# taz.de -- Ruhestandsausweis in NRW: Lebenslänglich Polizeifamilie
       
       > Ausscheidende Polizeibeamte bekommen in NRW künftig einen
       > Ruhestandsausweis. Kein gutes Symbol für die demokratische Gesellschaft.
       
 (IMG) Bild: Ab jetzt für immer? Kommissaranwärter*innen feiern in Köln ihre Vereidigung
       
       Wie in jedem anderen Beruf, so endet auch für Polizeibeamte der Dienst bei
       Erreichen des Pensionsalters. Abgabe von Waffe, Uniform und Dienstausweis,
       ein Händedruck, das war’s. Eben noch mit Sonderrechten ausgestattete
       Repräsentant*in des staatlichen Gewaltmonopols gewesen und plötzlich auf
       dem Altenteil. Vom Ort der Autorität hinabgeworfen in die Sphären des
       Gewöhnlichen, den Alltag der Untertanen, sind sie des Sinns, der Macht und
       ihrer Insignien beraubt. Zeit, ade zu sagen oder genauer: a. D. Keine
       Platzverweise mehr für jugendliche Randalierer, keine jovialen
       Fahrradkontrollen, keine Festnahmen und Dienstbesprechungen, sondern nur
       noch eine tiefe emotionale Leere.
       
       Diesen bedrückenden Moment erträglicher zu machen hat sich nun das Land
       Nordrhein-Westfalen auf die Fahnen geschrieben. Seit dieser Woche
       [1][erhalten ausscheidende Beamte einen sogenannten Ruhestandsausweis]. Die
       Idee ist nicht neu, die Bundespolizei praktiziert das bereits seit 2015, im
       Saarland wurde der Ausweis 2006 eingeführt.
       
       NRW-Innenminister Herbert Reul erklärt den Sinn des Dokuments als „Ausdruck
       einer Haltung: einmal Polizei, immer Polizei“. Besondere Rechte sind mit
       dem Papier nicht verbunden, es solle jedoch die Kontaktaufnahme mit
       Polizeidienststellen erleichtern. Man darf wohl annehmen, dass Ex-Beamte
       sich auch bisher schon zu erkennen geben, wenn sie mit den Aktiven zu tun
       bekommen, aber o. k., ein amtlich gestempelter Berechtigungsnachweis ist
       den Deutschen eben heilig.
       
       Reul erläutert den größeren Zusammenhang: „Der Ruhestandsausweis verkörpert
       eine besondere Form des Treueverhältnisses – ein Treueverhältnis, das in
       keinem Gesetz steht. Ein Treueverhältnis nicht im juristischen Sinne,
       sondern in Gestalt eines starken Zusammengehörigkeitsgefühls.“ Ach ja, die
       „Polizeifamilie“, jetzt auch mit Clubausweis, und zwar lebenslänglich.
       
       ## Korpsgeist, sonst nichts
       
       Materiell tut Herbert Reul ja ohnehin alles, was er kann, um seine Treue
       gegenüber der Polizei zu beweisen. Erinnert sei an die [2][Abschaffung der
       Kennzeichnungspflicht für die Beamten in NRW]. Dieses wichtige Instrument
       öffentlicher Kontrolle der Polizeiarbeit schien Reul „sachlich nicht
       begründet“. Dagegen ließe sich der Ruhestandsausweis vielleicht als
       Petitesse verbuchen, als alberne Sentimentalität. Der Ausweis ist aber
       nicht nur ein kostengünstiges Zeichen der Wertschätzung für frühere
       Staatsbedienstete, sondern scheckkartengroßes Symbol für ein sehr viel
       größeres und nicht ganz ungefährliches Phänomen. Jenes „Treueverhältnis,
       das in keinem Gesetz steht“, das der Innenminister da beschwört, statt es
       einer kritischen Überprüfung zu unterwerfen, wird angelegentlich etwas
       prosaischer schlicht Korpsgeist genannt.
       
       Der abgeschlossene und verschworene Charakter, jene Gewissheit der eigenen
       elitären Position, enthält für die Träger*innen von Waffen und Uniformen
       immer wieder den Anreiz, sich öffentlicher Debatte und Aufsicht zu
       entziehen. Was sich in der hohen Verantwortung für „Kameraden“ in
       potenziell lebensbedrohlichen Situationen zu begründen meint, wird schnell
       zur selbstverständlichen Kumpanei und dem Gefühl einer gemeinschaftlich
       ausgeübten Allmacht, die weit über den dienstlichen Auftrag und die
       reguläre Arbeitszeit hinausgeht. So nimmt es nicht wunder, dass Beamte sich
       freuen, dieses Gefühl über das Pensionsalter hinaus retten zu können, und
       sei es nur symbolisch.
       
       Die Bekräftigung der Zugehörigkeit zur Truppe per Ruhestandsausweis wird
       von einigen nun sicherlich als zusätzliche Einladung verstanden werden,
       einfach weiter in der Gewissheit zu leben und zu agieren, Teil der
       Ordnungsmacht zu sein. Die Karikatur des zeternden deutschen Rentners, der
       auf alles schimpft, was zu lange vor seinem Jägerzaun verweilt, bekommt ein
       amtliches Siegel. Er ist zwar nur ein Untertan, aber einer mit der
       Autorität seiner früheren Dienststelle im Rücken, zu der er mit dem Ausweis
       ja erleichterten Zugang haben soll. Einmal Polizei, immer Polizei? Das mag
       schon Realität für viele Polizeibeamte sein. Ein Ideal der demokratischen
       Gesellschaft aber ist es nicht, mehr eine Drohung.
       
       17 Jul 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.im.nrw/polizei-ruhestaendler-erhalten-eigene-ausweise
 (DIR) [2] /Kommentar-NRW-Polizeigesetz/!5454771
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniél Kretschmar
       
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