# taz.de -- Queere Geflüchtete: Neues Leben Berlin
       
       > In Berlin gibt es viele queere Schutzräume. Dennoch sehen sich
       > Geflüchtete in ihrer neuen Heimat mit vielen Herausforderungen
       > konfrontiert.
       
 (IMG) Bild: Gene Bogolepov
       
       Gene Bogolepov ist 34 Jahre alt und bekommt, wann immer die Türklingel
       unerwartet läutet, eine Panikattacke. Er hält sich an einem Bier fest,
       während er durchs Fenster seines gerade frisch bezogenen Zimmers in
       Berlin-Kreuzberg in den Nachthimmel schaut. In der Ecke sind Bücher sauber
       in einer offenen Reisetasche gestapelt. Die ehrenamtliche Tätigkeit für
       Queeramnesty und sein Sozialleben ließen kaum Zeit, die Sachen in der
       neuen Wohnung auszupacken. Die Tasche erinnert ihn an den 9. Dezember 2017,
       als er und sein damaliger Freund, jetzt Ehemann, mit all ihren
       Habseligkeiten aus Sankt Petersburg in Berlin ankamen, um in Deutschland
       ein neues Leben zu beginnen.
       
       Bogolepov hatte eine glückliche Kindheit. Dass er schwul ist, wurde ihm
       klar, als er „Jesus Christ Superstar“ sah und sich zu Jesus hingezogen
       fühlte. Als Teenager, in den späten 90ern und frühen 2000ern, erlebte er
       eine liberale Grundstimmung in Russland. Er konnte seine Sexualität frei
       leben. Die Schwulenbars brummten vor Publikum. „Ab 2005 aber wurde alles
       schlechter“, erinnert er sich. Russland setzte 2013 dann das „Gesetz gegen
       homosexuelle Propaganda“ in Kraft, das die „Werbung“ für Homosexualität
       gegenüber Jugendlichen verbot. Das brachte Stigmatisierung mit sich und die
       Gefahr von Erpressung und Gewalt. „Ich kennen keinen Schwulen daheim, der
       nicht angegriffen wurde“, sagt Bogolepov.
       
       Im selben Jahr wurde die Situation für Bogolepov zusätzlich schlimmer, als
       bei ihm HIV diagnostiziert wurde. Die in Russland erhältlichen Medikamente
       verursachten verschiedene Nebenwirkungen, unter anderem schwere
       Stimmungsschwankungen und Depressionen. „Ich versuchte auch, von meinem
       Balkon zu springen, aber mein Mann hat mich festgehalten“, erinnert er
       sich. Mit mangelhafter medizinischer Versorgung und der verstärkten
       Stigmatisierung als HIV-Positiver wurde es sogar schwierig, auch nur
       grundlegende Gesundheitsvorsorge wie zahnärztliche Behandlungen zu
       erhalten. Dazu begegnete ihm wiederholt körperliche Gewalt, was ihn
       schließlich an den Rand der Verzweiflung brachte. Vier Jahre später, 2017,
       entschied er sich, über Finnland nach Berlin zu ziehen und Asyl zu suchen.
       
       ## Besonders verletzlich
       
       „Queere Geflüchtete sind besonders, da sie aus ihrer Heimat nicht wegen
       dortiger Konflikte, sondern wegen ihrer Identität fliehen“, sagt die
       Psychologin und LGBTI-Aktivistin Aileen Kakavand. „Und sie werden weiter
       kommen, im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen.“ Berlin ist ein anziehendes
       Ziel für queere Flüchtlinge, da es das einzige deutsche Bundesland ist, das
       LGBTI-Geflüchtete zu den besonders „verletzlichen Gruppen“ zählt. In der
       Hauptstadt befindet sich auch das größte, ausschließlich queeren
       Geflüchteten vorbehaltene Asylbewerberheim, mit insgesamt 122 Plätzen. Dazu
       kamen in den vergangenen Jahren mehrere NGOs und Selbsthilfegruppen, die
       Rechtshilfe und Wohnungsvermittlungen für queere Geflüchtete in Berlin
       anbieten.
       
       Das ist auch der Grund, warum die 42-jährige Suryani Mahmood vor zwei
       Jahren in die Stadt kam. Zuvor verbrachte sie vier Jahre in Kopenhagen,
       erhielt in dieser Zeit wiederholt Ablehnungen. Aufgewachsen als eines von
       acht Geschwistern, identifizierte sie sich früh als Transfrau. „Ich wurde
       sogar von meinen Eltern als Mädchen großgezogen“, erinnert sie sich, als
       wir uns in Deutschlands größtem und Berlins einzigem Asylbewerberheim für
       queere Geflüchtete treffen. Hier, im Bezirk Treptow-Köpenick lebt sie seit
       inzwischen zwei Jahren. Ihre leuchtend gelbe Kurta (weites asiatisches
       Kleidungsstück, Anm. der Red.) unterstreicht das breite Lächeln, mit dem
       sie auf dem kühlen Balkon von der Unterstützung durch Eltern und Familie
       erzählt.
       
       Wäre es nach Mahmood gegangen, hätte sie niemals das Land ihrer Kindheit
       verlassen. Als muslimische Transfrau jedoch war das nicht ihre
       Entscheidung. „Malaysia ist ein islamisches Land und akzeptiert LGBTIs
       nicht“, sagt sie. „Und als Transfrau konnte ich schlecht den Mann spielen
       und mich verstecken.“ Nach mehreren Übergriffen durch die Polizei wurde sie
       nach der Scharia angezeigt, obwohl sie selber keine praktizierende Muslimin
       ist. „Ich sehe aus wie eine indische Hindu, da meine Großmutter
       mütterlicherseits Hindu war, die zum Islam konvertierte. Mein Vater aber
       ist ein Malaysier und so wurde ich als Muslimin geboren.“ Sie wurde
       zeitweise festgehalten und erhielt schließlich einen Gerichtstermin. 2013
       jedoch, vor der Verhandlung, kaufte sie einen Flug nach Dänemark, um dort
       Schutz zu suchen.
       
       ## Zügige Asylverfahren
       
       „Als ich in Europa angekommen war, sagte meine Mutter, dass ich nicht
       zurückkehren soll, weil es in Malaysia nicht sicher für mich ist.“ Mahmood
       gehorchte und blieb für vier Jahre in Dänemark in der Hoffnung, dort auf
       Dauer ein Zuhause zu finden. Aber das wollte einfach nicht klappen. „Also
       fuhren Freunde mich 2017 von Kopenhagen nach Hamburg und von da nahm ich
       einen Zug nach Berlin“, erinnert sie sich. Dort kam sie in dem Heim in
       Treptow-Köpenick unter und erhielt ihren Flüchtlingsstatus innerhalb zweier
       Wochen nach Antragstellung.
       
       Ähnlich glatt verlief das Asylverfahren in Berlin für den 23-jährigen
       Haidar Darwish, der im September 2016 herkam, um zu studieren. Aufgewachsen
       ist er unter einer liberalen und generell aufgeschlossenen Regierung in der
       syrischen Hafenstadt Latakia. „Mein Vater war Florist, meine Mutter
       Friseurin. Beide waren nicht religiös, ich bin nie in einer Moschee
       gewesen, aber sie hatten ein soziales Gewissen“, erklärt Darwish, während
       er in einem Dachcafé am Kurfürstendamm aus einer Schüssel Schakschuka isst.
       Er trägt einen Jeans-Jumpsuit, quer über sein weißes T-Shirt steht
       „fabulous“ geschrieben. Mit 16 wurde ihm klar, dass er schwul ist. In
       Syrien war er in zwei Beziehungen, eine ging über ein Jahr. „Mein zweiter
       Freund wurde zur Armee einberufen, weshalb er fliehen musste. Aber er
       wollte nicht weg, wegen mir. Und so haben wir entschieden, dass erst er
       geht und ich nachkommen würde“, erinnert er sich.
       
       Es gab zwei Hauptgründe für Darwish, Syrien zu verlassen: Einer war, dass
       er jederzeit einberufen werden konnte, der andere, dass es keine Arbeit für
       einen wie ihn, mit Abschluss in Englischer Literatur, gab. „Ich wusste,
       dass meine Eltern nicht dafür zahlen würden, dass ich die Todesroute nehmen
       würde“, sagt er. Also sparte er Geld für den Pass und bewarb sich bei
       Hochschulen in Berlin. Als er die Bewerbung abgegeben hatte, überzeugte er
       seine Eltern und verließ mit 20 Jahren am 15. September 2016 Syrien in
       Richtung Berlin. „Auf meiner Abschiedsparty waren 90 Gäste, alles Freunde
       und Bekannte, aber ich habe heute mit niemandem mehr Kontakt“, erzählt er.
       
       Als Darwish in Berlin ankam, war das die Stadt der unbegrenzten
       Möglichkeiten. Für ein Jahr arbeitete er als Verkaufsassistent bei einer
       Onlineagentur und tauchte schließlich in das queere Leben der Stadt ein.
       Eines Nachts im Schwuz, dem größten queeren Club der Stadt in Neukölln,
       traf er auf der Tanzfläche auf die Drag-Künstlerin LaDivina. „Sie war so:
       ‚Wer ist das?‘“, lacht Darwish. Sie lud ihn ein, mit ihr gemeinsam
       aufzutreten. Seitdem arbeiten sie zusammen am „Monday Hafladay“, einer
       Performance-Serie in der Silver Future Bar.
       
       ## Akt der Befreiung
       
       Darwish, der autodidaktische Bauchtänzer, gibt sich entnervt über seine
       Vielzahl an Terminen, als er seinen Kalender zeigt. Gerade erst hat er die
       Organisation der 10. „Queens Against Borders“-Performance hinter sich,
       einem Spendenevent mit Dragshow zugunsten Transgender-Flüchtlingen, das
       ein paar Tage vor unserem Treffen stattfand. Und für die nächsten Wochen
       ist er wieder ausgebucht. Bei „Queens Against Borders“ rief das Publikum
       seinen Namen, als er in einem regenbogenfarbenem Badeanzug auf die Bühne
       kam. Seine Popularität war geradezu mit Händen zu greifen, als er unter dem
       Jubel der Menge für ein weiteres Stück zurückkam.
       
       In Berlin aufzutreten, kommt für Darwish einem Akt der Befreiung gleich.
       Aber er zahlt auch einen Preis dafür. „Ein Iraker hat mich auf Instagram
       bedroht und ich bin auch zur Polizei gegangen“, erinnert er sich. Nach
       einem Artikel über ihn in arabischer Sprache gingen bei ihm einige
       homophobe Kommentare aus Syrien ein. „Meine Mutter berichtete mir, dass
       meine Onkel über mich bescheid wüssten“, sagt er. „Man würde mich ermorden,
       wenn ich zurückginge.“
       
       Nach Ablauf des zweijährigen Studentenvisums und mit der Angst, in ein
       homophobes Umfeld zurückkehren zu müssen, beantragte Darwish Ende 2018 Asyl
       in Berlin. Während seines Interviews beim Amt für Migration und Flüchtlinge
       (BAMF), bei dem über seinen Status entschieden werden sollte, begleitete
       ihn ein Arabisch-Dolmetscher. Darwish wurde nach der Natur der Bedrohung
       gefragt, der er sich bei einer Rückkehr nach Syrien ausgesetzt sehe. Für
       ihn war es nun von Vorteil, Deutsch und Englisch verstehen und sprechen zu
       können. „In dem Gespräch können deine Sprachkenntnisse über dein Schicksal
       entscheiden“, erklärt er. So weigerte sich der Dolmetscher trotz Darwishs
       Drängen, das Wort „homosexuell“ auszusprechen. „Er sagte ‚andere
       Orientierung‘, was aber nicht das war, was ich gesagt hatte“, meint er mit
       einem Seufzen. „In vielen Sprachen ist es schwer zu erklären, was ‚schwul‘
       bedeutet. Das macht es für viele Asylbewerber schwer, ihren Fall zu
       begründen.“
       
       Der Interview-Prozess beim BAMF ist durchaus umstritten mit seinen
       zudringlichen Fragen über sexuelle Erfahrungen, um die tatsächliche Gefahr
       für das Leben im Herkunftsland abzuschätzen. Aktivisten problematisieren
       das: „Das BAMF hat sich Leute aus anderen Behörden geholt, als die Zahl der
       Fälle um 2015 und 2016 zunahm. Die hatten aber keine Ahnung, wie
       Entscheidungen getroffen werden sollen oder so ein Interview überhaupt
       geführt wird. Das hat die Chancen vieler Leute stark eingeschränkt“,
       erinnert sich Mahmoud Hassino, der Berater in der Schwulenberatung ist und
       auch Hauptfigur in der Dokumentation „Mr. Gay Syria“ war. Rund 60 Besuche
       von queeren Geflüchteten hat die Schwulenberatung pro Woche.
       
       „Was uns ganz allgemein in Europa fehlt, sind klare Richtlinien, für die
       Interviews mit LGBTI-Asylbewerbern. Für die Behörden musst du als queere
       Person glaubhaft sein. Also ist es ihnen gestattet, Fragen zu stellen, um
       das festzustellen“, erläutert Hassino. Die Interviewer dürfen nicht nach
       Beweisen für die Sexualität fragen, wie Fotos mit einem Partner, aber der
       Asylbewerber kann diese nach eigenem Ermessen vorlegen. „Sie üben Druck auf
       dich aus und sagen dann so was wie: ‚Wenn du das machst, kann das deinem
       Anliegen helfen.‘ Oder sie stellen Fragen nach deinem Coming-out oder
       deinem ersten sexuellen Kontakt. Aber es fehlt die Vorstellungskraft, dass
       ein Coming-out in Uganda oder im Iran vielleicht etwas anders aussehen
       könnte als in Deutschland. Wenn du zum Beispiel eine lesbische Frau bist,
       die noch nie Sex mit einer Frau hatte, wird es schwer, die zu überzeugen,
       dass du lesbisch bist“, erklärt Aileen Kakavand. Sie erklärt, dass sich das
       BAMF seit 2016 durchaus entwickelt habe, aber es sei noch ein weiter Weg zu
       gehen. „Zum Beispiel darf das BAMF nicht mehr sagen, dass du ja in dein
       Land zurückgehen und deine Sexualität verstecken kannst“, sagt Kakavand.
       
       Bogolepovs Interview beim BAMF dauerte neun Stunden. „Der Ablauf war nicht
       ganz so einfach, weil ich mit einem finnischen Visum nach Deutschland
       gekommen war“, erläutert er. Der Antrag wurde nach den Dublin-Regularien
       behandelt.
       
       Die regeln die Zuständigkeiten für Asylbewerber zwischen EU-Ländern. „Mein
       Asylverfahren hätte also in Finnland stattfinden müssen“, sagt er. „Da mein
       Mann ein deutsches Einreisevisum hatte, entschieden sie, uns zu trennen.“
       
       Bogolepov sollte bald abgeschoben werden. Da die beiden aber in Berlin
       geheiratet hatten, konnten sie etwas Zeit gewinnen. „Und dann erfuhren wir,
       dass mein Mann einen negativen Bescheid hatte“, sagt er. Um ihren Fall
       durchzukämpfen, brachten die beiden innerhalb von 24 Stunden 2.000 Euro
       über eine Crowdfunding-Kampagne zusammen. Im April dieses Jahres
       schließlich hatte Bogolepov endlich sein Interview beim BAMF, nachdem er
       den ursprünglichen Antrag im vergangenen September gestellt hatte. Am 15.
       Juli 2019 erhielt er einen positiven Bescheid und ist nun als Flüchtling
       anerkannt.
       
       Obwohl Mahmood über Dänemark nach Deutschland gekommen war, ihr Fall also
       auch unter die Dublin-Regeln gefallen wäre, wurde ihr Antrag in Berlin
       bearbeitet. „Wenn sie dir helfen wollen, dann machen sie das auch
       irgendwie“, erklärt sie. Der willkürliche Charakter der Asylentscheidungen
       frustriert und erschöpft Aktivisten, wie Anwälte. „Meistens wird queeren
       Syrern das Asyl verweigert, weil sie eben Syrer sind. Stattdessen bekommen
       sie subsidiären Schutz“, seufzt Mahmoud. „Die Person, die die Entscheidung
       trifft, denkt also, die werden sowieso nicht abgeschoben, also geben wir
       denen auch keinen Status, was schrecklich ist.“ Das Problem mit dem
       subsidiären Schutz ist, dass die Betroffenen abgeschoben werden können,
       sobald ihr Herkunftsland als sicher deklariert wird.
       
       ## Doppelte Diskriminierung
       
       Auch Flüchtlinge aus Ländern, wo sie nicht juristisch belangt werden, aber
       sozial bedroht sind, haben Schwierigkeiten, ihren Fall überzeugend
       darzulegen. „Es gibt so viele LGBTI-Geflüchtete, die aus anderen Ländern
       als Syrien, dem Irak oder dem Iran kommen. Länder wie Marokko, Tunesien,
       Uganda oder Nigeria, und die haben große Schwierigkeiten zu beweisen, dass
       sie in Gefahr sind, und dann ist es ihnen nicht möglich, Asyl zu bekommen“,
       erklärt Kakavand. Eine ihrer Klientinnen, Diana, eine lesbische Frau aus
       Uganda, hatte ein ähnliches Problem. „Ihr Leben ist in Uganda viel stärker
       bedroht als das vieler Klientinnen, die beispielsweise aus dem Iran kommen,
       dennoch hat sie große Probleme damit, dass ihr nicht geglaubt wird“, sagt
       Kakavand.
       
       Lesbische Frauen sehen sich doppelter Diskriminierung ausgesetzt, als Frau
       in einer patriarchalen Gesellschaft und mit queerer Identität. „Es ist für
       sie schwer, aus den Ländern zu entkommen, oft werden sie in Ehen
       gezwungen“, sagt Kakavand und erklärt, dass die Mehrzahl der lesbischen
       Geflüchteten einen privilegierten Hintergrund haben, der ihnen überhaupt
       den Zugang zur Ausreise ermöglichte. „Die Zahl der lesbischen Geflüchteten
       ist eher gering, verglichen mit schwulen und trans“, ergänzt sie.
       
       Als Transfrau war es für Mahmood schwer, ein normales Leben in Malaysia zu
       führen, ihre Geschlechtsidentität machte es aber leichter, in Berlin Asyl
       zu erhalten. Im Heim in Treptow-Köpenick lebt sie seit zwei Jahren. Sie
       hätte gerne eine eigene Wohnung, aber die ständig steigenden Mieten in
       Berlin machen das fast unmöglich. Queere Flüchtlinge, die ihre
       Herkunftsländer auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen, sehen
       sich mit Problemen bei der Wohnungssuche, Rassismus in der queeren
       Community und der Herausforderung kultureller Integration konfrontiert.
       
       Es gibt mehrere Initiativen und Vereine in Berlin, die sich des
       Wohnungsproblems und des Kulturschocks annehmen. Die Unterkunft in
       Treptow-Köpenick, gegründet 2016 von der Schwulenberatung und mit derzeit
       80 Bewohnern, ist eine davon. „In anderen Asylbewerberheimen gab es eigene
       Etagen oder andere extra Bereiche für queere Menschen. Damit waren die
       geoutet, was ihr Leben gefährden konnte“, sagt Antje Sanogo, Leiterin der
       Einrichtung der Schwulenberatung. Anders als andere Unterkünfte für
       Geflüchtete in Berlin, die umgewandelte Räume wie Sporthallen, Container
       oder selbst Flughafenhallen waren, ist das Heim in Treptow-Köpenick immer
       ein gewöhnliches Wohnhaus gewesen. Einige der Bewohner sind zwar Gewalt und
       Diskriminierung entkommen, werden aber immer noch aus den Herkunftsländern
       oder von Landsleuten in Berlin bedroht. Deshalb ist der Zugang zu dem
       unscheinbaren Haus für Unbefugte auch nicht ohne Weiteres möglich. Beim
       Betreten wird man vom Sicherheitsteam begrüßt, einige sprechen sogar
       Arabisch. „Wir mussten sie auch erst einmal schulen und sensibilisieren“,
       erklärt Sanogo. Seit der Eröffnung vor rund drei Jahren werden Journalisten
       in den Räumen nur selten zugelassen, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu
       wecken.
       
       In jedem Zimmer leben bis zu vier Menschen, zugewiesen werden sie von
       Sozialarbeitern. In ihrem zugigen Büro auf der Gemeinschaftsetage der
       Unterkunft erzählt Sanogo, dass es oft Konflikte zwischen den Bewohnern
       gibt. Sie alle bringen unterschiedliche Temperamente und Traumata mit, die
       bearbeitet werden wollen. „Damit umzugehen kann manchmal sehr schwierig
       sein“, sagt sie angestrengt. Am Anfang kamen in die Unterkunft vor allem
       Geflüchtete aus dem Nahen Osten, aus Ländern wie dem Irak, dem Iran,
       Saudi-Arabien und Jemen. In den letzten zwei Jahren aber gab es einen
       Anstieg queerer Geflüchteter aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion, wie
       Georgien, Moldau, Tadschikistan, Aserbaidschan und Turkmenistan. „Ein Grund
       ist, dass es nicht ganz so schwer ist, von dort hier einzureisen. Aber in
       allen diesen Ländern gibt es Gesetze, die gegen queere Menschen gerichtet
       sind, und deshalb werden viele von ihnen hier als Flüchtlinge anerkannt.
       Das ist besonders, da Nicht-LGBTI-Personen aus diesen Ländern diesen Status
       nicht bekommen“, erläutert Antje.
       
       Als 2015 eine große Zahl an Flüchtlingen den Weg nach Deutschland fanden,
       stieg auch der Anteil queerer Geflüchteter, die nach Berlin kamen. Und so
       entschied das Schwuz, eine „Refugees welcome“-Party zu schmeißen. „Wir
       wollten auch der Behauptung entgegenwirken, dass Geflüchtete die
       LGBTI-Community angreifen würden“, sagt LCavaliero Mann, künstlerischer
       Leiter des Clubs. Dass die Tür für queere Geflüchtete aufgemacht wurde,
       stieß dabei auf Kritik von überwiegend weißen, deutschen Schwulen.
       „Rassismus und die Fetischisierung von Männern aus dem Nahen Osten sind ein
       großes Problem in der Community“, sagt Mahmoud. Das Schwuz hat mehrere
       Anläufe genommen, eine klare Haltung zu kommunizieren und ein inklusiver
       Partyraum zu sein. Dazu gehört die Anstellung von Dolmetschern an der Tür,
       die Integrierung von Musik aus den Herkunftsländern und die Verteilung
       mehrsprachiger Broschüren über den Club schon am Eingang. „Außerdem machen
       wir Workshops, um mit internalisiertem Rassismus umzugehen“, erklärt
       LCavaliero. Auch andere queere Clubs und Bars, wie das About Blank, das
       SO36 und das Silver Future haben Initiativen entwickelt wie extra
       Gästelisten, Drag Performances, Spendenaktionen und besondere Playlisten,
       um queeren Geflüchteten das Ankommen zu erleichtern.
       
       Darwish, inzwischen ein populäres Gesicht in queeren Kreisen, hatte Erfolg
       mit seinem Asylantrag. Das gestattet ihm, für die nächsten drei Jahre zu
       bleiben, dann muss die Erneuerung beantragt werden. Für diverse queere
       Flüchtlinge, die mit der großen Zahl neuer Geflüchteter kamen, laufen genau
       diese ersten drei Jahre gerade ab. „Das ist jedoch nicht zu schwer, solange
       du nachweisen kannst, dass du Fortschritte bei der Integration machst, was
       das Erlernen der Sprache einschließt“, erläutert Kakavand. Weshalb Darwish
       auch plant, weiterzulernen. „Ich kann nicht für immer tanzen. Künstlerisch
       habe ich genug erreicht und will mich mehr auf das Akademische
       konzentrieren“, sagt er. Mahmood, die einen Friseurkurs in Dänemark
       besuchte, hofft, als Stylistin in Berlin arbeiten und eines Tages einen
       eigenen Salon eröffnen zu können. Bogolepov, der sich einen Namen als
       queerer Aktivist gemacht hat, versucht sich neben seinem Tagesjob als DJ,
       als Musiker und in Performance-Künsten. „Damals, 2017, da habe ich meine
       Tage gezählt“, sagt er, auf Berlin unter seinem Fenster schauend. „Aber
       jetzt bin ich glücklich. Eine der wichtigsten Sachen für ein glückliches
       Leben ist doch, sich sicher zu fühlen. Und hier fühle ich mich sicher.“
       
       Übersetzung aus dem Englischen Daniél Kretschmar
       
       13 Nov 2019
       
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       Ein kommerzielles Massenevent in Deutschlandfarben.
       
 (DIR) 5 Jahre SchwuZ in Neukölln: Ficken im Club ist auch politisch
       
       Vor fünf Jahren ist der queere Club SchwuZ nach Neukölln gezogen. Das wird
       jetzt gefeiert: mit Party und Politik.