# taz.de -- Aktionstag gegen Gewalt an Frauen: Der falsche Konsens
       
       > Es ist Teil eines gesellschaftlichen Konsenses, dass der Schwächere sich
       > dem Stärkeren unterzuordnen hat. Was wir brauchen, ist eine andere
       > Erziehung.
       
 (IMG) Bild: Ändert sich auch im Alter nicht: Sylvester Stallone vertraut auf seine Fäuste
       
       Was ist mit psychischer Gewalt von Frauen gegenüber Männern?“, lautet ein
       Kommentar in einem Bericht zum Hamburger Aktionstag gegen Gewalt an Frauen
       am Montag. In jedem Bericht, in dem es um Gewalt gegen Frauen geht, kommt
       ein Dödel daher und sagt diesen Satz.
       
       Tja, was ist damit? Natürlich gibt es psychische Gewalt. Natürlich ist das
       ein wichtiges Thema. Natürlich üben Frauen und Männer psychische Gewalt
       aus. Aber was hat das mit dem Thema „Körperliche Gewalt gegen Frauen“ zu
       tun?
       
       Abgesehen davon, dass es eine Frechheit darstellt, unter einem Artikel
       einen Kommentar abzugeben, in dem man den AutorInnen nahelegt, über ein
       anderes Thema zu berichten, weil man an diesem nicht interessiert sei, soll
       es auch einen Zusammenhang herstellen: Männer üben körperliche Gewalt gegen
       Frauen aus? Frauen üben aber psychische Gewalt gegen Männer aus. Was
       dahintersteht, mitschwingt und durch einen solchen Kommentar unter solch
       einem Artikel eine solche Bedeutung bekommen muss: Die Frauen sind selber
       schuld, wenn der Mann Gewalt gegen sie ausübt, weil sie ihn dazu,
       sozusagen, getrieben haben (mit ihrer psychischen Gewalt).
       
       Dass in Beiträgen zu Gewalt gegen Frauen immer dieser Kommentar kommt,
       zeigt, wie wenig manche Männer bereit sind, sich dem Thema zu stellen und
       von ihrem „selber schuld“ abzurücken. Ich will ja eben nicht bestreiten,
       dass das Thema psychische Gewalt es nicht auch wert ist, dass man sich
       damit auseinandersetzt, aber an dieser Stelle hat solch ein Kommentar
       nichts zu suchen.
       
       Gewalt gegen Frauen, Gewalt, die Männer gegen Frauen ausüben, ist leider
       auch in unserer Gesellschaft ein so großes Thema, dass tatsächlich so gut
       wie jeder Mensch, den ich kenne, in seiner Familie damit bereits zu tun
       hatte. In meiner Generation gibt es sehr viele gewalttätige Väter. Väter,
       deren Väter im Krieg waren und die ihrerseits Gewalterfahrungen mit ihren
       Vätern gemacht haben.
       
       Aber es ist auch, und dem muss man ins Auge schauen, Teil eines
       gesellschaftlichen Konsenses, dass der Schwächere sich dem Stärkeren
       unterzuordnen hat. Die Radfahrerin hat dem abbiegenden Lkw die Vorfahrt
       abzutreten – wenn sie klug ist. Der schmale Junge hat dem Muskelmann auf
       der Straße auszuweichen – wenn er klug ist. Und die Frau hat dem schlecht
       gelaunten, aufbrausenden Ehemann nicht Widerworte zu bieten – wenn sie klug
       ist.
       
       Wie kann diese Radfahrerin nur auf die Vorfahrt bestehen, hängt sie nicht
       an ihrem Leben? So wird gefragt, so ist es Konsens. Und beschimpft wird der
       Schwache, der sich dem Stärkeren, im eigenen Interesse versteht sich, nicht
       unterordnet. Lebensmüde sei sie. Dumm! Selber schuld.
       
       Aber es ist auch ein noch sehr altertümliches Bild von Männlichkeit: Eine
       Erziehung, die Jungen zu psychisch Versehrten macht. Die ihnen keinen
       adäquaten Umgang mit ihren Gefühlen ermöglicht, die ihnen ihre Gefühle
       nicht erlaubt, die sie nicht lehrt, friedliche Auswege aus inneren
       Bedrängnissen zu finden.
       
       Ich sah mir am Wochenende ganze acht klassische Hollywood-Filme an. In fast
       allen gab es einen männlichen Helden, der – in die Ecke gedrängt, gepeinigt
       und ungerecht behandelt, schließlich wild um sich schlug und schoss und
       sich und die Frau – immer gibt es eine schöne, auch recht kluge, aber sich
       selbst nicht beschützen könnende Frau – rettete. Ein Retter ist der Mann in
       diesen Filmen. Ein Held. Das möchten viele Männer gerne sein.
       
       „Wenn die Frauen so gerne gleichberechtigt sein wollen, dann sollen sie
       sich auch ihre Koffer selbst ins Gepäckfach wuchten“, las ich auch mal
       einen Kommentar. Das zeigt, was der Mann für seinen Einsatz als Retter,
       Beschützer, Held, haben möchte: Unterordnung. Was wir aber brauchen, ist
       eine Gesellschaft, in der die Stärkeren den Schwächeren helfen und dafür
       nichts erwarten als die Gewissheit, dass auch ihnen geholfen wird, wenn sie
       die Schwächeren sein werden. Denn Männer sind zwar oft körperlich
       überlegen, aber menschlich und intellektuell eben nicht. Wir brauchen eine
       andere Erziehung, andere Rollenbilder, Liebe.
       
       27 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Seddig
       
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