# taz.de -- Umweltschutz an Schulen in Deutschland: Eine Honigsemmel vom Imker
       
       > Auch dank Fridays For Future sind Umweltschulen sehr beliebt. Bei den
       > Labels für nachhaltige Bildungsstätten gibt es aber große Unterschiede.
       
 (IMG) Bild: So geht Umweltschule: das Dossenberger Gymnasium mit einem klimaneutralen Frühstück
       
       BERLIN taz | Die Initiative ging vom Schülerrat aus: Am Schulkiosk sollte
       es kein Plastikbesteck mehr geben. Müll sollte von nun an ordentlich
       getrennt werden. Inspiriert von den [1][Fridays for Future] wollten die
       Schüler*innen der Ecolea Rostock etwas verändern.
       
       Grit Weickert, Sozialarbeiterin des internationalen Gymnasiums, sah in dem
       plastikfreien Kiosk Potenzial und plante zwei groß angelegte Projekte: eins
       zum ökologischen Fußabdruck der Schule, das andere zum Thema Mülltrennung.
       Nun suchen 15 Schüler*innen ein Jahr lang „Tatorte“ an der Schule, an denen
       sich der CO2-Verbrauch drücken lässt. Und die 5. Klassen untersuchen über
       einen Zeitraum von zwei Jahren das Abfallsystem der Schule und Müllprobleme
       weltweit.
       
       Dabei lernen sie unter anderem, in welche Tonne gebrauchte Taschentücher
       kommen (richtige Antwort: Restmüll). Oder [2][wie viel Plastik Menschen in
       Deutschland im Jahr verbrauchen] (rund 38 Kilo pro Person). „Das hat mich
       selbst ganz schön überrascht“, sagt Grit Weickert. Es ist das erste Mal,
       dass die Schule längerfristige Nachhaltigkeitsprojekte startet, für die
       Fördermittel beantragt und zum Teil schon bewilligt wurden.
       
       So wie die Ecolea Rostock engagieren sich mittlerweile viele Schulen im
       Bereich Nachhaltigkeit. In Deutschland entstehen immer neue Auszeichnungen,
       die ihr Engagement belohnen – und immer mehr Schulen zeigen Interesse. Ob
       sich auch die Ecolea für eine Auszeichnung bewerben soll, hat Weickert noch
       nicht abschließend entschieden – sie könnte es sich aber gut vorstellen.
       „Ich bin der Meinung, dass man erst ein paar Jahre Erfahrung sammeln muss“,
       sagt sie.
       
       ## Umweltschule oder lieber Klimaschule?
       
       Es sei zwar immer schön für eine Schule, Zertifikate zu haben. „Das muss
       aber auch Hand und Fuß haben.“ Denn Weickert und ihre Kolleg*innen planen
       einiges, das noch umgesetzt werden soll: Teil des Müllprojekts der 5.
       Klassen ist ein Projekttag, an dem der Müllverbrauch der eigenen Schule
       bestimmt wird. Dann soll es Workshops geben, Exkursionen zum regionalen
       Entsorgungsunternehmen und eine Müllsammelaktion im Mündungsgebiet der
       Warnow.
       
       Die Möglichkeiten für eine Bewerbung sind in Deutschland jedenfalls
       zahlreich. So können Schulen Teil des Unesco-Netzwerks werden oder sich um
       ein Fairtrade-Siegel bemühen, „Verbraucherschule“ oder „Umweltschule in
       Europa“ werden. Neben anderen, deutschlandweiten Preisen gibt es eine kaum
       überschaubare Anzahl regionaler Auszeichnungen. Die größeren, auf die sich
       zum Teil mehrere hundert Schulen bewerben, werden meist durch die
       jeweiligen Kultus- und Umweltministerien vergeben. Sie heißen sehr ähnlich:
       „Schule der Zukunft“ in Nordrhein-Westfalen, „Umweltschule“ in Hessen,
       „Zukunftsschule“ in Schleswig-Holstein oder „Nachhaltige Schule“ in
       Rheinland-Pfalz.
       
       Einige Programme sind Teil der landesspezifischen
       Nachhaltigkeitsstrategien, die an den sogenannten Nationalen Aktionsplan
       des Bundesbildungsministeriums angelehnt sind. Der orientiert sich am
       Weltaktionsprogramm der Vereinten Nationen, das Bildung für nachhaltige
       Entwicklung (BNE) im Unterricht verankern will. Um festzustellen, wie
       erfolgreich diese Verankerung ist, spielen die Label eine große Rolle,
       glaubt Ingrid Hemmer. Die Professorin für Geografie an der Katholischen
       Universität in Eichstätt forscht mit ihrem Team nach Wegen, wie sich messen
       lässt, ob Schulen Bildung für nachhaltige Entwicklung implementieren.
       
       In den vergangenen Jahren hätte sich in dem Bereich einiges getan. Auch die
       Politik komme langsam in Bewegung: „Bildung für nachhaltige Entwicklung
       wird bereits als wichtiges Anliegen erkannt, aber im Vergleich zur
       Digitalisierung wird noch viel weniger investiert“, sagt sie. Die Label
       legen allerdings sehr unterschiedliche Kriterien an. Die Ergebnisse sind
       dadurch nicht immer vergleichbar.
       
       ## 1.500 Umweltschulen in Deutschland
       
       „Mein Ziel ist es, ein einigermaßen homogenes Programm für Deutschland zu
       schaffen“, sagt Robert Lorenz, der die Auszeichnung „Umweltschule für
       Europa – internationale Nachhaltigkeitsschule“ in Deutschland koordiniert.
       Das Projekt der Deutschen Gesellschaft für Umwelterziehung (DGU) ist das
       größte Nachhaltigkeitsnetzwerk für Schulen im Land. Es entstand im Jahr
       1994 mit acht Schulen in Hamburg, mittlerweile sind deutschlandweit etwa
       1.500 dabei. Verliehen wird die Auszeichnung unter dem englischen Titel
       „Eco School“ auch in knapp 70 anderen Ländern, organisiert durch den
       internationalen Dachverband Foundation for Environmental Education (FEE).
       
       In Deutschland können Schulen aus allen Bundesländern mitmachen. In acht
       Ländern gibt es aber eine sogenannte Landeskoordination, die oft durch die
       Umwelt- und/oder Kultusministerien finanziert wird. Die Koordination
       kümmert sich um Bewerbungen, organisiert Vernetzungstreffen der Schulen
       oder die Auszeichnungsveranstaltung. Die Länder profitieren davon, eine
       Landeskoordination einzusetzen, sagt Robert Lorenz: „Letzten Endes
       delegieren die Ministerien die Umsetzung ihrer Rahmenrichtlinien an
       Organisationen wie uns, die dann an den Schulen pädagogische Arbeit
       leisten.“ Eine Landeskoordination koste jeweils nur eine Viertel- oder
       halbe Stelle. Das bedeutet: gute Ergebnisse für wenig Geld.
       
       Für die Schulen sind die Label wichtig, glaubt auch Wissenschaftlerin
       Ingrid Hemmer. Sie stiften Zusammenhalt, können eine Plattform geben, um
       die Bemühungen engagierter Lehrkräfte und Schüler*innen zu würdigen. Sie
       bieten Schulen die Möglichkeit, sich mit anderen über ihre Projekte
       auszutauschen. Nicht zuletzt wirken sie sich auch positiv auf die
       Außenwahrnehmung aus: „Die höheren Schulen stehen auch in Konkurrenz
       zueinander bei der Aufnahme von Schülern“, sagt Hemmer. Das ein oder andere
       Elternteil schickt sein Kind vielleicht lieber auf eine Schule mit
       Nachhaltigkeits-Label. Und auch bei Schulinspektionen können Auszeichnungen
       positiv auffallen.
       
       Ob eine Bewerbung überhaupt zustande kommt, hängt auch stark vom Soziotop
       der Schule ab. Schwierig ist es dort, wo die Strukturen für nachhaltige
       Arbeit weniger entwickelt sind, wo engagierte Lehrkräfte allein gelassen
       werden oder heterogene Schüler*innenschaften alle Kapazitäten brauchen.
       Hinzu kommt: Die wenigsten Label sind mit Geld ausgestattet – das in die
       Umsetzung der Projekte fließen könnte. Schulen, denen es an Zeit, Personal
       oder Know-How fehlt, bewerben sich auch nicht.
       
       ## Schwieriger Föderalismus
       
       Die Koordination von deutschlandweiten Auszeichnungen wie der „Umweltschule
       in Europa“ ist nicht immer einfach. Ein einheitliches Programm für alle
       Länder? Schwierig. „Die Belange der Bundesländer sind zum Teil sehr
       unterschiedlich“, sagt Lorenz. Landespolitische Entscheidungen bestimmen
       auch, ob Kooperationen mit Bundesländern zustande kommen. Das kann an
       scheinbar banalen Dingen wie dem Namen scheitern. In Baden-Württemberg zum
       Beispiel, wo die DGU eine Landeskoordination schaffen will.
       
       „Es ist frustrierend zu sehen, dass ein wesentliches Hindernis der Titel
       ‚Umweltschule‘ ist“, so Lorenz. Der erscheint manchen als veraltet. Auch
       die Forschung einigt sich zunehmend auf den Begriff „Nachhaltige
       Entwicklung“ – der soll auch Themen wie Chancengleichheit oder Gesundheit
       mit einschließen. Eine Koordination soll es jedenfalls nur mit einem neuen
       Namen geben. „Eine internationale Organisation macht aber nun mal gewisse
       Vorgaben“, sagt Lorenz.
       
       Ein Musterbeispiel einer „Umweltschule“ ist das Dossenberger Gymnasium im
       schwäbischen Günzburg. In Bayern tragen besonders viele Schulen die
       Auszeichnung, etwa zwölf Prozent haben sich laut bayerischer
       Landeskoordination der DGU mittlerweile beworben, Tendenz steigend. In
       diesem Jahr waren es 600 Schulen. Seit zwölf Jahren trägt das Dossenberger
       Gymnasium den Titel, zu großen Teilen ein Verdienst von Kunstlehrerin
       Birgit Rembold. Eine „Überzeugungstäterin“, wie sie sich selbst bezeichnet.
       „An der Schule kann ich mit Kunstunterricht allein nur die Augen für
       Schönes öffnen“, sagt Rembold, „dazu gehört für mich aber auch, Schönes zu
       erhalten.“
       
       Über die Jahre hinweg haben sie und ihre Kolleg*innen das Gymnasium in
       einen kleinen Nachhaltigkeitskosmos verwandelt: Nach den Sommerferien
       startet eine „Umweltklasse“, die zweimal pro Woche im Fach Umweltbildung
       unterrichtet wird. Am „Zukunftstag“ wird ein umweltfreundliches Schulfest
       gefeiert, längst gibt es nur noch Recyclingpapier. Zum Ende eines
       Schuljahres beschäftigt sich jede Klassenstufe mit Umweltthemen: Die 7.
       Klassen arbeiten zu den Themen Wiese und Insekten und besuchen das
       schuleigene Insektenhotel. „Vom Imker gibt es dann eine Honigsemmel“, sagt
       Rembold.
       
       ## Jedes Jahr neues Projekte
       
       Den Titel zu halten ist eine Herausforderung. Jedes Jahr müssen Schulen
       neue Projekte entwickeln, die vor der Jury Bestand haben. Das ist attraktiv
       für Einsteigerschulen, die mit einfacheren Maßnahmen – zum Beispiel Wasser-
       und Energiesparen – dabei sein können. Schulen wie das Dossenberger
       Gymnasium, die Aktionen nach einem Jahr nicht aufgeben wollen, haben es da
       schon schwerer. „Das Problem ist, ich kann so viele Projekte gar nicht
       alleine betreuen“, sagt Rembold.
       
       Der Kreis an Lehrkräften, die sich beteiligen, muss also wachsen. „Das war
       anfangs schwierig, mittlerweile habe ich aber einen guten Stamm an
       Kollegen.“ Dann können Projekte auch immer wieder stattfinden. Nur so
       können Schüler*innen zum eigenen Denken bewegt werden, glaubt Rembold. Und
       darauf komme es an. Denn: „Wenn jemand etwas ändern kann, dann sind das die
       Kinder.“
       
       29 Aug 2020
       
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