# taz.de -- Die CO2-Bilanz des Fußball: Lieber keine Regeln
       
       > Langsam entdeckt der Fußball das Thema Klimaschutz für sich. Doch wenn's
       > um Mobilität geht, hat der Enthusiasmus Grenzen.
       
 (IMG) Bild: Der ökologische Irrsinn im Spitzenfußball: Die deutsche Nationalmannschaft fliegt zur WM 2018
       
       Stellen wir uns für einen Moment vor, es gäbe Proteste gegen die
       Klimaschädlichkeit des Fußballs. Gegen die Vielfliegerei in der Champions
       League beispielsweise: 79 Teams, die für Qualifikationsrunden hin und her
       jetten, später 32 Teams in der Gruppenphase. Wenn jedes Auswärtsteam nur 50
       Anhänger mitbringt, sind das 9.600 Flugtickets allein für die Gruppenphase.
       Stellen wir uns vor, es hätte ernsthafte Proteste gegen das
       Euro-League-Finale 2019 gegeben, bei dem zwei Londoner Teams nach
       Aserbaidschan flogen, 51.000 Fans waren im Stadion.
       
       Ein ökologischer Irrsinn, der Spitzenfußball. Die Fifa hat die
       Co2-Emissionen am Beispiel der Männer-WM in Russland vorab ausgerechnet.
       Das Ergebnis: 2.167.118 Tonnen CO2-Ausstoß bei einer Weltmeisterschaft.
       Davon 73 Prozent durch Mobilität, den oft größten Verursacher bei solchen
       Events mit einem Anteil zwischen 60 und 80 Prozent. Zum Vergleich: Die
       gesamte deutsche Landwirtschaft, auf Rang 5 der größten deutschen
       Co2-Verursacher, emittiert laut einer aktuellen MDR-Statistik 9 Millionen
       Tonnen im Jahr. Oder vier Fifa-Turniere. Warum stören sich Fans und
       Journalisten eigentlich kaum daran?
       
       Das erstaunt auch Patrick Fortyr von CO2OL, einer Klimaschutzberatung für
       Unternehmen. „Es ist sehr merkwürdig, dass die Diskussion bisher überhaupt
       nicht aufgekommen ist. Das zeigt, wie stiefmütterlich das Thema im Fußball
       überwiegend behandelt wird.“ Fortyr hat Anfang des Jahres in Kooperation
       mit dem DLF den durchschnittlichen Fußabdruck eines Fans pro
       Bundesliga-Spieltag berechnet, teilweise als Modellierung. Das Resultat:
       7.753 Tonnen CO2 produzieren Fans an nur einem Spieltag in der ersten Liga,
       davon zwei Drittel durch Mobilität. 48 Fußballfelder Bäume müsste man
       pflanzen, um das auszugleichen, es entspricht dem Jahresverbrauch von 700
       Bürgern.
       
       Obwohl die meisten Bundesligisten sogar ein Kombi-Ticket mit dem ÖPNV
       anbieten, kommen viele Fans weiter mit dem Auto. „Das Problem ist das
       private Mobilitätsverhalten. Die Fan-Mobilität hat den größten Einfluss auf
       die Emissionen.“ Der Weg im Fußball sei noch weit, die Datenlage schlecht,
       von den meisten Bundesligisten gebe es nicht mal eine belastbare
       CO2-Bilanz. [1][Immerhin, es regt sich etwas]. Fortyr sagt: „Nachhaltigkeit
       im Fußball entwickelt sich in eine positive Richtung, aber von einem
       niedrigen Niveau aus.“
       
       ## Jeder kann sich als „klimaneutral“ bezeichnen
       
       Im Sommer hat Andreas Rettig, Noch-Manager des FC St. Pauli, gefordert, das
       Umweltverhalten von Klubs zu einem Teil der Lizenzierung zu machen. CSR,
       Corporate Social Responsibility, wird immer mehr zu einem relevanten
       Bestandteil für Bundesligisten. Zu den traditionell engagierten Vereinen
       mit progressivem Umfeld wie dem SC Freiburg, der schon in den Neunzigern
       eine Solaranlage auf dem Stadiondach hatte, und Werder Bremen, gesellen
       sich andere: [2][Mainz 05 erklärte sich ab 2010 als erster Bundesligist für
       klimaneutral], der FC Augsburg erklärte zumindest sein Stadion für
       klimaneutral, die TSG Hoffenheim zog im Sommer nach und gleicht auch die
       Emissionen der anreisenden Teams und Schiedsrichter aus. Ebenfalls im
       Sommer 2019 gründete sich in Anlehnung an Fridays for Future die Gruppe
       Sports for Future, der etwa Werder Bremen, Hoffenheim und der FC St. Pauli
       angehören. Ihr Sinn und Zweck ist allerdings recht vage formuliert.
       
       Ohnehin darf man Teile des Engagements im Fußball kritisch hinterfragen.
       Unter den neuen Klubs, die beim Klimaschutz aktiv sind, tummelt sich auch
       der VW-finanzierte VfL Wolfsburg, der gern sein Image grün machen möchte.
       Und der Begriff Klimaneutralität ist nicht geschützt, nutzen kann ihn
       jeder. Nicht alles davon muss man glauben. Aber das Thema gewinnt an
       Relevanz.
       
       Thomas Fischer, Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen
       Umwelthilfe (DUH), sagt: „Der Fußball klammert Klimaschutz nicht länger
       aus. Früher gab es in der Branche eine deutlich andere Schwerpunktsetzung:
       Sportlichem Erfolg und Finanzen wurde nahezu alles untergeordnet,
       Klimaschutz war etwas für Weicheier. Jetzt ist etwas im Wandel, es gibt
       inzwischen Ansprechpartner für Nachhaltigkeit, Ressourcen- und
       Energie-Einsparungen werden umgesetzt. Die gesellschaftspolitische Debatte
       setzt die Klubs massiv unter Druck.“ Allerdings stecke die Entwicklung noch
       „in den Kinderschuhen“.
       
       Wo sich Ökonomie und Ökologie vereinen lasse, geschehe derzeit vieles
       zügig; es habe vorher zum Beispiel Klubs gegeben, da seien die Urinale so
       eingestellt gewesen, dass wenn eines im Stadion spülte, alle spülten. Eine
       absurde Wasserverschwendung. In Bereichen wie Energie, Wasser und Abfall
       werde jetzt einiges getan. Fast alle Bundesligavereine etwa haben unter
       dem Druck der DUH und von Fans auf Mehrwegbecher umgestellt. Aber wo es
       aufwändiger, kostspieliger, langfristiger werde, beim Thema Mobilität und
       Infrastruktur, „tun sie sich sehr schwer“.
       
       ## Bei Verboten hört das Klima-Engagement auf
       
       Die TSG Hoffenheim ist einer der Vereine, die damit werben, viel zu tun. Im
       August 2019 hat der Verein im Rahmen seiner Zukunftsstrategie erklärt, alle
       seine Aktivitäten unter Klimaneutralität zu stellen. Nicht vermeidbare
       Emissionen gleicht der Klub nach eigenen Angaben mit einem
       WWF-GoldStandard-Projekt in Uganda aus. Vor der Saison hat die TSG laut
       einer eigenen Pressemitteilung 3.000 Tonnen Co2 neutralisiert; die
       Klima-Kollekte etwa berechnet 23 Euro für eine Tonne Co2, das wären gute
       66.000 Euro. „Unser Engagement wurde verhältnismäßig sehr positiv
       wahrgenommen“, sagt Stefan Wagner, zuständig für die
       Unternehmensentwicklung bei Hoffenheim. „Die Resonanz bei ökologischen
       Themen hat extrem zugenommen.“
       
       Der Bundesligist möchte noch mehr tun: Mit einem Klimaticket sollen Fans
       freiwillig Bäume pflanzen lassen können, das soll noch in der Hinrunde
       kommen. Außerdem werde an einer Umwelterklärung und an Recycling
       gearbeitet. Ein wichtiges, keineswegs selbstverständliches Engagement.
       Alles gut also?
       
       Es gibt Kritiker. Thomas Fischer sagt: „Ein Verein ist per se nicht
       klimaneutral, dazu hat Fußball zu große Auswirkungen auf die Umwelt.“ Und
       die TSG gleicht natürlich nicht die Anreisen der Fans aus, die aber den
       Löwenanteil der Emissionen bei Großveranstaltungen ausmachen. Auch deshalb
       wären transparente Standards wichtig, um Ausstoß und Einsparungen objektiv
       prüfen zu können. Das fehlt. Die DUH und Fischer fordern seit Langem von
       der DFL Klimaschutzziele und Handlungsleitfäden für die Bundesligisten.
       „Viele Klubs tun etwas, aber im Moment kocht jeder sein eigenes Süppchen
       und macht eigene Fehler. Die DFL fühlt sich nicht zuständig.“
       
       Spätestens wenn es um mögliche Verbote geht, werden die Grenzen des
       Klima-Engagements sichtbar. Stefan Wagner von Hoffenheim windet sich bei
       dem Thema. Druck von Fans und Partnern sei doch ein besseres Mittel, findet
       er. „Aber alles, was hilft, ist gut. Doch es wird nicht funktionieren, wenn
       immer mehr Leute sich laut dazu äußern.“ Viele offene Fürsprecher haben
       Regulierungen nicht.
       
       ## Fußball als gesellschaftliches Vorbild
       
       Und die Mobilität? Es ist die große Systemfrage im Fußball. Einiges dürfte
       sich einsparen lassen durch kluge Kooperation mit dem ÖPNV, durch bessere
       Wahl von Spielorten. Und dann? Dann jetten Teams und Fans weiterhin um die
       Welt, zu immer mehr Wettbewerben. Die Internationalisierung schreitet fort.
       „Es besteht im Fußball eine direkte Abhängigkeit: Wer erfolgreich sein
       will, muss auch fliegen“, sagt Stefan Wagner, und befreit den Klub gleich
       von der Eigenverantwortung: „Wir lösen das nicht darüber, ob ein einzelner
       Bundesligist nicht mehr fliegt.“
       
       Es gibt Grenzen des Umwelt-Enthusiasmus. Aber nennt sich nicht gerade der
       Fußball so gern ein gesellschaftliches Vorbild? Würde es ihm nicht ohnehin
       guttun, abzuspecken, weniger neue Wettbewerbe auszuspielen, womöglich die
       einzelnen Spiele wieder aufzuwerten durch ein Weniger? Wagner sagt: „Die
       Systemfrage Einschränkung betrifft die gesamte Gesellschaft. Wenn die
       Gesellschaft bereit ist, werden die Einschränkungen auch den Fußball
       betreffen.“ Wann wird das sein?
       
       21 Sep 2019
       
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