# taz.de -- Die Wahrheit: Pilgern zu Ronaldos Schlüpper
       
       > Anfang des Jahres 2021 übernimmt Portugal den Ratsvorsitz der
       > Europäischen Union und damit die Weltschmerzherrschaft.
       
 (IMG) Bild: Derzeit berühmtester Portugiese mit Waschbrettkörper: CR7
       
       Na, ob das was werden kann nach dem bravourösen und alle Klarheiten
       beseitigenden EU-Ratsvorsitz der Bundesrepublik Deutschland im
       zurückliegenden Halbjahr? Turnusmäßig übernehmen jedenfalls am 1. Januar
       die Portugiesen den ganzen Schlamassel der Europäischen Union.
       
       So richtig erfolgreich ist der Portugiese schon an der Spitze der Vereinten
       Nationen nicht. Gut, die Übergabe dürfte reibungsloser verlaufen als jene
       von Trump an Biden. Deutschland und Portugal, das sind ganz alte Bande,
       seit Jürgen Tarrach in Lissabon für die ARD ermittelt und Julian Weigl
       Benficas Mittelfeld beackert. Portugal ist komplett fußballverrückt, auf
       1.000 Einwohner, von denen nicht einmal alle kicken, kommen 9,2 Trainer.
       Benfica Lissabon gilt mit 270.000 Mitgliedern als drittgrößte
       portugiesische Stadt – halt: viertgrößte, wenn man Paris als zweitgrößte
       mit einbezieht, wo die meisten Exilanten (sogenannte Exports) leben.
       
       Tatsächlich spielt man ganz manierlich Fußball, nicht zuletzt wegen der
       Kolonien. Von 1808 bis 1821 war Rio de Janeiro sogar Portugals Hauptstadt.
       Madeira ist Heimat des Nationalheiligtums Portugals, CR7. Und Millionen
       pilgern jährlich nach Fatima, wo Ronaldos Schlüpper ausgestellt wird, die
       er beim Gewinn der Europameisterschaft trug. Gut drauf sind sie trotzdem
       nicht, die Portugiesinnen und Portugiesen. Sie leiden an der berühmten
       „Saudade“, was keine Wurstsorte, sondern eine spezifisch portugiesische
       Form des Weltschmerzes ist.
       
       Die Lähmungen des Salazar-Regimes wirken bis ins 21. Jahrhundert hinein,
       dazu der Verlust der Kolonien, schrecklich. Alle Azorentiefs nehmen auf
       portugiesischem Boden ihren Ursprung. Die Erosion an der Küste frisst das
       Land auf. Trauerweiden gedeihen trefflich zwischen Douro und Algarve. Dafür
       sind die Korkeichenwälder stark gefährdet durch den Schraubverschluss. Und
       durch die Stiftung Brand, die überall im Lande zündeln lässt.
       
       ## Leere Portokasse
       
       Nach der Eurokrise um 2007 war das Land stellenweise derart arm, dass man
       die Postleitzahlen entwerten musste, da einfach nichts mehr drin war in der
       Portokasse. Mittlerweile hat man sich erholt, Lusitanien leitet sich ja
       nicht zwingend von „to lose“ ab.
       
       Trotzdem: Die bedeutendste Brücke ist eine Hängebrücke. Zudem sind die
       Portugiesen entkräftet durch die anstrengenden Zisch- und Nasallaute ihrer
       Sprache, nasaliert werden zum Beispiel die Endungen an, ão, em, en, im, in,
       om, on, wodurch zu viel Luft ins Gehirn gelangt, begleitet von einem
       beschwerlichen Zischen. Die Musik heißt Fado, die beliebteste Sängerin
       Misia, wenn das nicht per se Runterzieher sind, oder, wie man heute sagt,
       Deprotainment vom Feinsten. Nicht mal die Lissaboner Straßenbahnen sind ein
       Produkt des Landes, sie stammen aus Amerika.
       
       ## Saurer Rotwein
       
       Erschwerend kommt hinzu, dass ausgerechnet die Engländer Anspruch auf die
       Erfindung des Portweins erheben, weil sie bereits im 17. Jahrhundert den
       Douro-Rotwein für den Transport auf die Insel mit Brandy versetzt haben,
       auf dass er nicht sauer werde, weswegen nun die Portugiesen sauer sind.
       
       Port heißt bekanntlich Hafen. Zum Abdichten der Sardinenfängerboote ist das
       klebrige Gesöff bestens geeignet. Beim kaum minder berühmten Madeira wird
       die Gärung mit Weinbrand gestoppt, einer der seltenen Fälle, bei dem ein
       Brand etwas löscht.
       
       Der Portwein lässt allmählich das Blut verkleben, es fließt deutlich
       langsamer als beim iberischen Nachbarn, und der allgegenwärtige
       Katholizismus macht das Leben nicht eben komfortabler. Strafverschärfend
       sind die Männer serienmäßig mit schweren Schnurrbärten ausgestattet, die
       den Kopf nach unten ziehen. Sieht nicht gut aus, Portugal. Trotzdem, boa
       sorte – viel Glück!
       
       29 Dec 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas C. Breuer
       
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