# taz.de -- Psychologin Eva Walther über AfD-Wähler: Es gibt eine Radikalisierung
       
       > Sie wählen gegen jede Vernunft und oft gegen ihre eigenen Interessen die
       > AfD. Eva Walther spricht über psychologische Mechanismen und Prävention.
       
 (IMG) Bild: Lautsprecher: Björn Höcke
       
       taz: Frau Walther, Sie haben die AfD und ihre WählerInnen psychologisch
       betrachtet. Was trägt das zum Verständnis bei? 
       
       Eva Walther: Die Idee entstand gemeinsam mit Studierenden in einem
       Psychologieseminar an der Uni Trier. Wir wollten verstehen, warum die Leute
       AfD wählen. Und sind dabei auf drei verschiedene Konfliktlinien gestoßen,
       eine ökonomische, eine identitätsbezogene und eine Vertrauenslinie, die an
       deprivierten, also nicht erfüllten menschlichen Bedürfnissen ansetzen. Das
       erste ist das Bedürfnis nach existenzieller Versorgung und materieller
       Sicherheit. Der gesellschaftliche Hintergrund sind die Finanzkrise und die
       soziale Ungleichheit. Das Gefühl von materieller Sicherheit ist ja nie ein
       absolutes, sondern hängt vom Vergleich mit anderen ab. Manche haben das
       Gefühl, dass man selbst zu kurz kommt.
       
       Geht es nur um ein Gefühl? 
       
       Nein, es gibt auch eine tatsächliche Unterfütterung, schließlich wächst zum
       Beispiel der Niedriglohnsektor in Deutschland. Und ein Teil der AfD, der
       Flügel um Björn Höcke, versucht hier anzuknüpfen, etwa mit dem Angebot
       exklusiver Sozialleistungen für Passdeutsche.
       
       Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass nicht nur die sogenannten
       Abgehängten AfD wählen. 
       
       In unserer zweiten Konfliktlinie geht es um Menschen, die sich nicht mehr
       wertgeschätzt fühlen. Die Gesellschaft hat sich durch Liberalisierung und
       Modernisierung so verändert, dass viele althergebrachten Quellen der
       Wertschätzung nicht mehr existieren: Das Familienoberhaupt, die enge
       Bindung an einen Betrieb, das gibt es nicht mehr. Die Strukturen sind
       flexibel und globalisiert. Hier sind Konservative anfällig, die nicht die
       Vergangenheit wiederhaben wollen, sondern sogar eine schönere
       Vergangenheit. Sie spricht die AfD zum Beispiel durch die Leugnung des
       Klimawandels oder durch ihre Geschlechterpolitik an. Die Heterogenität der
       Partei ist auch Programm, um ganz unterschiedliche Wählerinnen und Wähler
       zu gewinnen.
       
       Und die dritte Linie? 
       
       Da geht es um die, die lange nicht mehr wählen waren, die enttäuscht und
       wütend sind. Denen wird das Angebot gemacht, den etablierten Parteien den
       Marsch zu blasen.
       
       Und das Bedürfnis nach Sicherheit? 
       
       Das ist aufgeteilt. Zum einen geht es um materielle Sicherheit, die gehört
       in die erste Linie, und um Vertrauen in die Politik, das in die dritte
       gehört. In dieser geht es darum, enttäuschte, ängstliche und wütende
       Menschen anzusprechen. Da bietet die AfD vermeintliche Kontrolle an, etwa
       dadurch, die Flüchtlinge draußen zu lassen. Bei allen Heterogenitäten gilt:
       Das Ausgrenzende eint alle in der Partei. Das ist der Kern, die anderen
       Dinge werden für unterschiedliche Wählergruppen drumherum gruppiert.
       
       Setzt die AfD psychologische Faktoren geschickter ein als andere Parteien? 
       
       Ich würde nicht von geschickter sprechen, sondern eher von effektiver. Sie
       setzt sehr effektiv auf emotionale Faktoren und delegitimiert rationales
       Denken, zum Beispiel in der Klimapolitik.
       
       Wie kann man dem beikommen – mit Fakten vermutlich nicht? 
       
       In einer Podiumsdiskussion auf keinen Fall. Die AfD versucht nicht durch
       Argumente zu überzeugen, sondern durch gezielte Normüberschreitungen
       Stimmung zu machen und negative Emotionen zu legitimieren. Sie versuchen,
       sich als Opfer oder Helden zu stilisieren. Das sind Narrative, die
       psychologisch sehr wirksam sind. Da kann man mit sachlichen Gegennarrativen
       wenig ausrichten.
       
       Und jenseits von Talkshows? Die AfD bietet ja wenig Antworten auf die
       Herausforderungen unserer Zeit. 
       
       Kommen wir noch mal auf Selbstwertschätzung und Identität zurück. Wenn Sie
       das Gefühl haben, ihre Lebensleistung und ihre soziale Gruppe werden nicht
       wertgeschätzt und dann kommt eine Partei, die sagt: Es ist ein Wert an
       sich, Deutscher zu sein, es ist ein Wert an sich, in einer bestimmten
       Region zu leben: Das ist eine Aufwertung, die einen positiven
       psychologischen Effekt bewirkt, der völlig unabhängig von Sachpolitik ist.
       Auch die Abwertung von Minderheiten geht häufig mit einer hydraulischen
       Aufwertung der eigenen Gruppe einher. So erzeugt die AfD gute Gefühle,
       Selbstaufwertung. Sachargumente sind dagegen nicht sehr wirksam, weil die
       AfD auf anderen Subebenen funktioniert.
       
       Was sollten die anderen Parteien machen? 
       
       Deutlich stärker auf die deprivierten Gefühle eingehen und sie politisch
       systematisch adressieren. Das Leben vieler Menschen zum Beispiel in
       ländlichen Räumen wurde ja tatsächlich vernachlässigt. Mobilitätsbedürfnis,
       materielles Sicherheitsbedürfnis – alles Themen, die vernachlässigt wurden.
       Klar ist auch, dass die Politik das große Thema soziale Ungleichheit zu
       wenig bearbeitet hat. Das muss sich ändern, um negativen Gefühlen den Boden
       zu entziehen. Und mit dem Begriff Solidarität könnte man zum Beispiel
       positive Gefühle erzeugen, ohne dass dies auf Kosten anderer geht.
       
       Damit kommt man aber nicht den konservativen Wählern in ihrer zweiten
       Gruppe bei. 
       
       Stimmt. Allerdings kann Wertschätzung auch politisch durch Anerkennung von
       Lebensleistungen vermittelt werden.
       
       Warum verfängt das alles bei Männern besser? 
       
       Männer sind einer größeren Entwertung durch den gesellschaftlichen Wandel
       ausgesetzt. Wir leben zwar weiter im Patriarchat, aber am eingebauten
       Privileg der weißen Männer wird doch ein wenig gerüttelt. Die AfD bedient
       am besten das Bedürfnis der Männer, wieder Status und Macht
       selbstverständlich für sich zu reklamieren. Und der Heldenmythos, mit dem
       sich Männer wie Höcke umgeben, spielt natürlich auch eine Rolle.
       
       Wie erklären Sie als Psychologin die Radikalisierung, die wir bei einzelnen
       Personen sehen, aber auch im gesellschaftlichen Prozess? 
       
       Radikalisierung hat ja etwas mit Normenverschiebung zu tun, und die
       betreibt die AfD systematisch und sehr effektiv. Es werden Dinge
       legitimiert, die gesagt oder getan werden dürfen, die früher sanktioniert
       worden wären. Das kann man als Radikalisierung bezeichnen oder als
       Verschiebung des politischen Koordinatensystems. Was man heute als rechts
       bezeichnet, wäre früher noch rechtsradikal gewesen.
       
       Positionen wie die von Alfred Dregger oder Manfred Kanther gehörten früher
       selbstverständlich zur CDU. 
       
       Stimmt, es gab diese CDU-Politiker nah an der rechten Wand, Strauß gehörte
       ja auch dazu. Aber es war keine Bewegung, wie das heute der Fall ist. Die
       AfD wird von einer rechten Bewegung getragen, zu der Pegida, die
       Identitären, die Ein-Prozent-Bewegung gehören. Politik materialisiert sich
       ja, wenn sie die Massen ergreift. Und diese rechte Massenbewegung, die gab
       es damals nicht. Zudem ist zentral, dass die Äußerung von rechtsradikalen
       Meinungen in vielen Kreisen heute als legitim gilt. Dass rechte Politik
       hoffähig geworden ist. Und dass rechtsintellektuelles Gedankengut die
       Gesellschaft zunehmend durchdringt. Und das würde ich auf jeden Fall als
       Radikalisierung bezeichnen. Da muss man gegenhalten.
       
       18 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine am Orde
       
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