# taz.de -- Die Wahrheit: Trinkfeste Halsbrecher
       
       > Seit dem 1. Januar führt das weinreiche Kroatien als Ratspräsident die EU
       > in den turbulenten Rausch der goldenen Zwanziger.
       
 (IMG) Bild: Danke, Alter: Der designierte Präsident Zoran M. ordert noch mal 5
       
       Seit dem 1. Januar hat Kroatien für die erste Halbzeit des Jahres die
       EU-Ratspräsidentschaft inne – ein Land, das erst im Sommer 2013 der
       Europäischen Union beigetreten wurde. Kann ein Land, das nicht unbedingt
       dafür bekannt ist, den europäischen Gedanken weiterzuentwickeln, in diesen
       Krisenzeiten neue Akzente setzen? Durchaus, wobei allerdings niemand zu
       beurteilen mag, wie sich die Entlassung von Niko Kovač beim FC Bayern auf
       die bilatrinalen Beziehungen zwischen München und Zagreb auswirkt.
       Immerhin, beim Internationalen Korruptionsindex konnte sich das K-Land um
       einen Platz auf den 58. Rang verbessern.
       
       Ein Feldvorteil Kroatiens: Alkoholisch ist das Land breit aufgestellt, was
       den oft zähen EU-Verhandlungen neue Impulse vermitteln dürfte. Die
       Bürokroaten in Zagreb sind als trinkfest bekannt, und sie lassen es nicht
       bei Schnäpsen aus der Kroatzbeere oder dem Nationalgetränk Rotwein-Limo
       bewenden. Wobei das heimliche Nationalgetränk Sliwowitz genau so schmeckt,
       wie es heißt.
       
       Ohnehin ist Kroatien längst kein banales Reiseziel mehr, sondern eine
       Destination: Balkan statt Balkonien. Die Fotostrecken einschlägiger
       Hochglanzmagazine zeigen Riesentrüffeln, malerische Obstgärten,
       muskelbepackte Olivenheinis oder halsbrecherische Weinberge. Von den
       kriegerischen Auseinandersetzungen der neunziger Jahre ist zum Beispiel in
       Istrien nur noch wenig zu sehen, ebenso wenig in allen 101 dalmatinischen
       Weingütern oder in Nachbarregionen wie Slawonien und Slawinien.
       
       Namen wie „Motovuner Mördergrube“ oder „Buzeter Herzblut“ erinnern jedoch
       an die traditionell blutigen Auseinandersetzungen zwischen slowenischen und
       istrischen Winzern. Die Böden enthalten unter einer dünnen Splitschicht
       sehr viel Metall (Patronenhülsen, Schrapnelle, Minen, Kanonenkugeln et
       cetera), sodass die dort ausgebauten Rotweine nicht eigens mineralüberholt
       werden müssen.
       
       In der Nähe der kleinen Gemeinde Gora Versacovič werden die Trauben noch
       heute mit Handgranaten von den Rebstöcken geholt, was den Winzern zwar
       einen Arbeitsgang erspart, den Verschleiß an Erntehelfern im Weinberg aber
       deutlich erhöht. Nur die Flinken und Starken überleben die strapaziöse
       Lese. In zahllosen Versuchen gelang es wiederum dem Winzer Mladen Basic,
       der sich nebenberuflich als Trüffelverleiher betätigt, die Wildrebe „Teran“
       zu domestizieren. Es ist der „Wein der Starken“.
       
       ## Istrischer Wein, und die alten Lieder
       
       Die kroatische Bevölkerung ist von Italienern und Habsburgern geprägt: Von
       Ersteren haben sie die mafiösen Vertriebsstrukturen geerbt, von den
       Österreichern den Schmäh. Istrische Weine sind beileibe keine
       Armutstropfen, vor allem wenn man sie in Akazien-Holzfässern ausbaut –
       viele werden prämiert, nur wenige deprimiert. Legendär ist der 1999er
       „Drastica Magica“ von Dejan Titanic, der ordentlich Seegang macht. Mit
       diesem Spitzengewächs hat man schon bei den Beitrittsverhandlungen im Jahre
       2011 die EU-Kommissare erfolgreich unter den Tisch gesoffen.
       
       Der Drastica passt sogar zu Fisch aus der Bucht von Piran, um die sich
       Kroatien in turnusmäßigen Scharmützeln mit Slowenien streitet, bei denen
       regelmäßig Fischer eingebuchtet werden: EU einmal anders. Europa darf sich
       dennoch auf die kroatische Ratspräsidentschaft freuen, auch wenn bis zur
       Stunde noch nicht vollständig klar ist, wer dem Land in Zukunft präsidial
       vorstehen wird.
       
       Zwar konnten sich die kroatischen Wähler nach einigen Wahl- und
       Wandelgängen durch die Weinberge knapp auf den trinkfesten Sozialdemokraten
       Zoran Milanović einigen, doch bleibt abzuwarten, wie
       Literaturnobelpreisträger Peter Handke mit der Situation umzugehen gedenkt.
       In allen Balkanfragen behält sich der deutschsprachige Starkdichter gern
       das letzte Wort vor. Aber ein Fässchen kroatischen Starkweins wird ihn
       schon gnädig stimmen.
       
       7 Jan 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas C. Breuer
       
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