# taz.de -- Umstrittene Fahndungshilfe nach G20: Steinewerfer vogelfrei
       
       > Viele Hamburger Lokalmedien veröffentlichten die Fotos von mutmaßlichen
       > G20-TäterInnen aus der Fahndung der Polizei. Das ist eine Vorverurteilung
       > der Abgebildeten
       
 (IMG) Bild: Ist sie wirklich eine „Krawall-Barbie“, wie die „Bild“ sie nennt?
       
       HAMBURG taz | Die mediale Treibjagd auf mögliche G20-TäterInnen hat
       begonnen. Seit die Polizei am Montag 104 Fotos von Personen
       veröffentlichte, die sie mit Straftaten im Rahmen der G20-Proteste in
       Verbindung bringt, gibt es kein Halten mehr. Die Hamburger Morgenpost
       platzierte in einer achtseitigen Sonderbeilage gleich 52 Fahndungsfotos von
       mutmaßlichen G20-GewalttäterInnen und bejubelte „die größte Fahndung aller
       Zeiten“.
       
       Das Hamburger Abendblatt brachte gar alle 104 Fahndungsfotos auf zwei
       Zeitungsseiten unter. Die Bild-Zeitung urteilte die Abgebildeten gleich ab,
       und gruppierte die Fahndungsfotos in Rubriken wie „die Schläger von der
       G20-Demo“ und „die Steinewerfer und Flaschenwerfer“. Auf der Titelseite
       präsentierte das Boulevard-Blatt das Fahndungsfoto einer jungen Frau mit
       bauchfreiem Top und nannte sie „Krawall-Barbie“.
       
       Für die Fahndung hatte die 163-köpfige Sonderkommission „Schwarzer Block“
       riesige Mengen von Material gesichtet. Dabei wurden neben Polizeivideos
       auch Dateien von Privat-Handys und JournalistInnen ausgewertet. Bei allen
       104 jetzt veröffentlichten Fotos hätten Richter der öffentlichen Fahndung
       zugestimmt, betonte die Hamburger Polizei. Sie ist nur möglich bei
       „erheblichen Straftaten“ und als letztes polizeiliches Mittel, wenn alle
       anderen Versuche, Verdächtige zu identifizieren, fehlgeschlagen sind.
       
       Kritik an „einer der größten Öffentlichkeitsfahndungen in der Geschichte
       der Bundesrepublik Deutschland“ formulierte vor allem die Linkspartei. Die
       Bundestagsabgeordnete der Linken Ulla Jelpke fühlte sich an die
       „Steckbriefe zu Zeiten der RAF-Hysterie“ erinnert.
       
       ## Linken-Politikerin fürchtet Stigmatisierung der Betroffenen
       
       Für die Innenpolitische Sprecherin der Hamburger Linken, Christiane
       Schneider, ist die Fahndung „kriminalisierend“ und greife „tief in
       Grundrechte von Menschen ein, die einer Straftat verdächtig, aber nicht
       überführt sind. Stehen die Bilder erst einmal im Netz, kann die Polizei
       ihre Verbreitung und den Umgang damit nicht mehr annähernd kontrollieren.“
       Die Abgeordnete befürchtet: „Egal, ob die abgebildeten Personen einmal
       verurteilt oder freigesprochen werden, Ihnen kann eine lebenslange
       Stigmatisierung drohen.“
       
       Auch der Verfassungsrechtler und ehemalige CDU-Bürgerschaftsabgeordnete
       Ulrich Karpen, der die Mammut-Fahndung für „grenzwertig aber rechtmäßig“
       hält, erklärte gegenüber der Morgenpost: „Ich gehe davon aus, dass unter
       den Menschen auf den Fotos auch Unschuldige sind.“
       
       Solche Bauchschmerzen plagen die heutigen Bürgerschaftsabgeordneten der CDU
       nicht – im Gegenteil. Kaum hatte Christiane Schneider ihre Kritik
       formuliert, da forderte die CDU-Fraktion sie auf, als Vizepräsidentin der
       Bürgerschaft zurückzutreten. Ein „derart gestörtes Verhältnis zum
       Rechtsstaat“ wie ihre Kritik offenbare, sei mit dem Amt „nicht vereinbar“,
       
       Vorsichtige Kritik an der Polizeioffensive im rot-grün regierten Stadtstaat
       übt die innenpolitische Sprecherin der Hamburger Grünen, Antje Möller: „Es
       handelt sich bei allen Abgebildeten um Tatverdächtige für die die
       Unschuldsvermutung gilt – deshalb muss mit äußerster Sorgfalt mit diesen
       Fotos umgegangen werden“. Doch einmal im Netz, lasse sich ihre Verbreitung
       nicht mehr steuern.
       
       ## Justizsenator verteidigt Öffentlichkeitsfahndung
       
       Zwischen den Videos, die die Polizei auf ihrer Homepage von einigen
       G20-Straftaten zeige, und den diesen Komplexen zugeordneten Tatverdächtigen
       werde zudem ein „nicht erkennbarer Zusammenhang konstruiert.“
       
       Der grüne Justizsenator Till Steffen verteidigte die
       Öffentlichkeitsfahndung, äußerte aber in Bezug auf die Berichterstattung
       der Bild-Zeitung erhebliche Zweifel, ob sich die Boulevardzeitung der
       Aufgabe, Verdächtige nicht vorzuverurteilen „ausreichend bewusst“ sei.
       Sören Schuhmacher, innenpolitischer Sprecher der regierenden SPD dagegen
       verteidigte die Öffentlichkeitsfahndung pauschal. Sie sei „wichtig und
       richtig“.
       
       20 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Carini
       
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