# taz.de -- Klima-Protestwoche an den Universitäten: Studienfach Klimastreik
       
       > Seit Montag haben Studierende an über 80 Hochschulen zum Klimaausstand
       > aufgerufen – und viele Dozenten ziehen mit. So etwa an der Uni Leipzig.
       
 (IMG) Bild: Für diesen Freitag haben die AktivistInnen von Fridays for Future zu Klimademonstrationen aufgerufen
       
       LEIPZIG taz | An diesem Montagmorgen ist Immo Fritsche sichtbar gut drauf.
       Der Professor steht hinter dem roten Pult des Hörsaals Z005 und lächelt
       herab in den voll besetzten Raum im Städtischen Kaufhaus. Das historische
       Gebäude gehört seit ein paar Jahren zum Campus der Leipziger Universität,
       Fritsches Lehrstuhl für Sozialpsychologie ist hier angesiedelt. Dass
       Fritsche – 47 Jahre alt, kariertes Hemd – so vortreffliche Laune hat, ist
       nicht allein der gut besuchten Vorlesung geschuldet. Der Professor soll
       heute 90 Minuten lang über sein Lieblingsthema reden – und zwar auf Wunsch
       der Studierenden.
       
       Also spricht Fritsche über „die Sozialpsychologie der Umweltkrise“, wirft
       per Beamer Verhaltensmodelle an die Wand und erklärt, warum die
       Bereitschaft zum Umweltschutz oft in eine persönliche Hilflosigkeit führt.
       „Leider gibt es auch beim Umwelthandeln eine gewaltige Diskrepanz zwischen
       Einstellung und Verhalten.“ Die Studierenden nicken.
       
       Bemerkenswert ist die Vorlesung aber auch in anderer Hinsicht. Sie ist ein
       Akt der Solidarität. Denn Immo Fritsche verzichtet auf seine reguläre
       Vorlesung, damit der Raum entsteht für ein Thema, das vielen seiner
       Studierenden derzeit unter den Nägeln brennt: der rasante Klimawandel und
       die weitgehend untätige Politik.
       
       Seit Montag haben deshalb Studierende an mehr als 80 Hochschulen zum
       Ausstand aufgerufen. Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Kommende Woche findet
       die [1][Klimakonferenz der Vereinten Nationen] statt. Und für diesen
       Freitag haben die AktivistInnen von Fridays for Future zu weltweiten
       Klimademonstrationen aufgerufen. Für die Students for Future ein guter
       Anlass, um den [2][Klimastreik endlich stärker an die Unis] zu bringen.
       
       ## Professoren solidarisieren sich mit Studierenden
       
       Deren Ortsgruppen sind, wie in Leipzig, stark mit den OrganisatorInnen der
       Freitagsdemos verbandelt. Und wie die SchülerInnen erfahren auch die
       Studierenden an den Hochschulen breite Unterstützung. Hunderte
       HochschulmitarbeiterInnen haben vorab öffentlich erklärt, sich an der
       Aktion beteiligen zu wollen. Viele von ihnen haben sogar wie Fritsche eine
       thematisch passende Veranstaltung vorbereitet.
       
       Rund 1.850 HochschullehrerInnen sind an der Leipziger Uni tätig. In dieser
       Woche finden [3][mehr als 250 Veranstaltungen] rund um die Klimakrise
       statt. 80 davon werden vom Lehrpersonal bestritten. Es gibt Seminare zu
       regenerativen Energien, Recycling-Workshops, Panels mit Gästen des Globalen
       Südens, Erfahrungsberichte von Braunkohlegegnern. Ähnlich sieht es in
       München, Berlin, Bonn, Bremen oder Heidelberg aus. In mehr als 40 Städten
       haben Studierende die Public Climate School ausgerufen, die öffentliche
       Klimahochschule.
       
       Tatsächlich wird die Klimakrise aus nahezu jeder erdenklichen Fachrichtung
       heraus beleuchtet. An der Universität Münster stellt ein Dozent den
       Zusammenhang zwischen Machteliten und Klimakrise her, in Hannover stellt
       ein Philosoph die Frage, warum der Verzicht auf Flugreisen so schwerfällt.
       An der Sporthochschule Köln bespricht ein Prof die Folgen des Klimawandels
       für den Outdoorsport.
       
       „Es ist echt unfassbar, was wir in so kurzer Zeit erreicht haben“, sagt Lea
       Knoff an der Universität Leipzig. Die 23-Jährige führt durch die Räume, die
       der Studierendenrat den Students for Future überlassen hat. In einem Raum
       sitzen Studierende vor Laptops und managen, was wo stattfinden wird. Ein
       Zimmer weiter lagern Transparente und andere Materialien. Im nächsten
       verteilen die AktivistInnen gerade Schichten: Wer übernimmt es, die
       Öffentlichkeit an den Uni-Zugängen über die Aktionen zu informieren? Wer
       betreut das Infozelt auf dem Campus? Wie viele helfen bei der
       Vollversammlung später im Audimax?
       
       „Seit einem Monat sind wir hier von morgens bis abends“, sagt Knoff. Ihr
       eigenes Studium hat sie seit Semesterbeginn stark vernachlässigt, wie viele
       ihre MitstreiterInnen. „Anders wäre es nicht gegangen“, sagt Lea Knoff und
       erzählt, warum die Klimastreik genannte Aktion für sie so dringend
       notwendig ist. „Es geht darum, ein Signal zu senden.“ Erstens, dass auch
       die Studierenden klarmachen, dass die junge Generation die Klimapolitik der
       Bundesregierung nicht akzeptieren werde. Und zweitens, dass die
       Studierenden bereit seien, für das Klima zu kämpfen. Konstruktiv, gerne im
       Dialog. „Wenn es notwendig ist, legen wir aber den Unibetrieb lahm.“
       
       ## Wie die Bewegung in Gang kam
       
       Knoff – kurze Haare, Ohrringe, weiße Sneakers – war dabei, als die
       Entscheidung für die bundesweiten Hochschulaktion fiel. Ende September war
       das, als sich 120 AktivistInnen der Students for Future in Jena getroffen
       haben. Danach ging alles ganz schnell. Knoff und ihre KommilitonInnen
       gründeten Arbeitsgruppen und verteilten Aufgaben. Die Mobi-AG schickte
       Leute in Vorlesungen oder in Fakultätsratssitzungen, die Programm-AG nahm
       Kontakt auf zu Gewerkschaften, Kirchen, politischen Gruppierungen und der
       Stadt auf. Die Prozess-AG machte den nötigen Druck. UnterstützerInnen
       karrten Dutzende Sofas auf den Campus, andere spendeten kistenweise Bier.
       „Ein Knackpunkt war lange die Raumfrage“, erinnert sich Knoff. Als aber der
       Akademische Senat vor gut zwei Wochen beschloss, den Klimastreik zu
       unterstützen, öffneten sich die sprichwörtlich bekannten Türen. Mehrere
       Fakultäten erklärten zudem, in der Woche möglichst auf prüfungsrelevante
       Inhalte verzichten zu wollen.
       
       Wie stark die Streikwoche manche ProfessorInnen aus ihrer Routine reißt,
       kann man an Jörg Zabel beobachten. Der 51-jährige Professor für
       Biologiedidaktik gibt normalerweise Seminare für Lehramtsstudierende,
       begleitet diese auch an Schulen. Doch an diesem Montag macht Zabel etwas,
       was er seit Jahren nicht mehr getan hat. Er besucht die Vorlesung eines
       Kollegen: „Klimagerechtigkeit und Rechtsphilosophie“, lautet der Titel.
       Gefallen habe ihm, wie offen der Kollege mit den Studierenden diskutiert
       habe.
       
       Zabel gehört zu den Professoren, die den Streikaufruf der Students for
       Future unterschrieben haben. Die Studierenden hätten eines Tages an seiner
       Bürotür geklopft und gefragt, ob er den Hochschulstreik nicht mit einer
       Klimavorlesung unterstützen wolle. „Das kam mir so verbindlich und
       konstruktiv vor, dass ich sofort zugesagt habe“, erinnert er sich. Am
       Mittwoch nun erzählt Zabel seinen Lehramtsstudierenden, dass sie später an
       sächsischen Schulen auch für Umweltbildung zuständig sind.
       
       Dennoch kann Zabel nachvollziehen, dass nicht alle seiner KollegInnen die
       Aktion unterstützen. Die Fakultätsratssitzung hätten die Students for
       Future verpasst. Manche reguläre Veranstaltungen seien lange geplant und
       ließen sich nicht so einfach verschieben.
       
       Auch Zabel lässt nicht alle seine Veranstaltungen fallen. „Meine
       Studierenden haben diese Woche Praktika in der Schule. Das kann ich den
       Schulen nicht zumuten, dass wir diese Woche den Unterricht platzen lassen.“
       
       Immo Fritsche hat Verständnis für beide Seiten. „Für viele klingt Streik
       erst mal abschreckend“, sagt der Professor nach seiner Vorlesung zur
       Sozialpsychologie der Umweltkrise. Außerdem sei die Klimawoche für viele
       Kollegen sehr kurzfristig gekommen. Dennoch hält er die Aktion der
       Studierenden für angebracht. „Es geht auch darum, in der Wortwahl auf eine
       Ausnahmesituation aufmerksam zu machen.“ Der Appell der Studierenden, die
       Hochschulen müssten sich der Klimakrise annehmen, sei richtig. „Ich forsche
       seit den 1990ern zur Frage, warum Gesellschaften nicht umweltfreundlich
       handeln. Nun ist es an der Zeit, die Rolle der Politik stärker in den Fokus
       zu nehmen.“
       
       ## Nicht alle Studierenden stehen hinter der Aktion
       
       Dennoch ist nicht alles pure Harmonie in Leipzig. Da sind einerseits
       diejenigen, die bei der Klima-Aktion nicht mitmachen. „Bei uns in der
       Fachschaft haben wir dazu eine kritische Meinung“, sagt Katharina Dziurla.
       Sie studiert im siebten Semester Wirtschaftswissenschaften, sitzt im Fach-
       und im Fakultätsrat. Die Dringlichkeit der Klimakrise würden sie bei den
       Wirtschaftswissenschaften auch sehen, sagt Dziurla. Den Ausfall von
       Lehrveranstaltungen wollten sie dafür aber nicht in Kauf nehmen. „Wir haben
       auch ein Problem mit den Students for Future“, sagt sie. Die Gruppe stehe
       ihr politisch auch zu links. „Die Uni soll doch politisch neutral sein.“
       
       Vielen Studierenden ist die Klima-Aktion andererseits nicht radikal genug.
       Von „Lippenbekenntnissen“ ist da die Rede. Nach langen Diskussionen hat die
       studentische Vollversammlung am Montagabend ihre Forderungen an die
       Hochschulleitung beschlossen: So solle die Universität Leipzig nicht nur
       „konkrete Ziele“ zur Herstellung von Klimagerechtigkeit formulieren,
       sondern auch die Studierenden von ihrer Anwesenheitspflicht entbinden.
       Kommt die Hochschule den Forderungen nicht nach, behalten sich die
       Studierenden vor, entsprechende Lehrveranstaltungen „kollektiv zu
       verhindern“ – so wie an der TU Dresden, wo seit Montagmittag das Audimax
       besetzt ist.
       
       Die Leipziger Hochschulleitung hält sich unterdessen bemerkenswert bedeckt.
       Am Montag verschickt sie eine Pressemitteilung, in der Rektorin Beate
       Schücking von einem „großen Tag für unsere Universität“ spricht. Allerdings
       bezieht sie sich nicht auf den Start der Public Climate School und das
       politische Engagement ihrer Studierenden – sondern auf die Bewilligung
       neuer Forschungsgelder.
       
       27 Nov 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /UN-Klimakonferenz-in-Madrid/!5640269
 (DIR) [2] https://studentsforfuture.info/
 (DIR) [3] https://studentsforfuture.info/ortsgruppe/leipzig/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Pauli
       
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