# taz.de -- Reggae-Klassiker wiederveröffentlicht: Sounds einer untergegangenen Welt
       
       > Yabby You war einer der großen Musiker Jamaikas. Auf dem Album „Walls of
       > Jerusalem“ wirbt er für eine schwarze Geschichtsschreibung.
       
 (IMG) Bild: Yabby You als junger Musiker (Detail vom Plattencover von „Walls of Jerusalem)
       
       Die coolen Kalauer, weisen Wortspiele, der nette Narzissmus und die heitere
       Hybris in den Namen von Reggae-Künstlern (I-Roy, U-Roy, Jah Woosh, King
       Tubby, Prince Jammy – später King Jammy – Scientist, Upsetters und Mad
       Professor) wurden um eine weitere Variante bereichert, als während eines
       gewaltigen Gewitters im Kingston des Jahres 1969 sich kurz die Wolken
       öffneten und eine singende Stimme aus dem Himmel sich direkt an den dort
       unten sich vor dem Regen schützenden 23-jährigen Vivian Jackson wandte: „Be
       you, Yabby Yabby You!“
       
       Von da hatte er einen neuen Namen (Yabby You mit Varianten wie Yabby U,
       Yabby Yu, Yabba Youth) und versuchte die Melodie, in der sich Gott an ihn
       gewandt hatte, in einem der Studios von Kingston zu rekonstruieren. Ohne
       beurteilen zu können, ob ihm das gelungen ist, wäre das doch sehr plausibel
       – jedenfalls wenn man sich die Neuveröffentlichung von Yabby You Meets King
       Tubby, „Walls of Jerusalem“ anhört.
       
       Just vor dem großen Donnern hatte der häretische Rasta einen religiösen
       Disput über die Göttlichkeit Haile Selassies ausgefochten. Für ihn, unter
       Freunden auch als Jesus Dread bekannt, ging das nicht mit seinem
       Christentum zusammen. So wird es erzählt. Tatsächlich findet man auf seinen
       Songs durchaus das vollständige Vokabular der Theologie des
       Rastafarianismus, sein privater religiöser Dissens macht sich nur äußerst
       selten Luft.
       
       Vor allem aber ist Jackson/Yabby You in den fünf Jahren zwischen seiner
       Gewitter-Taufe und seinem ersten Album zu einem extrem versatilen Musiker
       geworden, von dem ich sagen würde, dass er mehr als alle anderen die
       Klassik des 70er-Jahre-Reggaes verkörpert. Nicht durch individuellen
       Ausdruck oder geniale Abweichung sondern als Genre-Perfektionist.
       
       ## Elite von Jamaikas Soundsystem
       
       Yabby You, der mit seiner Vokal-Unterstützung The Prophets und der Elite
       des jamaikanischen Studiosystems arbeitete, war einer der wenigen Musiker,
       der sich in allen Subgenres der Epoche versuchte: zwar vor allem als
       begnadeter Vokalist, der aber auch produzierte, arrangierte, toastete und
       tüftelte. Dennoch oder gerade wegen dieser hohen Selbstständigkeit
       arbeitete er gerne und sehr produktiv mit anderen Größen zusammen: Das nun
       vorliegende, auf zwei Vinyl-LPs neu veröffentlichte Album, das erst als
       „Walls of Jerusalem“ (unter dem Namen seiner Band The Prophets in Jamaika)
       und dann als „Chant Down Babylon Kingdom“ (weltweit als Yabba Youth)
       veröffentlicht wurde, ist ein Ergebnis einer besonders fruchtbaren
       Zusammenarbeit; nämlich mit einen der beiden größten Dub-Produzenten der
       Epoche, King Tubby. (Der andere wäre Lee „Scratch“ Perry.)
       
       Die alttestamentliche Befreiungslyrik geht dem bibelfesten Yabby You sehr
       prägnant von den Lippen; er ist sehr artikuliert, wirkt relativ unbekifft,
       vertraut nicht so wie viele Kollegen auf die Selbstverständlichkeit des
       Patois, sondern scheint schon an eine globale Rezeption zu glauben, vor
       allem in Afrika.
       
       Yabby You ist Sohn strenger Anhänger von Marcus Garvey und seiner
       Back-to-Africa-Bewegung, deren Ziele ihm schon selbstverständlich waren,
       bevor sie durch den Rastafari-Boom der 1970er weltweit ein Revival
       erfuhren. In dem fabelhaften „Go To School Jah Jah Children“ wirbt er nicht
       nur für eine schwarze Geschichtsschreibung, sondern auch für die Rückkehr
       aus der Diaspora: „Africa is the black man’s land / we all go where we
       belong.“
       
       Diese Rückkehr und die – wenn man sie dekontextualisiert: fragwürdige –
       Auffassung, dass es da einen Ort gibt, an den man qua Abstammung gehört,
       dient aber erkennbar eher dem Community-Building im diasporischen Hier und
       Jetzt, als dass sie wörtlich zu nehmen wäre. Tatsächliche Rückkehr-Versuche
       im Roots-Milieu blieben überschaubar.
       
       ## Das Wesen von Dub
       
       Anders als in der Zeit üblich hat King Tubby nicht im Nachhinein Dub-Tracks
       aus Jacksons Material gebastelt, sondern beide hatten das Album von Anfang
       an als Zusammenarbeit geplant, bei dem Tubby auch als Arrangeur auftrat.
       Auch wenn wie bei allen großen Roots-Platten der 1970er Jahre die üblichen
       Verdächtigen aus dem A-Liga-Pool mitspielen, ist doch ein Mann besonders
       hervorzuheben, der lyrische Saxofonist und Flötist Tommy McCook, der einige
       große Auftritte auf dem Doppelalbum hat – unter den bisher
       unveröffentlichten Zusatztracks der Session gibt es auch eine Solo-Nummer
       von ihm.
       
       Und wir besitzen hier ein absolut makelloses King-Tubby-Stück, das man
       allen vorspielen könnte, denen noch das Wesen von Dub erklärt werden
       müsste. Der „Fire Fire Dub“ beruht auf „Fire Round Town“, einem der drei
       wirklich großen Songs von Yabby You auf diesem Album („Fire, fire, fire –
       and we have no water“), ein Rundgang durch ein leidendes Kingston in fünf
       Strophen, im Zuge dessen das Feuer seine Bedeutung wandelt: vom Horror, den
       der Erzähler in der Stadt erlebt oder bezeugt, zum Feuer, das in Babylon
       brennt und nun für dessen verdientes, nahes Ende steht.
       
       In Tubbys Version führt ein sehr zarter, sehr zurückhaltender Bass als
       Leitstimme durch die Stadt, die nun nur noch aus gewaltigen, gewittrigen
       Drum-Breaks und dem eleganten Orgelsignal vom Anfang besteht. Selten hat
       man so eine klare, coole Version gehört, die dann auch den abwesenden
       Lyrics treu bleibt: Wie sich der zarte, aber sehr melodiöse Bass das
       untergangsgeweihte Babylon erschließt, entspricht genau der Subjektivität
       der leicht klagenden, aber auch minimal amüsierten Aufzählung der
       verschiedenen Runden, die Yabby You durch Kingston dreht.
       
       Dies ist eine untergegangene Welt – spätestens seit Dancehall und andere
       digitale/elektronische Stile an die Stelle von Roots getreten sind. Yabby
       You hat in dieser Welt sogar noch eine Weile mitgemacht, wenn auch nicht
       mehr mit sehr hoher Intensität. Er litt schon als Teenager an einer
       unterernährungsbedingten Krankheit, wegen der er nur an Krücken laufen
       konnte. 2010 ist er gestorben. King Tubby wurde bereits 1989 brutal
       ermordet.
       
       19 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Diedrich Diederichsen
       
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