# taz.de -- So könnte die AfD an die Macht kommen: Deutschland 2025
       
       > Bei der vorgezogenen Bundestagswahl wird die AfD stärkste Kraft. Draußen
       > proben Hooligans schon den Bürgerkrieg. Ein Szenario.
       
 (IMG) Bild: Höcke als Kanzler? Erstmal nicht. Aber vielleicht Kalbitz als Superminister im Kabinett Spahn
       
       Nehmen wir an, [1][die AfD wird bei Neuwahlen im Jahr 2025 stärkste Kraft.
       Sagen wir: 33 Prozent]. Damit wäre sie nicht regierungsfähig. Sie wäre auf
       die Hilfe einer der anderen Parteien angewiesen. Aber unter dem Haufen der
       als „Altparteien“ verachteten findet sie keinen Koalitionspartner. Die
       anderen denken nicht daran, die AfD als Wahlsiegerin an einer
       Bundesregierung zu beteiligen. Sie „klüngeln“. Sie verbrüdern sich. Es
       kommt vielleicht zur Verschwisterung des größtmöglichen Albtraums des
       deutschen Konservativen (der ihn nur immer weiter in die Arme der Rechten
       treibt): eine nationale „Rettungskoalition“ aus CDU, SPD und Linke. Die
       lüsternen Verdammnisrufe von Hans-Georg Maaßen werden lauten: „In dem
       Augenblick, als die CDU mit den Linken paktierte, ging die Demokratie
       unter!“
       
       Das ist, was der Konservatismus gerne der Öffentlichkeit einreden möchte:
       Deutschland habe einen „Bastard“ von Regierung. Nicht illegal. Aber
       vollkommen illegitim. Den Berichterstattern dämmert am Wahlabend die
       „Katastrophe“ – die Illegitimität einer Regierung.
       
       Im ZDF versucht Claus Kleber seinen Zuschauern zu erklären, dass die neue
       Regierung künftig offen gegen die stärkste Partei regieren wird. Die
       Demokratie kämpft mit dem Problem, nicht dem Willen der stimmenmäßig
       stärksten Partei zu folgen. Die Partei, die auf demokratischem Weg 33
       Prozent der Stimmen erzielte, wird nicht den Bundeskanzler stellen. Für die
       nüchterne Demokratin ist das kein Drama. Aber der Konservative macht daraus
       eins. Kommentatoren wie Jan Fleischhauer werden offen ihre Sympathien für
       die starke AfD zeigen, die von den Schwachen und Feigen hinterrücks
       ermordet wird.
       
       Der Stärkere gelangt nicht an sein Recht. Alles wird dadurch hinfällig:
       Politik, Demokratie, SUVs. Die kosmische Ordnung ist in Gefahr. Die
       Überlegenheit der Demokratie – die Schwachen vor der nackten Barbarei des
       Stärkeren zu beschützen – wird intellektuell zu ihrer eigenen Illegalität
       umgebogen. In der Liveschalte kann eine Verfassungsrechtlerin Claus Kleber
       gerade noch überzeugen, dass eben nicht grundgesetzwidrig ist, was da
       geschieht.
       
       ## Auf der Straße sprechen die Fäuste
       
       Aber die stärkste Partei selbst rechnet nicht in den Kategorien des
       Grundgesetzes. Sie rechnet in der Kategorie der Macht. Sie denkt voraus.
       Sie sieht diese Situation kommen. Sie weiß, welches Schicksal ihr droht und
       stellt sich darauf ein, was denn sonst? Eine Blockierung ihrer Macht wird
       die AFD um jeden Preis verhindern wollen.
       
       Obwohl die Wahlergebnisse spät abends verkündet werden, zieht die AFD
       bereits nachmittags ihre Anhänger auf den Straßen Berlins zusammen. Was da
       zutage tritt, sind die zu allem bereiten Bürgerkriegstreiber, das fahrende
       Volk, das bis heute an allen „Trauermärschen“, Mahnwachen, [2][„Hooligans
       gegen Salafisten“, in Kandel oder Chemnitz] aufmarschiert. In der Welt der
       hochmodernen Braunbürger herrscht ja heute schon ein neuer Ton der
       Direktheit. Sie nennen sich „Hoonara“ (was für „Hooligans, Nazis und
       Rassisten“ steht) oder „NS-Boys“. In Chemnitz operierten die
       „Adolf-Hitler-Hooligans“, die mit einem eigenen Logo sogar in
       Zeitungsartikeln zu finden sind.
       
       Es schlägt 19 Uhr. Eine Stunde nach Verkündung der ersten Wahlprognosen,
       die den Rest der Republik haben verstummen lassen. Auf der Straße sprechen:
       die Fäuste. Peter Altmaier wird vom „Volk“ aus dem Fenster geworfen. Seine
       Bücher, die er in den Jahren zuvor aufwändig hat inszenieren lassen,
       fliegen hinterher. Jemand legt Feuer. Die Wohnung brennt. Die Fahrzeuge der
       Feuerwehr werden umgeschmissen und als Barrikade benutzt. Der „Bürgerkrieg“
       kann beginnen.
       
       20 Uhr, die ersten Bierflaschen fliegen gegen die Einsatzkräfte auf der
       Kronprinzenbrücke, die ins Regierungsviertel führt. Alles sieht genauso
       aus, wie es in Chemnitz aussah. Es folgt eine lange Nacht. Bolivianische
       Zustände – mitten in Deutschland. Klirrende Flaschen, „Hey!“-Schreie,
       Chaos. Polizisten schießen Tränengas in die Bodybuilder-Mengen.
       Wasserwerfer laufen auf Hochtouren.
       
       ## Für Totalitarismus reichen 33 Prozent
       
       Aber als handelte es sich um die Neueröffnung eines Mediamarktes, schiebt
       sich die Masse unaufhörlich ins Regierungsviertel und – zuletzt – auch bis
       ins Kanzleramt. Statt billiger Fernseher wartet die Macht. Die alten
       Kanzlerportraits aus den Fenstern. Sprengsätze. Teile des Kanzleramts
       werden einfach gesprengt. Selbst wenn die Bundeswehr spät in der Nacht die
       Oberhand gewinnt, ist morgens klar: die Bundesrepublik ist in eine neue
       Phase eingetreten. Meistens gibt es für diesen namenlosen Transitzustand
       keine Heilung.
       
       Es ist eine unserer größten Schwächen zu glauben, dass eine totalitäre
       Partei 100 Prozent aller Stimmen bräuchte. Es genügen 33,1 Prozent (so
       viele waren es für die NSDAP im November 1932, bei den letzten
       Reichstagswahlen, bevor Hitler Kanzler wurde). Deshalb ist es heute auch
       schon sehr spät.
       
       Und 2025? Nach zähen Regierungsverhandlungen zwischen CDU, Linken und SPD
       reißt der Geduldsfaden derer, die sich für klüger halten, also von [3][Jens
       Spahn, Paul Ziemiak und Carsten Linnemann]. Die Anführer des adretten
       Sneaker-Konservatismus sehen sich und ihre Stunde gekommen. Die vielen
       Heldenporträts von Stefan Aust gingen nicht spurlos an ihnen vorüber. Spahn
       und Ziemiak treffen sich im Geheimen mit Andreas Kalbitz, dem
       frischgebackenen Gauland-Nachfolger. Sie wollen verhandeln. Sie wollen der
       Geschichte ein Schnippchen schlagen.
       
       Sie wollen die AfD von innen spalten. Deshalb verhandeln sie nicht mit dem
       Anführer der Herzen, Björn Höcke, sondern mit ihrem formalen Vorsitzenden,
       Kalbitz. Aber sind sie wirklich so bescheuert, Kalbitz zu fragen, ob er als
       Bundeskanzler von ihnen – den politisch Ungeduldigen, denen die
       konservativen Kommentatoren jahrelang eingebläut haben, sie besäßen
       „Charisma“ – gehörig gegen die Wand gedrückt werden möchte, bis er
       quietscht? Vielleicht ist die neue CDU-Führung mit weniger Dünnhäutigen
       gesegnet.
       
       ## Es herrscht Notstand
       
       Aber was würde das bringen? Die „Adolf-Hitler-Hooligans“, Pegida, die
       „NS-Boys“ und die „Soldiers of Odin“ treffen sich wöchentlich und setzen
       die Hauptstadt mit Plünderungen und Ausschreitungen auf ihre Weise unter
       Druck. Die Privatwohnungen aller höherrangigen demokratischen Politiker
       werden rund um die Uhr bewacht. Und dennoch schlagen die Gewaltbereiten
       wieder und wieder guerillamäßig zu. Auch Christian Lindner, der überall
       erklärt, mit der AfD reden zu wollen, wird als Kriegsbeute aus seinem
       zeitungslosen Lieblingscafé in Berlin-Mitte getragen.
       
       Und wie die harte Rechte mobilisiert die Antifa. Nicht bundes-, sondern
       europaweit reisen Gewalttäter aus Norditalien und Steinewerferinnen aus
       Südfrankreich an. [4][Die Bild veröffentlicht das Konterfei eines
       18-jährigen Mädchens als Ikone der Demokratiefeindlichkeit des
       Linksextremismus]. Während der Bundesrepublik in Chemnitz glückte, dass
       sich die rechten Deutschlandhasser ganz von selbst zerlegten – ohne
       linksradikale Gegengewalt – (manch Konservativer schien regelrecht
       entsetzt, dass in Chemnitz keine Linksradikalen waren), wendet sich das
       Blatt. Nicht nur von ganz rechts, auch von links wird der
       Sicherheitsapparat der Bundesrepublik Stück für Stück vorgeführt.
       
       Es herrscht Notstand. Das Regierungsviertel gleicht militärischem
       Sperrgebiet. Dort gelten weder Pressefreiheit noch Grundrechte. Das Glück
       der Abwesenheit linksradikaler Gewalt wird der Bundesrepublik auf lange
       Sicht nicht vergönnt sein. Und deshalb ereignet sich das größte Unglück
       eines „Bürgerkriegs“: die Entpolitisierung.
       
       Linksradikale drängen in die Schlachtarena nach. Claus Kleber nennt die
       allwöchentlichen Straßenschlachten jetzt: „Unruhen“. Die New York Times
       bezeichnet Deutschland als „Pulverfass“. Es ist die Stunde der
       Unpolitischen. Die Auslandskorrespondenten, die allmorgendlich von den
       „Adolf-Hitler-Hooligans“ auf der Brücke über die Spree bedrängt werden,
       fragen sich wie alle anderen, die nichts von politischer Inszenierung
       verstehen: Wie konnte Deutschland nur zu diesem Krisenherd des Extremismus
       von ganz rechts wie links werden?
       
       ## Die AfD in der Regierung
       
       Das Leben geht weiter. Aber die Rettungskoalition für die Demokratie
       bricht. Vielleicht gelingt es der Koalition, sich der Ungeduld eines Jens
       Spahn zu entledigen. Vielleicht dümpelt sie so vor sich hin. In jedem Fall
       kommt es zu Neuwahlen, Neuwahlen und nochmals Neuwahlen. Und die bestätigen
       immer nur das alte Kräftepatt – zwei-, dreimal. Die „Unruhen“ nehmen zu.
       Wohnungen, Barrikaden, vielleicht auch das ARD-Hauptstadtstudio (heute
       schon eine Hassikone des Rechtsextremismus) brennen. Blut fließt. Mitten in
       die Einheitsregierung fallen Schüsse – und zwar auf die weniger gut
       bewachten politischen „Gegner“. Statt Abwehrbereitschaft befördert die
       Gewalt den traditionellen Fatalismus des Konservatismus.
       
       Angesichts von Sprengstoffattentaten sehnen sich die Ersten nach einer
       harten Hand, die aufräumt. Sie werden es anders nennen, aber sie wollen
       eine Diktatur, die der Anarchie Herr wird und die Demokratie rettet. Die
       ersten Kommentatoren raten, es doch einmal zu versuchen.
       
       Die AfD an der Regierung beteiligen? Nur wie? Es ist angesichts der
       deutschen Geschichte nicht wahrscheinlich, dass die AfD in einer
       „rechtskonservativen“ Koalition den Kanzler stellen wird, nachdem Adolf
       Hitler schon einmal zum Kanzler gekürt wurde. Das wäre selbst für den
       extremistischen Konservativen zu viel. Da können sie eine CDU-AfD-Koalition
       noch so wollen. In dieser Ratlosigkeit meldet sich Jens Spahn zurück. Er
       fährt bei Kalbitz vor. Und macht ihm ein Angebot schmackhaft. Spahn wird
       Kanzler, die AfD stellt den Innenminister!
       
       Das genügt dem Machtanspruch natürlich nicht. Jeder weiß das. Was also tun,
       wenn die Geschichtsbücher es nicht zulassen, dass das Bundeskanzleramt in
       die Hände der AfD fällt?
       
       ## Spahn hat eine Idee
       
       Spahn hat eine besonders dumme, rettende Idee. Sein Referent erinnert sich
       an einen Einfall aus der Schröder-Ära. Da gab es einen „Superminister“
       namens Wolfgang Clement. Kalbitz soll ein „Superministerium“ bekommen.
       Spahn bietet der AfD an, Innen- und Gesundheitsministerium unter seiner
       Kanzlerschaft für die AfD zusammenzulegen. Kalbitz aber ist klüger. Er
       fordert arglos die Bundeswehr. Spahn, beglückt über so viel Entgegenkommen
       und die Aussicht auf seine Kanzlerschaft, bekommt für diesen Plan sogar die
       CSU auf Linie.
       
       Spahn wird Kanzler. Kalbitz erhält das neu geschaffene Superministerium aus
       Innerem und Verteidigung. Spahn und Kalbitz. Spahn bedient sich der AfD.
       Und Kalbitz bedient sich Spahns. So spielt die Bundesrepublik mit dem
       Faschismus um ihre Existenz – und keiner ahnt es.
       
       Denn es ist keine wundervolle Idee. Es ist sogar die dümmste Idee. Belegt
       durch den Zerfall der Weimarer Republik. Die historische Vorlage dieses
       Fehlers heißt Wilhelm Groener. Im zweiten Kabinett von Brüning leitet er
       ein „Superministerium“: Groener ist Innen- und Verteidigungsminister. Das
       ist so seltsam wie sinnvoll. Genau in einer Zeit, in der das Gewaltmonopol
       des Staates zerfällt, wird alle staatliche Gewalt (Polizei und Militär)
       zusammengelegt. Die Fusion von Innenministerium und Armee ist keine
       skurrile Idee. Sie erscheint für die Sicherung des Gewaltmonopols sogar als
       schlachtentscheidend.
       
       Genauso verhält es sich zur Durchsetzung des Faschismus. – Wir werden
       niemals fertig mit Demokratiefeinden in der Regierung. Sie werden aber
       einen Weg finden, mit der Demokratie fertig zu werden. Die AfD darf niemals
       an einer Regierung beteiligt werden. Daran dürfen wir nicht einmal denken.
       
       3 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Wahlen-in-Sachsen-und-Brandenburg/!5622169
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Ruch
       
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