In ihrer Haltung zur EU ist sie nach wie vor
       > gespalten.
       
 (IMG) Bild: Versöhnen oder Spalten? Linken-Chefin Katja Kipping in Chemnitz
       
       BERLIN taz | Vier Wochen nach der Europawahl hat in der Linkspartei eine
       breite Diskussion über die Ursachen des Wahlergebnisses begonnen. Zuletzt
       legten Bundestagsabgeordnete vom linken Flügel der Partei und Parteichefin
       Katja Kipping zwei Analysen vor. Bei großen Unterschieden im Detail haben
       alle Erklärungen eines gemeinsam: Die unterschiedlichen Flügel der Partei
       sehen sich durch das mit 5,5 Prozent schlechteste Europawahlergebnis der
       Linkspartei in ihren jeweiligen Ansichten bestätigt.
       
       „Die Linke droht ihre Daseinsberechtigung zu verlieren, wenn sie für viele
       ihrer ehemaligen Wählerinnen und Wähler keine wählbare Alternative zur
       bestehenden neoliberalen Politik mehr darstellt“, heißt es [1][in dem
       Papier], das von dreizehn Bundestagsabgeordneten unterzeichnet wurde,
       darunter den Vize-Fraktionschefs Sevim Dağdelen und Fabio De Masi. Das
       Ergebnis der Europawahl müsse deshalb „ein Weckruf“ sein, der „nicht nur
       achselzuckend zur Kenntnis genommen“ werden dürfe.
       
       Im Kern geht es erneut um den Konflikt, der die Linke seit der
       Bundestagswahl 2017 umtreibt: Vor allem im Osten verliert die Partei an die
       AfD, während sie im Westen neue Wählerschichten erschließt, die
       mehrheitlich unter die Kategorien „liberal“ und „weltoffen“ verbucht werden
       können. Soll die Linke versuchen, die alten Wähler zurückzugewinnen oder
       die neuen Wählerschichten auszubauen? Für die Linke erschwerend kam diesmal
       der Höhenflug der Grünen und des Klimathemas hinzu.
       
       ## Konzentration auf traditionelle Wähler
       
       Dağdelen und ihre Mitstreiter empfehlen, dass die Linke sich auf ihre
       traditionellen Schichten konzentriert: „Dramatisch ist, dass die Linke
       besonders bei Arbeiterinnen und Arbeitern, Arbeitslosen und Gewerkschaftern
       verloren hat“, schreiben sie. Die AfD sei „bei den Arbeitern mit 23 Prozent
       inzwischen stärkste Partei“. Die Antwort der Linken „auf die soziale Frage“
       sei nicht deutlich gewesen.
       
       Auch eine härtere EU-Kritik legen sie ihrer Partei ans Herz: „2014 war die
       Linke die Partei des Widerstands gegen die unsoziale und antidemokratische
       Kürzungspolitik.“ Diesmal sei den Wählern aber unklar gewesen, „was die
       konkrete Kritik an einer EU war, die immer mehr Ressourcen in imperiale und
       militaristische Politik steckt“. Die 13 planen einen „großen Ratschlag“, um
       „drängende Fragen zur strategischen Ausrichtung der Partei zu beraten“. Der
       soll noch vor Jahresende stattfinden.
       
       Die Linkspartei ist in der EU-Frage gespalten. Auf dem Europaparteitag im
       Februar waren die Lager ungefähr gleich groß. Das eine wollte mit der
       Vision einer „Republik Europa“ werben, das andere mit einer schärferen
       EU-Kritik punkten. „Eine Entscheidung für die Vision Republik Europa wäre
       mir persönlich viel näher gewesen“, [2][schreibt Katja Kipping in ihrer
       Analyse]. Hätten sich ihr Co-Parteichef Bernd Riexinger und sie für eine
       der beiden Alternativen positioniert, hätten sie „wahrscheinlich einer der
       beiden Seiten zu einer Mehrheit von 51 Prozent verhelfen können“, so
       Kipping. „Aber kann man mit einer so knappen Entscheidung von 51 Prozent
       wirklich in einen Wahlkampf ziehen?“
       
       ## Streit in Kippings Lager
       
       Der Europawahlkampf sei dann von der Frage dominiert worden, ob man für
       oder gegen Europa wäre. „Unsere Argumentation wurde eher wahrgenommen als:
       Europa, ja aber. Infolgedessen galten wir als unsichere Kantonisten.“
       Kipping zieht daraus die Lehre, dass die Partei „eine neue Reife
       entwickeln“ müsse, nämlich die Fähigkeit, „sich für mutige Visionen zu
       entscheiden und diese gemeinsam durchzuziehen“.
       
       Ein stärkerer Pro-EU-Kurs dürfte Kipping allerdings in Konflikt mit einigen
       ihrer Verbündeten bringen. Thies Gleiss und Lucy Redler, die für die
       Antikapitalistische Linke im Bundesvorstand sitzen, [3][schreiben in einer
       Analyse] von Anfang Juni, die Grünen hätten „eine unverdrossene
       EU-Jubelorgie zum Wahlprogramm erklärt“. Die Linke habe dagegen „den Spagat
       zwischen EU-Kritik und irgendwie Mitgestaltenwollen an der realen EU nicht
       bewältigt“.
       
       Die Europäische Union sei „militaristisch, undemokratisch und neoliberal in
       der Grundausrichtung – wie oft muss diese einfache Wahrheit eigentlich noch
       in der Praxis bestätigt werden, bevor auch die Linke es in großer Mehrheit
       annimmt?“ Ohne „eine linke Strategie zur Überwindung der realen EU“ werde
       es nicht gehen.
       
       Kaum eine Rolle spielt in den Analysen, ob die mangelnde Bekanntheit der
       Spitzenkandidaten Martin Schirdewan und Özlem Demirel zu dem schlechten
       Ergebnis beigetragen hat. Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler schreibt,
       Wahlkämpfe würden „entgegen bürgerlicher Erzählungen nicht durch
       charismatische Persönlichkeiten entschieden“. Es klingt, als könnten die
       Linken in die nächste Bundestagswahl auch mit einem Besenstiel als
       Spitzenkandidaten ziehen, während die Grünen Robert Habeck aufstellen.
       
       25 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.sevimdagdelen.de/zehn-thesen-zum-wahlergebnis-der-linken-bei-der-europawahl/
 (DIR) [2] https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/aufbruch-in-einer-neuen-zeit-neue-linke-mehrheiten/
 (DIR) [3] https://www.antikapitalistische-linke.de/?p=3114#more-3114
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reeh
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Europawahl
 (DIR) Sevim Dagdelen
 (DIR) Schwerpunkt Europawahl
 (DIR) Fabio de Masi
 (DIR) Die Linke / Linkspartei
 (DIR) Katja Kipping
 (DIR) Europäische Linke
 (DIR) Europawahl
 (DIR) EU
 (DIR) Europawahl
 (DIR) Schwerpunkt Europawahl
 (DIR) Schwerpunkt Europawahl
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neuer Präsident der Europäischen Linken: Generationenwechsel vertagt
       
       Die Europäische Linke hat einen neuen Präsidenten: Der 73-jährige Heinz
       Bierbaum tritt die Nachfolge des 71-jährigen Gregor Gysi an.
       
 (DIR) Nach der linken EU-Wahlschlappe: Zu wenige Frühstücksdirektoren
       
       Der Linken-Bundesvorstand kann seine Analyse zur Europawahl nicht
       beschließen. Zur Sitzung kommt nicht einmal die Hälfte der Mitglieder.
       
 (DIR) Spitzenposten im EU-Parlament: Keine Mehrheit für Weber
       
       Kanzlerin Merkel und ihre Kollegen beraten am Sonntag erneut über die
       Besetzung von Topjobs in der EU. Es geht auch um CSU-Politiker Manfred
       Weber.
       
 (DIR) Linken-Vorsitzende über Europawahl: „Ein Warnsignal an uns“
       
       Katja Kipping analysiert das maue Abschneiden ihrer Partei. Sie strebt eine
       Urwahl für Rot-Rot-Grün an und wirbt für eine Neuausrichtung.
       
 (DIR) Linke im Europa-Wahlkampf: Die Erfolgssimulation
       
       Die Linke tut sich im Europawahlkampf schwer. Ihr fehlen im NRW-Wahlkampf
       die Zuhörer. Aber auf Facebook sieht trotzdem alles gut aus.
       
 (DIR) Linke kürt Spitzenkandidaten für Europa: Mit No Names auf nach Brüssel
       
       Mit Martin Schirdewan und Özlem Demirel schickt die Linke zwei eher
       Unbekannte als Spitzenkandidaten in die Europawahl. Aber: Reden können sie.