# taz.de -- Milch-Doku auf ARD: Ein Film wie eine Überdosis Laktose
       
       > Mehr als einmal lässt „Das System Milch“ einem die Landliebe sauer
       > werden. Immerhin zeigt die ARD-Doku, dass es auch anders geht.
       
 (IMG) Bild: Dauerschwangere Kühe, Knietief im Milchsee – aber die Gülle verdient das Geld. Oweh!
       
       Vor 8.000 Jahren hatten ein paar Steinzeitler*innen eine ziemlich
       erfolgreiche Idee: Sie entdeckten das Potential der Zitze. In
       entbehrungsreichen Wintern erwies sich tierische Milch als Lebensretter.
       Heute tötet sie. In Frankreich bringt sich alle zwei Tage ein Landwirt um,
       ergab eine Umfrage der französischen Gesundheitsbehörde. Im Senegal erzählt
       man, die Schwemme an billiger EU-Milch treibe verzweifelte Bauern aufs
       Mittelmeer. Und die Kuh: [1][Könnte bis zu 25 Jahre alt werden, erlebt aber
       oft ihren fünften Geburtstag nicht].
       
       All das erfährt man in der Dokumentation „Das System Milch“ des Südtirolers
       Andreas Pichler. Der Film lässt einen mit Bauchgrummeln zurück wie eine
       Überdosis Laktose, dabei erzählt er gewiss kaum Neues: Multinationale
       Molkereien bestimmen die Milchpreise, Familienbetriebe wurschteln sich über
       die Runden, Subventionen aus Brüssel versauen die Märkte in Afrika.
       
       Milchseen und Butterberge: Die meisten Schüler*innen lernen das heute in
       der Oberstufe in Sozialkunde. Doch wie Pichler den Stoff über neunzig
       Minuten kenntnisreich wiederholt und bildhaft macht, ist eindrücklich. Die
       Reise geht in gigantische Fabriken, chinesische Supermärkte, zu
       schwäbischen Ställen. Und beginnt doch in Pichlers Kindheit.
       
       Der Filmemacher hütete früher selbst Kühe in den Bergen seiner Heimat
       Bozen. „Dass Kühe Milch geben war für mich so selbstverständlich, wie dass
       Wasser den Bach runterfließt“, erzählt Pichler. Heute dagegen ist die
       Milchindustrie big business. 200 Millionen Tonnen werden in Europa jedes
       Jahr hergestellt: Fordismus für’s Müsli. Zwar ist der Markt 100 Millionen
       Euro schwer, aber auf den Bauernhöfen kommen nur ein paar Cent pro Liter
       an.
       
       ## Die Geigers und ihr heißer Scheiß
       
       So auch beim Familienbetrieb Geiger in Donzdorf (das Schwäbische wird im
       Film untertitelt wie eine Fremdsprache). Während es in der Stube noch einen
       zünftigen Topf mit Maultaschen gibt, rumpelt im Stall der Putzroboter
       „Discovery“ umher. Die Melkmaschine „Lely Astronaut“ wird gefilmt wie in
       einem Kubrick-Film. Doch trotz moderner Technik können die Geigers kaum
       genug Milch produzieren.
       
       „Mit der Scheiße verdienen wir mehr Geld“, sagt Margret Geiger. Die Gülle
       kann als Dünger ausgebracht werden. Mit erheblichen ökologischen
       Konsequenzen, wie man vom Göttinger Agrarforscher Johannes Isselstein
       erfährt: Nitrat oder Ammoniak versickern im Boden, Lachgas steigt in die
       Atmosphäre, erklärt der Professor in Jack-Wolfskin-Fleece, alles echt
       ungesund.
       
       [2][Doch die Industrie kennt offenbar keine Limits]. „Wachsen oder
       Sterben“, pointiert ein Manager einer Firma für Trockenmilch, es klingt wie
       aus dem Wörterbuch Deutsch-Kapitalismus/Kapitalismus-Deutsch. Andreas
       Pichler erörtert die globalisierten Wirtschaftszusammenhänge ausführlich
       anhand von zahllosen Protagonist*innen, spricht mit Gewinnern und
       Verlierern. In Dakar, wo ein Tütchen europäische Milch 15 Cent kostet, sagt
       ein Farmer: „Die Kinder, die im Mittelmeer ertrinken, sind die Söhne der
       Viehzüchter.“
       
       Ähnlich ernüchternd ist die (wohlbekannte) Misere der Milchkühe, die
       Pichler dem Publikum wieder ins Gedächtnis ruft. Zu Formel1-Maschinen der
       Holsteinrasse hochgezüchtet, werden die Tiere quasi ständig besamt, eine
       Edelstahlspritze ragt im Stall aus einem Hintern. Dauerschwangerschaft ist
       hier Geschäftsgrundlage, die männlichen Kälber „Abfallprodukte“, wie ein
       Landwirt es formuliert.
       
       Mehr als einmal lässt „Das System Milch“ einem die Landliebe sauer werden.
       Immerhin zeigt der Film, dass es auch anders geht: Zurück in Südtirol
       besucht Pichler einen Biobauernhof. Eine Kuh schleckt neugierig über die
       Kameralinse. Sie darf älter werden als fünf Jahre.
       
       26 Jun 2019
       
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