# taz.de -- Wahlkampf in Großbritannien: Erdbeben verhindern
       
       > Im Wahlkreis des ältesten Labour-Abgeordneten ist Kohlebergbau passé.
       > Statt Kohle droht Fracking, statt Labour die Tories.
       
 (IMG) Bild: Vor dem Hof der Duvals im Dorf Elmton steht das Wasser
       
       ELMTON/CRESSWELL taz | Kenneth und Judith Duval, 78 und 69 Jahre alt, haben
       sich ein ruhiges Plätzchen für ihre Jahre in Rente ausgesucht. Von einigen
       Fenstern aus blicken die beiden pensionierten Design- und Kunstdozenten
       über hüglige Felder, auf der anderen Seite auf die alte Kirche des Dorfs
       Elmton. Vor ihrem Hof in dem Ort mit 64 Einwohnern in Derbyshire ist die
       Straße gerade wegen der schweren Regenfälle überflutet.
       
       Die Duvals sind darüber jedoch weniger besorgt als über ein anderes
       Problem: Fracking. „Es machte aus mir, die einst vor politischen Themen
       weglief, eine feurige Kämpferin“, gesteht Judith. Sie und Kenneth haben
       sogar eine Lobbygruppe „Creswell against Fracking“ gegründet. Creswell ist
       ein größeres Dorf vier Kilometer von Elmton. Die beiden erzählen, wie die
       Leute hier sie zuerst als aufsässige Zugereiste abstempelten, bis dann
       eines Tages zahlreiche weiße Lkws und Kleinlaster mit Vermessungsteams
       anrollten und wochenlang das Gestein unter der Erde in der Umgebung
       prüften.
       
       Die beiden wurden zum Sprachrohr aller umliegenden betroffenen Gemeinden.
       Von ihrem Parlamentsabgeordneten, Labour-Veteran Dennis Skinner, erhielten
       sie jedoch keine Hilfe. Statt sich selbst hinter die Kampagne gegen
       Fracking zu stellen, reichte der 87-Jährige, ein Urgestein des linken
       Labour-Flügels im Parlament, lediglich Briefe weiter, erzählt Kenneth.
       
       Inzwischen haben selbst die Tories, die Fracking vorher groß anpriesen, ein
       Moratorium ausgerufen. Das sei noch nicht das Ende, aber zumindest ein
       vorläufiges Ende, glauben Kenneth und Judith. Im Dezember will Kenneth
       jedenfalls Grün wählen, auch wenn der grüne Kandidat hier eigentlich keine
       Chance hat.
       
       ## Bolsover ist eigentlich Labour-Land
       
       „Zum einen ist es wegen der Umwelt, zum anderen wegen deren Bekenntnis zur
       EU“, sagt Kenneth. Auch wenn er selber etwas kritisch gegenüber der EU ist,
       will er nicht, dass Großbritannien unter Boris Johnson „zum 51. Bundesstaat
       der USA wird“, wie er argumentiert.
       
       Judith, die ebenfalls positiv zur EU steht – „wir sind Europäer“ – äußert
       sich ein bisschen vorsichtiger. „Klar, ich werde nie konservativ oder die
       Brexit Party wählen, aber es gibt neben Labour, den Grünen und den
       Liberaldemokraten hier auch zwei unabhängige Kandidaten. Bevor ich mich
       entscheide, muss ich mir die genauer anschauen.“
       
       Der Wahlkreis Bolsover ist seit vielen Jahrzehnten unangefochtenes
       Labour-Land, nicht zuletzt wegen seiner Bergbauvergangenheit. Dennis
       Skinner ist seit 1970 Wahlkreisabgeordneter. Noch bei den letzten Wahlen
       2017 holte er 52 Prozent. Doch die Konservativen lagen ihm mit 40,5
       Prozent, deutlich mehr als die 24,5 Prozent zwei Jahre zuvor, viel dichter
       auf den Fersen als gewohnt.
       
       In Creswell warten Tracey English und John Hopkins, beide 50, vor der
       Grundschule am frühen Nachmittag auf ihre Kinder. Nicht weit von ihnen
       steht ein einsamer, alter Transportwagon am Rand einer einstigen
       Bergwerkssiedlung aus dem 19. Jahrhundert. Der alte Kohlewagen steht dort
       als Denkmal: 1950 starben hier 80 Menschen unter Tage aufgrund eines
       Maschinenfeuers. Statt Kohle enthält der Wagen ein Blumenbeet.
       
       ## Umschwung in allen alten Industrierevieren
       
       English und Hopkins, ehemalige Labour-Wähler, wie sie sagen, sind ein Teil
       des Umschwungs weg von Labour, der überall in den alten Bergbau- und
       Industrierevieren zu spüren ist. „Wir wollen aus der EU raus, und außerdem
       ist Corbyn der Unterstützer von Terroristen“, sagt Hopkins. „Wir stimmten
       dafür, uns von der EU nichts mehr sagen zu lassen“, ergänzt English.
       Hopkins will diesmal die Konservativen wählen.
       
       Auch andere bestätigen, dass Labour in Creswell inzwischen auf dem musealen
       Abstellgleis steht wie der Kohlewagen. Dass Labour beabsichtigt,
       Rekordsummen in das Land zu investieren, ist ihnen egal. Das seien doch nur
       unbezahlbare Wahlköder, behauptet Hopkins. „Die Rechnung für die Ausgaben
       tragen dann im Zweifelsfall wir, die Armen.“
       
       In Elmton glaubt Judith nicht, dass es so weit kommen wird und Skinner nach
       fast 50 Jahren den Wahlkreis verliert. Sie glaubt, dass die Konservativen
       die Leute mit ihrem Slogan „Get Brexit Done“ die Leute an der Nase
       herumführen. Und sie glaubt nicht, dass in dieser vom Bergbau geprägten
       Region die Konservativen je eine Mehrheit erhalten können. Sollte das doch
       geschehen, gäbe es in Bolsover doch noch Erdbeben. Und sie hätten nicht
       einmal etwas mit Fracking zu tun.
       
       29 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn
       
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