# taz.de -- Flüchtlinge auf dem Balkan: Die Alternativroute
       
       > Bosnien ist erneut zum Brennpunkt der Migration geworden. Doch nur wer
       > Geld hat, schafft es über die Grenze.
       
 (IMG) Bild: Warten auf die Frühstücksration: Männer im Lager Vučjak in Bosnien und Herzegowina
       
       BIHAĆ taz | Hilfsorganisationen schlagen Alarm: In zwei Monaten schon
       rechnet man in Bosnien und Herzegowina mit ersten Schneefällen. „Was wird
       dann aus den mehr als 5.000 Migranten in der Region Bihać“, fragt nicht nur
       der Journalist und Nothelfer Dirk Planert, der schon seit Wochen im
       berüchtigten Lager Vučjak in der Nähe der Stadt Bihać im Nordwesten des
       Landes erste Hilfe leistet.
       
       Das Lager, das nach dem Beschluss des Stadtrats von Bihać Mitte Juni auf
       einer notdürftig planierten Müllhalde errichtet wurde, besteht aus Zelten,
       Wassertanks, unansehnlichen Toiletten und einem Erste-Hilfe-Zelt. In den
       „Straßen“ des von rund 700 Menschen bewohnten Lagers wirbelt der Staub, der
       sich bei Regen in zähen Schlamm verwandelt. Wegen des im Untergrund
       entstandenen Methangases warnen Experten sogar vor Explosionen. Trotzdem
       geleiten Polizisten täglich Dutzende Flüchtlinge in das Lager.
       
       Bosnien und Herzegowinas nordwestlicher Kanton Una-Sana, in dem Bihać
       liegt, ist zu einem Brennpunkt der Migration nach Europa geworden. Täglich
       kommen Migranten aus Pakistan, Afghanistan, Syrien und Nordafrika an.
       Seitdem Italien die Häfen geschlossen hat, wird die Balkanroute wieder zur
       Alternative.
       
       Experten warnen zudem vor neuen Flüchtlingen aus Syrien, wo die [1][Armee
       seit April mit russischer Hilfe die Region Idlib] angreift. Seitdem drängen
       Hunderttausende Menschen in Richtung türkischer Grenze. In der Türkei
       jedoch hat sich die Stimmung gedreht. Schon jetzt versuchen viele Menschen,
       über Griechenland oder Bulgarien, Serbien, Albanien und Montenegro nach
       Bosnien zu gelangen, um von hier aus den Weg via Kroatien und Slowenien
       nach Zentraleuropa einzuschlagen.
       
       Täglich versuchen mehrere Gruppen von bis zu 30 Migranten, durch zum Teil
       vermintes Gebiet den Gebirgszug nach Kroatien zu überwinden. Dort wartet
       die Polizei. Wer aufgegriffen wird, muss mit Prügel rechnen. In der Regel
       werden den Menschen Geld, Smartphones und andere Wertsachen abgenommen,
       bevor sie an die Grenze zurückgebracht werden. Schaffen sie es nach
       Slowenien, werden sie via Kroatien an die bosnische Grenze zurückgeschickt.
       
       Für Marion Kraske, Chefin der Heinrich-Böll-Stiftung in Bosnien und
       Herzegowina, verletzten Kroatien und Slowenien damit nicht nur EU-Recht,
       sondern auch internationales Recht. Die Hauptstädte in Europa und Brüssel
       aber halten gegenüber Kroatien still. Eine neue Migrantendiskussion wird
       nicht gewünscht – schon gar nicht in Deutschland vor den anstehenden
       Landtagswahlen.
       
       Und dennoch: Einige Migranten schaffen es. Vor allem jene, die Geld haben.
       Wer 3.000 Euro bezahlt, wird über die Grenze gebracht. „In Bosnien wurden
       bisher insgesamt 25.000 Migranten registriert, aber nur etwas mehr als
       5.000 halten sich gegenwärtig in dem Land auf“, sagt Peter van der
       Auweraert, Chef der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in
       Bosnien. Die Kunde, von Bihać aus sei es letztendlich doch möglich, nach
       Europa zu gelangen, habe die Migration beflügelt.
       
       Wer dagegen kein Geld hat, wartet in den Lagern. Doch auch sie haben ihren
       Traum, nach Europa zu gelangen, nicht aufgegeben. „Manche sind schon
       mehrmals gescheitert, aber sie versuchen den Grenzübertritt erneut“, sagt
       Planert. Peter van der Auweraert fordert, dass wegen des Winters andere
       Gemeinden in Bosnien sich bereit erklären, Migranten aufzunehmen. Dann
       könnten das UN-Flüchtlingshilfswerk und IOM neben den fünf schon
       existierenden auch neue winterfeste Lager bauen. „Wir sind in der Lage, in
       wenigen Tagen ein neues Lager aufzubauen“, betont Auweraert.
       
       Auch Bihać könnte ein alternatives Gelände zur Verfügung stellen und das
       Lager Vučjak auflösen. Doch der Aufruf von IOM ist verhallt. Nur Bosanski
       Petrovac, eine Gemeinde aus dem bosniakisch (muslimisch) dominierten
       Gebiet, hat sich bereit erklärt, ein neues Lager zu bauen. Kroatisch und
       serbisch dominierte Gemeinden haben die Hilfe für Flüchtlinge von
       vornherein strikt abgelehnt.
       
       29 Aug 2019
       
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