# taz.de -- Naomi Klein über die Klimakrise: „Beginn der Ära der Klimabarbarei“
       
       > Was kann man tun, um den Klimawandel zu stoppen? Nichts, sagt die Autorin
       > Naomi Klein. In ihrem neuen Buch sucht sie dennoch nach Lösungen.
       
 (IMG) Bild: „Es gibt mir Hoffnung, dass wir endlich die Vision für das haben, was wir wollen“, sagt Klein
       
       taz: Frau Klein, warum veröffentlichen Sie dieses Buch gerade jetzt?
       
       Naomi Klein: Die Art und Weise, wie wir über den Klimawandel sprechen, ist
       oft zu kleinteilig und zu ignorant gegenüber den anderen Krisen, mit denen
       wir konfrontiert sind. Das große Thema, das sich durch dieses Buch zieht,
       ist der Zusammenhang zwischen der wachsenden Krise der white supremacy, den
       verschiedenen Formen des Nationalismus, der Tatsache, dass so viele
       Menschen aus ihren Heimatländern vertrieben werden, und dem Krieg, der um
       unsere Aufmerksamkeitsspanne geführt wird. Diese Krisen überschneiden sich
       und sind miteinander verbunden. Und so müssten auch die Lösungen sein.
       
       Das Buch versammelt Essays aus den letzten zehn Jahren. Denken Sie heute
       über manche Fragen anders? 
       
       Ich denke heute, dass ich der Herausforderung des Klimawandels für die
       Linke nicht genug Nachdruck verliehen habe. Es ist offensichtlicher, wie
       die [1][Klimakrise eine rechtsgerichtete Weltanschauung] und den Kult des
       Zentrismus herausfordert, der nie etwas Großes verändern will, sondern
       immer versucht, sich auf halbem Wege entgegenzukommen. Aber eine linke
       Weltanschauung, die im Wesentlichen nur daran interessiert ist, die
       Verheerungen des Extraktivismus, also des Prozesses der Entnahme
       natürlicher Ressourcen aus der Erde, anders zu verteilen, wird auch neu
       gefordert, da sie die realen Grenzen unseres endlosen Konsums bisher
       genauso wenig in ihre Rechnung einbezieht.
       
       Was hält die Linke davon ab, diese Herausforderung anzunehmen? 
       
       Im nordamerikanischen Kontext ist es das größte Tabu, zuzugeben, dass es
       tatsächlich Grenzen geben wird. Das trifft den amerikanischen Traum mitten
       ins Herz. Jede Generation soll mehr bekommen als die vorangegangene, es
       gibt immer eine neue Grenze, die man erobern kann – das ist die Grundidee
       von Kolonialnationen, von Siedlernationen wie der unseren. Wenn nun jemand
       kommt und sagt, dass es Grenzen gibt, die nicht zu verändern sind, dass wir
       einige schwierige Entscheidungen treffen müssen, wie wir mit dem, was noch
       übrig ist, umgehen, dass wir gerecht teilen müssen – nun, das wird
       psychologisch als eine Attacke empfunden.
       
       Das wollte die Linke vermeiden: Nein, wir werden euch eure Sachen nicht
       wegnehmen, es wird auch viele Vorteile geben. Und es stimmt ja: Wir werden
       lebenswertere Städte haben, die Luft wird weniger verschmutzt sein, wir
       werden weniger Zeit im Verkehrsstau verbringen, wir können ein
       glücklicheres und reicheres Leben gestalten. Aber wir werden verzichten
       müssen auf unseren endlosen Wegwerfkonsum. Was mich wirklich erschreckt,
       ist das, was an unseren Grenzen in Europa, Nordamerika und Australien
       passiert.
       
       Es ist kein Zufall, dass die Länder, die der Motor dieses Kolonialismus
       sind, dabei an vorderster Front stehen. Wir erleben heute die Anfänge einer
       Ära der Klimabarbarei, wir haben das in Christchurch und in El Paso
       gesehen, wo die Gewalt von weißen Suprematisten sich mit einem bösartigen
       Rassismus verbunden hat.
       
       Das ist einer der erschreckendsten Abschnitte Ihres Buches. Diese
       Verknüpfung haben viele Menschen noch nicht wahrgenommen. 
       
       Dieses Muster ist aber seit einiger Zeit klar. Das Zeitalter des
       wissenschaftlichen Rassismus beginnt analog zum transatlantischen
       Sklavenhandel und es liefert eine rationale Begründung für diese
       Brutalität. Wenn wir auf den Klimawandel reagieren wollen, indem wir
       Festungen aus unseren Grenzen machen, dann werden natürlich genau die
       Theorien zurückkehren, die so etwas rechtfertigen und solche Hierarchien
       zwischen Menschen erst schaffen. Dafür gibt es schon seit Jahren Anzeichen,
       jetzt ist es nur schwieriger zu leugnen, weil es Mörder gibt, die das von
       den Dächern schreien.
       
       Sie schreiben: „Die Antwort auf die Frage ‚Was kann ich als Individuum tun,
       um den Klimawandel zu stoppen?‘ lautet: Nichts. Das ist die harte
       Wahrheit.“ Glauben Sie das immer noch? 
       
       [2][In der CO2-Frage] werden sich die individuellen Entscheidungen, die wir
       treffen, nicht annähernd zu dem Ausmaß an Veränderung summieren, das wir
       brauchen. Dass es für so viele Menschen so viel angenehmer ist, über
       unseren eigenen persönlichen Konsum zu sprechen als über systemrelevante
       Veränderungen, ist ein Produkt des Neoliberalismus. Wir wurden darauf
       trainiert, uns zuerst als Verbraucher zu sehen und sehr klein zu denken.
       Wenn wir historische Analogien wie den New Deal oder den Marshallplan
       aufgreifen, versetzt uns das in eine Zeit, in der wir uns Veränderungen in
       diesem Ausmaß noch vorstellen konnten. Deshalb ist es so wichtig, dass
       Greta Thunberg sich selbst zu einem lebenden Ausnahmezustand gemacht hat.
       
       Sie segelte mit einer Zero Carbon Yacht zum UN-Klimagipfel nach New York. 
       
       Genau. Aber es geht nicht darum, was Greta als Einzelperson tut. Es geht
       darum, welche Nachrichten Greta auslöst durch die Entscheidungen, die sie
       als Aktivistin trifft, und ich respektiere das absolut. Ich finde es
       großartig. Sie nutzt die Macht, die sie hat, um zu verbreiten, dass wir auf
       den Katastrophenfall zusteuern. Sie versucht, Politiker dazu zu
       inspirieren, diesen Notfall entsprechend zu behandeln. Wir müssen unsere
       eigenen Entscheidungen und Verhaltensweisen hinterfragen, aber man kann die
       individuellen Entscheidungen auch überbetonen. Ich treffe Entscheidungen
       für mein eigenes Leben, aber ich mache mir keinerlei Illusionen darüber,
       dass diese Entscheidungen die große Veränderung bringen werden.
       
       Sie empfehlen immer wieder Richard Powers Roman „Wurzeln des Lebens“.
       Warum? 
       
       Powers schreibt darüber, dass Bäume in Gemeinschaften leben, miteinander
       kommunizieren und gemeinsam planen und reagieren. Wir haben uns ein völlig
       falsches Konzept vom Leben der Bäume gemacht. Es geht um das gleiche Thema,
       über das wir gerade gesprochen haben: Lösen wir diese Krise als
       Einzelperson oder wollen wir [3][den kollektiven Organismus retten]? Es
       kommt selten vor, dass ein guter Romanautor Aktivisten aufwertet, ihnen mit
       echtem Respekt begegnet, auch ihre Misserfolge und den Heroismus anerkennt,
       mit dem sie ihren eigenen Körper aufs Spiel setzen.
       
       Was haben die Aktivisten von Extinction Rebellion Ihrer Meinung nach
       erreicht? 
       
       Sie haben es geschafft, aus einem Kampagnenmodell auszubrechen, in dem wir
       lange gefangen waren – wo Sie jemandem etwas wirklich Beängstigendes
       erzählen, die Person dann bitten, auf einen Link zu klicken, um etwas
       dagegen zu tun. Dabei haben wir aber die ganze Phase ausgelassen, in der
       wir zusammen trauern und verarbeiten, was wir gesehen haben.
       
       Sie sprechen in Ihrem Buch auch über Durchhaltevermögen. Wie schaffen Sie
       persönlich das? Haben Sie noch Hoffnung? 
       
       Das ist kompliziert. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht Momente habe, in
       denen ich schiere Panik und blankes Grauen empfinde und der festen
       Überzeugung bin, dass wir zum Untergang verurteilt sind. Aus diesen
       Gefühlen versuche ich mich wieder zu befreien. Ich fühle mich regeneriert
       durch die neue Generation, weil sie so entschlossen und kraftvoll ist. Mich
       inspiriert ihre Bereitschaft, sich bei den Wahlen zu engagieren, weil meine
       Generation immer den Verdacht hatte, wir machen uns mit Wahlpolitik nur die
       Hände schmutzig; so haben wir viele Möglichkeiten verpasst.
       
       Im Moment gibt es mir Hoffnung, dass wir endlich die Vision für das haben,
       was wir wollen, zumindest den ersten groben Entwurf. Das erlebe ich zum
       ersten Mal in meinem Leben. Hinzu kommt: Ich habe einen siebenjährigen
       Sohn, der ganz verliebt ist in die Natur. Wir haben gerade einen ganzen
       Sommer über die Rolle des Lachses für die Ernährung der Wälder gesprochen,
       der Wälder, in denen er geboren wurde, in British Columbia – wie die
       Gesundheit der Bäume, des Bodens, der Bären und der Orcas in diesem ganzen
       fantastischen Ökosystem zusammenhängt.
       
       Und dann denke ich darüber nach, wie es wäre, wenn ich ihm sagen müsste,
       dass es keine Lachse mehr gibt … das bringt mich um. Das motiviert mich.
       Und es erschlägt mich.
       
       Aus dem Englischen von [4][Gaby Sohl]
       
       Diese Geschichte [5][erschien ursprünglich im Guardian] und wird hier im
       Rahmen der Partnerschaft der taz mit Covering Climate Now, einer globalen
       Zusammenarbeit von mehr als 250 Nachrichtenagenturen, erneut
       veröffentlicht, um die Berichterstattung über die Klimastory zu verstärken.
       
       19 Sep 2019
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] /Klimawandel-und-Waldsterben/!5622609
 (DIR) [4] /Gaby-Sohl/!a22923/
 (DIR) [5] https://www.theguardian.com/books/2019/sep/14/naomi-klein-we-are-seeing-the-beginnings-of-the-era-of-climate-barbarism
       
       ## AUTOREN
       
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