# taz.de -- Katarina Witt über die Wende: „Man schweigt den Schmerz weg“
       
       > Die Eiskunstläuferin war ein Weltstar, der in der DDR lebte. Sie genoss
       > Freiheiten, um die sie viele beneideten. Doch 1989 bedeutete auch für sie
       > einen Einschnitt.
       
 (IMG) Bild: Die einstige Eisprinzessin Katarina Witt blickt zurück auf die Wendezeit
       
       taz am wochenende: Frau Witt, wir haben hier Fotos aus Ihrer Zeit in
       Karl-Marx-Stadt. 
       
       Katarina Witt: Ach, guck mal an. Die Frau Müller und ich in der
       Trainingshalle in Chemnitz! Oh Gott, wie toll, da müsste ich ungefähr
       dreizehn gewesen sein.
       
       Wen sehen Sie auf diesen Bildern, wer waren Sie damals? 
       
       Das ist ein anderes Mädchen als das, an das ich mich erinnere. Kurze Haare,
       sehr burschikos, eher wie ein Junge. Und ich gucke da ziemlich ernst, Frau
       Müller sagt mir offenbar gerade, wo’s langgeht. Ich höre zu und hab ein
       bisschen Schiss.
       
       Sie war ab 1977 Ihre Trainerin, hatte eine fast soldatische Ausstrahlung.
       Wie streng war diese Frau Müller tatsächlich? 
       
       [1][Frau Müller] war noch strenger, als man sich das ausmalen möchte.
       (lacht) Sie wollte das Beste von uns, das ist nun mal der Trainerjob. Da
       musste sie auch manchmal extrem sein, ohne dass man das gleich persönlich
       nimmt und sofort der Rechtsanwalt angerufen wird, wie das heute läuft. Der
       Sport war schließlich auch für mich eine ernste Sache. Wenn es nicht lief,
       hat man sich das sehr zu Herzen genommen. Ein Sportler muss im Grunde jeden
       Tag über seine Schmerzgrenze hinausgehen können, auch langweilige Sachen
       geduldig wiederholen.
       
       Jutta Müller ist eine starke Frauenfigur in Ihrem Leben. 
       
       Absolut. Sie hat mich geprägt, ich habe lange mehr Zeit mit ihr als mit
       meiner Mutti verbracht. Wenn wir ins Ausland gereist sind, da hat sie mir
       auch mal ’ne Stulle geschmiert oder ein Würstchen unterm Wasserhahn warm
       gemacht. Wir haben ins Ausland Schwarzbrot und Salami mitgenommen, weil wir
       kaum Westgeld hatten, um uns was zu kaufen.
       
       Gibt es heute junge Frauen, die Sie fördern und fordern? 
       
       Na ja, ich fordere vor allem meine Umwelt heraus. (lacht) Aber klar, ich
       treffe oft Frauen, denen ich ein Vorbild war, für die ich ein anderes Bild
       von der DDR rübergebracht habe: nicht immer so trist, wie man uns
       darstellen wollte. Einige erzählen mir auch, sie seien nach mir benannt
       worden.
       
       Sind Sie eine Heldin? 
       
       Überhaupt nicht. Helden sind andere. Ich war eine Leistungssportlerin und
       habe da meine Frau gestanden, auch unter immensem Druck. Wir haben
       Leistungen geliefert, aber wir waren keine Helden, haben uns nicht
       aufgebäumt gegen etwas. Helden sind für mich die Leute, die 1989 auf die
       Straße gegangen sind. Die haben Mut gezeigt, Rückgrat. Ich hatte im Sport
       dagegen das, was ich machen wollte.
       
       Wie kommt es eigentlich, dass es heute in der gesamtdeutschen Erzählung so
       wenige Heldinnen und Helden aus dem Osten gibt? 
       
       Ich bemerke, dass es da noch immer eine Trennung gibt. Als ich zum Beispiel
       nach dem Tod von [2][Sigmund Jähn,] dem ersten Deutschen im All aus der
       DDR, ein älteres Foto von uns beiden auf Instagram geteilt habe, kamen aus
       dem Osten diese Reaktionen: einer von uns, einer unserer Helden, einer von
       unserer Seite. Diese Reaktionen bekomme ich zu meiner Person auch. Auch
       mein Leben hat vor 89 stattgefunden und nach 89. Klar haben wir Nena und
       [3][Modern Talking] gehört – aber „bei uns“ sage ich, wenn es mit meinem
       ehemaligen Land zu tun hat. Auch wenn ich dies nicht wieder zurückhaben
       will. Jetzt gibt es andere Helden, für viele wird das gerade Greta
       Thunberg.
       
       Als Sigmund Jähn verstorben war, entwickelte sich eine Debatte, ob jemand,
       der Generalmajor der DDR gewesen ist, zum Helden taugt. Wie sehen Sie das? 
       
       Ich finde es richtig, dass diese Diskussionen geführt werden. Aber das ist
       ja so, als würde man den Sportlern aus der DDR sagen: Ihr könnt keine
       Helden gewesen sein, denn ihr habt ja ’ne Diktatur repräsentiert. Sigmund
       Jähn und auch ich sind in der DDR aufgewachsen und zur Schule gegangen.
       Jähn wurde es dort ermöglicht, als erster Deutscher ins All zu fliegen. Was
       will man ihm da vorwerfen?
       
       Was wird Ihnen denn 2019 noch vorgeworfen? Sie galten lange als
       SED-Profiteurin. 
       
       Eigentlich nüscht. (lacht) Klar, es gab ’ne Zeit, wo ich sehr polarisiert
       habe. Letztendlich sagen eigentlich alle, ob Ost oder West, dass ich auf
       eine gute Weise meine Meinung, meine Haltung beibehalten habe. Ich habe
       meinem Land und dem Sportsystem alles zu verdanken, meiner Trainerin,
       meinen Eltern. Trotzdem bin ich nicht mit geschlossenen Augen durch die
       Welt gegangen, ich habe gesehen, dass der Sport der Bereich war, in dem
       Menschen wie ich ihre Träume verwirklichen konnten. In anderen Bereichen
       ging das nicht, und das war natürlich schlimm für die Betroffenen. Anderen
       wieder wurde vorgeschrieben, was sie lernen, studieren sollen.
       
       Die Älteren erinnern sich an Sie als die Gold-Kati aus dem Osten, Jüngere
       haben Sie eher als Fernsehpromi auf dem Schirm. Als wer möchten Sie denn
       erinnert werden? 
       
       Ich will nicht als Fernsehpromi gesehen werden. Was ist das denn? Nüscht.
       Ich finde überhaupt dieses Promisein sehr fragwürdig. Ich komme vom Sport,
       und da habe ich eine Lebensleistung abgeliefert und dort fast ein Jahrzehnt
       die Weltspitze mitbestimmt. Das ist es, woran man sich erinnern soll.
       
       Sie sind bekannt dafür, Ihr Privatleben sehr gut zu schützen. Kürzlich aber
       haben Sie doch eine sehr persönliche Geschichte erzählt. Für das
       Porträtbuch „Ostfrauen verändern die Republik“ haben Sie geschildert, wie
       es Ihren Eltern nach der Wende gegangen ist. 
       
       Hören Sie auf, da fange ich gleich wieder an zu heulen.
       
       Ihr Vater ist damals arbeitslos geworden, und Sie haben Ihre Eltern noch
       jahrelang unterstützt. Eine sehr ostdeutsche Erfahrung. Wie geht man als
       Kind damit um? 
       
       Ich war damals 23 Jahre alt. Meine Eltern, die heute über achtzig sind,
       waren damals also genauso alt wie ich heute. Die haben immer versucht,
       Probleme von uns Kindern fernzuhalten. Dieser Umbruch Anfang der Neunziger,
       der Schmerz, der damit einherging, die Verletzungen, das bricht ja jetzt
       erst auf. Unsere Eltern fangen jetzt erst an, offen zu reden, und das ist
       für uns, ihre Kinder, neu.
       
       Wie war das damals in der Familie Witt? 
       
       Als die Mauer fiel, hatten meine Eltern schon ein langes Arbeitsleben
       hinter sich, die Kriegskindergeneration ist ja viel früher ins Berufsleben
       gestartet. Sie hatten erwachsene Kinder und die berechtigte Erwartung,
       jetzt ein Stück persönliche Freiheit gewinnen, die Früchte ihrer Arbeit
       ernten zu können. Also Anerkennung für ihre Arbeit, mehr persönliche
       Freiheiten, Erfahrungen weitergeben. Tatsächlich aber wurde ihnen gesagt:
       Wir haben eigentlich gar keinen Platz mehr für euch. Es ging da nicht nur
       um das Finanzielle, sondern auch um den verletzten Stolz, um diese
       Botschaft: Du bist überflüssig. Da wurde ihnen gesagt: Seid doch froh, ihr
       habt jetzt Freiheit, Demokratie. Aber was fängst du damit denn an, wenn
       gerade das gesamte Kartenhaus deines Lebens zusammenbricht und dich niemand
       an die Hand nimmt?
       
       Was hätte denn damals geschehen müssen? 
       
       Es kam niemand und hat die Ostdeutschen an die Hand genommen. Unsere
       Kompetenzen waren nicht mehr gefragt. Die wenigsten waren ja Unternehmer,
       wir waren eher Macher, so haben wir das gelernt. Wir kamen aus einem Land,
       in dem – entschuldigen Sie den Ausdruck – aus Mist Bonbons gemacht wurde.
       Dinge wurden gelöst.
       
       Aber 1990 kam dieses Prinzip an sein Ende. 
       
       Ja, so war das. Diese Generation musste nach dem Mauerfall um alles, alles
       kämpfen: ihre Rente, die Anerkennung der Abschlüsse und Studienzeiten,
       Frauenrechte, ihre Häuser und Wohnungen. Das ist das Problem heute: Diese
       Menschen fühlen sich zweitklassig behandelt. Sogar bei meiner Frau Müller
       habe ich das damals erlebt.
       
       Was ist passiert? 
       
       Man hat diese Weltklassetrainerin wirklich kaltgestellt. Die Rivalitäten
       zwischen dem ostdeutschen und dem westdeutschen Eislaufverband brachen voll
       auf. Wir waren nun mal die Erfolgreicheren in den zurückliegenden Jahren,
       wir hatten die Weltmeister, die Olympiasieger. Da hatte man schon dieses
       Gefühl: Ihr habt verloren, und wir sagen euch jetzt, wo’s langgeht. Selbst
       hier also, in diesem überschaubaren Bereich, hat man es nicht geschafft,
       die besten Erfahrungen aus beiden Systemen zusammenzuführen. Es gab eine
       große Arroganz, so eine herablassende Siegermentalität.
       
       Haben Sie persönlich das auch zu spüren bekommen? 
       
       Nein. Ich gehöre ja zum Glück dieser Generation an, für die sich die Türen
       noch mal weit geöffnet haben. Mit unserer Schulbildung, unserer Art, das
       Beste aus den Dingen zu machen, sind wir gut durch diese dreißig Jahre
       gekommen. Meine Generation hatte so viele Möglichkeiten. Ich konnte noch
       mal als Profi richtig durchstarten, die Möglichkeit hätte ich in der DDR
       sicher nicht gehabt. Ich habe eigentlich erst in den letzten Jahren richtig
       verstanden, was damals passiert ist. Wir aus dem Osten mussten uns mächtig
       durchbeißen, für viele mit mäßigem Ergebnis. Bis heute gibt es viel zu
       wenige Ostdeutsche in den Führungspositionen. Warum eigentlich?
       
       Sie sagen selbst, dass heute anders über die Zeit der Wende gesprochen
       wird. Haben Sie noch mal mit Ihren Eltern zurückgeblickt? 
       
       Zu Hause eher wenig. Da wird manches weggeschwiegen, man schweigt den
       Schmerz weg. Da geht es ja um Dinge, die im Nachhinein nicht mehr zu ändern
       sind. Wenn man dieser Generation sagt, ihr habt im falschen Land gelebt, im
       falschen System; damit sagst du ihnen ja, ihr habt vierzig Jahre das
       falsche Leben gelebt. Mit welchem Recht sollte man das sagen? Ist doch
       klar, dass diese Menschen sich damals arrangiert haben und sich manche
       Fehler des Systems schöngeredet haben. Es blieb ihnen ja nichts anderes
       übrig.
       
       Also die Vergangenheit lieber beschweigen? 
       
       Ich finde die ganze Debatte gesellschaftlich enorm wichtig. Aber im
       Privaten ist es schwierig, ich spüre da eine große Traurigkeit und
       Verbitterung. Wissen Sie, meinen Eltern geht es gut. Ich habe sie
       ökonomisch auffangen können. Trotzdem war diese Zeit schwierig, besonders
       für Männer. Eigentlich sollten Väter für ihre Kinder sorgen und nicht
       Kinder für ihre Eltern. Heute ist das selbstverständlicher als vor 20
       Jahren. Wir sollten als Jüngere da ein bisschen großzügig und weitherzig
       sein.
       
       Es gibt die These, dass sich bestimmte Erfahrungen von Migrant*innen und
       Ostdeutschen ähneln: der Heimatverlust, die Entfremdung. Sie kennen doch
       die halbe Welt – kann man das so vergleichen? 
       
       Nein, das kann man nicht. Vergleichen kann man eher noch die jetzige
       Situation von Immigrant*innen aus Kriegsgebieten mit der Zeit nach dem
       Zweiten Weltkrieg. Meine Mutti kam aus Hinterpommern, mein Vater aus
       Bessarabien, dem Gebiet des heutigen Moldawien, zum Teil mit der Kutsche
       und nur einem Koffer. Um irgendwo zu landen, was nicht ihr Zuhause war. Man
       kann die Osterfahrung nicht mit dieser Form der Entwurzelung
       gleichsetzen. Und: Die Ost- und die Westdeutschen sprechen zumindest
       dieselbe Sprache, auch wenn wir uns hier und da nicht verstehen.
       
       Dann kommen wir doch einmal zu Ihrer Heimat Chemnitz … 
       
       … ich weiß gar nicht, was meine Heimat eigentlich so ist. Auf
       [4][Instagram] schreibe ich immer von meiner „alten Heimat“.
       
       Was ist dann die neue Heimat? 
       
       Brandenburg und Berlin, hier lebe ich.
       
       Ihre alte Heimat Chemnitz jedenfalls bewirbt sich gerade als
       Kulturhauptstadt 2025. Sie hatten sich dazu vor sechs Monaten positiv
       geäußert. 
       
       Ich fände es gut, wenn Chemnitz das schafft, ja.
       
       Das Motto der Bewerbung ist „Chemnitzer Aufbrüche“. Es geht um Konflikte
       und Gewalt, mit der die Stadt umgehen müsse. Gemeint sind die
       rechtsextremen Ausschreitungen im letzten Jahr. In einem Interview meinten
       Sie, Sie seien über diese erschrocken gewesen. Was genau hat Sie
       erschreckt? 
       
       Mich hat erschreckt, dass die Szene überhaupt so groß werden konnte. Und
       dass diese Demonstranten dann vor unserem Karl-Marx-Nischel standen. Ich
       seh’ dann den [5][Nischel], die Straße der Nationen, ich seh’ uns im
       Trainingsanzug am 1. Mai demonstrieren, und da war alles so farbig.
       Okay, dann sagen die Nächsten jetzt, dass wir für eine Diktatur
       demonstriert haben. Jedenfalls sah ich letztes Jahr eben diese Bilder, auf
       denen alles einfach nur dunkel ist, schwarz und dunkelbraun, Menschen mit
       Aggressionen. Solche Bilder erschrecken mich. Und deshalb bin ich dann umso
       dankbarer und beruhigter, weil es genug Menschen gibt, die mit den Kindern
       und den Kinderwagen, bunten Fahnen und Regenbogen dann doch losziehen und
       sagen: Wir sind eine bunte und offene Gesellschaft.
       
       Warum sprechen Sie nicht konkret von rechtsextremer Gewalt, von Nazis, die
       in Chemnitz aufmarschiert sind? Versuchen Sie bewusst, vorsichtig mit
       bestimmten Begrifflichkeiten umzugehen? 
       
       Ja, das versuche ich tatsächlich. Vielleicht ist es ein Fehler. Doch, man
       muss es ansprechen. Wenn Menschen auf einer Demonstration den Arm zum
       Hitlergruß heben oder Hakenkreuze tragen, ist das Rechtsextremismus. Dem
       muss man sich entgegenstellen. Viele sind zu Mitläufern geworden. Das will
       ich nicht entschuldigen. Aber ich denke, die sind nicht unbedingt rechts.
       Sie sind verzweifelt, weil sie sich nirgendwo mehr zugehörig fühlen.
       
       Glauben Sie, dass reden helfen könnte? 
       
       Ja, wenn man dialogbereit ist. Das sind aber längst nicht alle. Gerade bei
       Rechtsextremismus ist der Staat gefordert. Da muss viel rigoroser
       durchgegriffen werden. Da hat man doch die Zügel ein bisschen schleifen
       lassen. Auch bei Pegida in Dresden: Wenn da Plakate mit Frau Merkel am
       Galgen zu sehen sind, dann muss es sofort einen Zugriff geben, und die
       Menschen gehören abgeführt. Meinungsfreiheit hin oder her. Es gibt Regeln
       und es gibt Grenzen, auch in einer Demokratie.
       
       Um Freiheit wurde im Herbst 1989 gekämpft. Die naheliegendste Frage
       überhaupt: Wo waren Sie am 9. November 1989? 
       
       Ich war in Sevilla in Spanien. Ich hatte den [6][„Carmen on Ice“]-Film
       gedreht. Also befand ich mich auf dem Eis – wo auch sonst? Wir hatten
       Nachtdreh, da kam unser Produzent ans Set. Ein ehemaliger Dresdner,
       Republikflüchtling. Er kam und sagte auf Sächsisch: Di Maur is gefalln. Ich
       so: Wie? Das war komplett absurd. Dann haben wir den Dreh beendet, gegen 6
       Uhr morgens fahre ich zurück ins Hotel, mache das Fernsehen an und sehe
       diese Bilder. Ich saß auf dem Bett, starrte wie gespannt auf den Fernseher
       und konnte noch gar nicht einordnen, was da eigentlich gerade passiert.
       
       Sie waren 1989 zwar noch DDR-Bürgerin, aber eigentlich schon weg. Sie
       hatten die Freiheit schon erreicht. 
       
       Das wird immer so übertrieben. Ich lebte ja noch immer in der DDR und war
       dort auch weiterhin zu Hause. Ich hatte nicht die unendliche Freiheit. Ich
       musste mir diese immer für das jeweilige Projekt erkämpfen, in dem Fall für
       „Carmen on Ice“.
       
       Dann vergessen wir die grenzenlose Freiheit … 
       
       … aber natürlich lebte ich in meiner eigenen Blase, in der alles ein
       bisschen großzügiger war. Es war aber nicht so, dass ich einen Pass hatte
       und fahren konnte, wohin ich wollte. Ich musste das anmelden.
       
       Wir wollten eigentlich auf Ihren Erfahrungshorizont hinaus. 
       
       Den hat man mir ja vorgeworfen. Relativ flott, vielleicht schon am 10.
       November war ein Fernsehsender bei mir am Set in Sevilla und fragte mich,
       was ich jetzt über die Maueröffnung denken würde. Und ich habe dann gesagt,
       dass das toll ist. Und dass ich meinen Landsleuten gönne, dass sie endlich
       reisen können. Ich habe auch gesagt: Ich habe die Welt gesehen, und es ist
       nicht alles Gold, was glänzt – also gebt den Menschen Zeit. Und dafür hat
       man mich dann als „SED-Ziege“ und „Rote Socke“ beschimpft.
       
       Sind „Ossi“ und „Wessi“ für Sie Schimpfwörter? 
       
       „Ossi“ und „Wessi“ ist eher eine Frotzelei. Grundsätzlich ist aber „Ossi“
       eher positiv bei mir besetzt als „Wessi“. (alle lachen) Für mich ist die
       Bezeichnung „Ostfrau“ mittlerweile ein Gütesiegel.
       
       Stimmt, irgendwann muss man aufhören, sich dafür zu schämen. 
       
       Ich habe mich nie geschämt. Wir sind da im Sport anders aufgewachsen. Im
       Sport gab es eine extreme Gleichberechtigung zwischen den Mädchen und den
       Jungs. Wir haben zusammen trainiert und uns auf Augenhöhe aneinander
       gemessen. Lustigerweise waren wir Mädchen im Eiskunstlaufen in der einzigen
       Sportart, in der auch in den Neunzigern die Frauen mehr verdient haben als
       die Männer. Diese Diskussionen aus dem Fußball oder Tennis hatten wir nie.
       
       Was unterscheidet Ost- und Westfrauen? 
       
       Wir sind viel selbstverständlicher auf Augenhöhe mit den Männern
       aufgewachsen, das hatte schon unsere Elterngeneration so vorgelebt. Meine
       Eltern haben beide gearbeitet. Sie haben sich den Haushalt geteilt und sind
       gemeinsam mit der Wäsche überm Arm zur Mangel gegangen.
       
       Da waren Ihre Eltern aber sehr fortschrittlich. In der DDR arbeiteten die
       Frauen ja eigentlich doppelt voll: Vollzeit auf der Arbeit und dann noch
       einmal genauso lange zu Hause …. 
       
       Ich kenne auch meinen Vati schrubbend in der Wohnung. Er hat auch immer
       gekocht. Überhaupt kenne ich es nur so, dass die Männer in der Küche
       stehen, nicht die Frau. Mein Bruder, mein Onkel, mein Vati – bei uns waren
       die Männer am Herd.
       
       Und hat das zu späteren Konflikten in Beziehungen zu Männern geführt? 
       
       (lacht) Gar nicht.
       
       5 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=IWFCObb-7lo
 (DIR) [2] /Zum-Tod-von-Sigmund-Jaehn/!5625096/
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=4kHl4FoK1Ys
 (DIR) [4] https://www.instagram.com/katarinawitt/?hl=en
 (DIR) [5] https://en.wikipedia.org/wiki/Karl_Marx_Monument
 (DIR) [6] https://www.youtube.com/watch?v=s_FTGf7kdrQ
       
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