# taz.de -- Wachsende Spannungen in Sri Lanka: Furcht vor der Vergangenheit
       
       > Am Friedhof gedenken tamilische Kriegsveteranen ihrer Toten. Sie trauen
       > der Regierung nicht. Ist das Land auf dem Weg in den nächsten
       > Bürgerkrieg?
       
 (IMG) Bild: Unter vielen Tamilen gefürchtet: Gotabaya Rajapaksa bei einer Regierungserklärung am 3. Januar
       
       JAFFNA taz | Eine Gruppe von Männern steht vor einem Trümmerhaufen. Es sind
       die Reste von Grabsteinen, die sie zusammengetragen haben. Hier auf einem
       Friedhof auf der Halbinsel Jaffna im Norden Sri Lankas wurden einstige
       Kämpfer der tamilischen Guerillaarmee Liberation Tigers of Tamil Eelam,
       abgekürzt LTTE, begraben. Doch diese wie auch andere Stätten der Erinnerung
       an die einstigen Kämpfer sind von der sri-lankischen Armee zerstört worden.
       Besuche sind nicht gern gesehen. Aus den Reiseführern ist die
       Begräbnisstätte als Sehenswürdigkeit gestrichen worden.
       
       Die Männer, die sich am Strand von Charty treffen, sind selbst ehemalige
       LTTE-Kämpfer. Kanagaiya heißt einer von ihnen. Sein Sohn, ein „gefallener
       Tiger“, wie es heißt, ist hier beigesetzt worden. Die Haut des 59-jährigen
       Vaters ist von der Sonne gebräunt, sein Haar schütter, und er trägt – wie
       für gläubige Hindus üblich – weiße Striche auf der Stirn.
       
       1986 habe er sich der LTTE angeschlossen, nachdem [1][tamilische Fischer in
       Jaffna von der singhalesischen Marine attackiert] und Zivilisten getötet
       worden seien, sagt er. Damals kämpfte die LTTE schon seit drei Jahren im
       Norden und Osten der Insel für einen unabhängigen tamilischen Staat.
       Zehntausende Zivilisten kamen ums Leben. Nach [2][Ende des Kriegs 2009] saß
       Kanagaiya für seine Beteiligung zwei Jahre in Haft, sagt er.
       
       Der Vater und seine Begleiter sehen pessimistisch in die Zukunft. Sie
       fürchten, dass sich der jüngste Regierungswechsel in Sri Lanka negativ auf
       ihr Leben auswirken könnte. Denn im Erinnern liegt die Crux: Gotabaya
       Rajapaksa, der neue Präsident des Inselstaats, wird für seine Vergangenheit
       als Verteidigungssekretär in der letzten Phase des Krieges sowohl gefeiert
       als auch gefürchtet. Ende November setzte sich der Siebzigjährige als
       Präsidentschaftbewerber durch. Während seiner Amtszeit als
       Verteidigungssekretär waren die Tamil Tigers 2009 besiegt worden.
       
       ## Erinnerung an 20.000 Tote
       
       Bis zum heutigen Tag sind 20.000 während des Kriegs verschwundene Menschen
       vermisst. Die meisten sind tamilischer Herkunft. Rajapaksa wird
       vorgeworfen, damals Kämpfer wie Kritiker verfolgt und Kommandos geleitet zu
       haben, die Journalisten, Aktivisten und Zivilisten in Minibussen
       entführten. An die vermissten und ermordeten Journalisten erinnert heute
       ein Poster vor dem Presseclub in Jaffna, auf dem mit roter Farbe
       Blutspritzer nachgebildet sind.
       
       Die Hoffnung auf eine Aufarbeitung des Bürgerkriegs und der damit
       verbundenen Menschenrechtsverletzungen scheint durch die Wahl Rajapaksas in
       weite Ferne gerückt. Unter Sri Lankas Tamilen herrscht großes Unbehagen.
       
       Im Wahlkampf waren die Plakate von Rajapaksa in Jaffna noch abgerissen
       worden. Jetzt grüßt sein Konterfei und das seines Bruders Mahinda, dem
       frisch ernannten Premier, winkend auf glänzender Folie am Busbahnhof. Für
       viele im Norden Sri Lankas war es eine große Überraschung, als sie den
       Namen des neuen Präsidenten erfuhren. Die Tamilen, die mit rund 15 Prozent
       die größte Minderheit der sri-lankischen Bevölkerung stellen, hatten
       mehrheitlich gegen ihn gestimmt.
       
       Der Buchhändler Roy gibt sich zuversichtlich, auch wenn er damals vor dem
       Krieg geflohen ist. Der tamilische Christ möchte der neuen Regierung eine
       Chance geben. „Wir hoffen, dass sie etwas zum Positiven verändert“, sagt
       der Familienvater, der vor fünf Jahren nach Jaffna zurückgekehrt ist. Viele
       verließen während des Krieges die Region, und, wenn sie denn konnten,
       gleich das ganze Land. Roy drückt aber auch seine Unzufriedenheit mit
       vorangegangenen Regierung aus. Ja, es habe einen Wirtschaftsaufschwung
       gegeben, aber die Minderheit der Tamilen hatte sich auch mehr Mitsprache
       gewünscht.
       
       Vor allem aber lasten viele Menschen der letzten Regierung von Maithripala
       Sirisena an, trotz Warnungen die Serie von Anschlägen auf Christen nicht
       verhindert zu haben. Bei den [3][Attentaten im April 2019 auf Kirchen und
       Hotels] durch islamistische Selbstmordattentäter starben über 250 Menschen,
       etwa 500 weitere erlitten Verletzungen. Unter den Opfern befanden sich
       viele Christen, die gerade des Osterfest feierten. Danach brach mit dem
       Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig ein.
       
       Die Singhalesin Frances Bulathsinghala ist davon überzeugt: „Es liegt an
       den Menschen, etwas zu ändern.“ Sie kommt gern zu Roy in seinen Laden, um
       nach Büchern zu stöbern. Bulathsinghala spricht sich für eine Aussöhnung
       aus. „Zwischen Singhalesen und Tamilen gibt es auf menschlicher Ebene kein
       Problem“, sagt sie. Im Bücherregal steht ein kleiner Tempel mit Bildern von
       Jesus, Buddha und dem Elefantengott Ganesha. Doch in der Vergangenheit
       wurden von verschiedenen politischen Akteuren Unruhen zwischen den
       ethnischen und religiösen Gruppen gefördert, sagt sie.
       
       Gotabaya Rajapaksas Wahlsieg war auch das Ergebnis seiner nationalistischen
       Agenda. Doch nicht jeder, der für ihn gewählt hat, sei buddhistischer
       Nationalist, erklärt Bulathsinghala. Die Bevölkerung habe nach den
       Attentaten das Vertrauen in die Regierung verloren. Sie wurden in Zeiten
       des Bürgerkriegs zurückversetzt. Diese Chance habe Rajapaksa ergriffen und
       vor allem mit Sicherheitspolitik für seine Wahl geworben. Seine Partei, die
       sri-lankische Volksfront, betont zudem singhalesisch-buddhistische Werte
       und pflegt engen Kontakt zu buddhistischen Geistlichen, die sich mehr
       politischen Einfluss wünschen.
       
       Schon vor den Präsidentschaftswahlen warb Rajapaksa mit einer Amnestie für
       Kriegsverbrecher auf der Seite der sri-lankischen Armee. Die von ihm
       vorgenommene Beförderung von Shavendra Silva zum Generalstabschef blieb
       auch unter ausländischen Beobachtern nicht unkommentiert. So äußerte die
       UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet ihre Besorgnis,
       dass Silva, der im Krieg mit dem Tamilen als hochrangiger General aktiv
       war, trotz schwerwiegender Verstöße gegen Menschenrechte weiter an Einfluss
       gewinnen könnte.
       
       Kurz nach seiner Wahl schickte der neue Präsident das Parlament in eine
       Zwangspause. Zum neuen Jahr kündigte Rajapaksa an, die Rechte von
       Minderheitsparteien mithilfe einer Verfassungsänderung einzuschränken zu
       wollen und die Rolle des Präsidenten – also seine eigene – zu stärken.
       
       ## Festnahmen und Schikanen häufen sich
       
       Die Menschenrechtsaktivistin Shreen Abdul Saroor ist besorgt über das
       Verschwinden offener Räume in der Gesellschaft und zunehmender
       Selbstzensur, die [4][auch die muslimische Minderheit einschließt]. „Nach
       den Osterangriffen hat sich alles geändert“, schreibt sie. Saroor beklagt,
       dass die früher stille Überwachung sichtbar und bedrohlich geworden sei. Es
       häuften sich Meldungen über Schikanen und Festnahmen von unliebsamen
       Personen wie Vertretern von Minderheiten Darunter befindet sich eine
       festgehaltene Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft, ein bedrohter
       tamilischer Journalist und ein festgenommener Oppositionspolitiker.
       Premananth Thevanayagam von der tamilischen Zeitung Uthayan ist besorgt,
       dass er seine Reporter bald verlieren könnte. Es stünden unsichere Zeiten
       bevor.
       
       Viele Singhalesen sind anderseits davon überzeugt, dass Gotabaya Rajapaksa
       das Land aus der Krise führen kann. Wenn sich das Land wirtschaftlich
       erholt, könnte die nationalistischen Agenda bald wieder in den Hintergrund
       geraten. Und das werde sie voraussichtlich auch, sagt Dushni Weerakoon vom
       Institut für Policy Studies of Sri Lanka. Die neue Regierung verspreche
       politische Stabilität nach einer Phase, in der der Wachstum zurückging.
       
       Der Machtwechsel in der Hauptstadt Colombo ist noch nicht komplett
       vollzogen. Dem neuen Regierungschef und seinen Verbündeten fehlt die
       parlamentarische Mehrheit, nur 96 der insgesamt 225 Sitze haben sie inne.
       Deshalb hat Gotabaya Rajapaksa angekündigt, die Volksvertretung
       baldmöglichst aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Rajapaksa versicherte in
       einer Ansprache zum neuen Jahr, die Einheit des Landes und des Buddhismus
       zu schützen wie auch das Recht auf freie Religionsausübung zu respektieren.
       
       Für den Kriegsveteranen Kanagaiya bedeutete das immerhin, dass er und seine
       Kameraden trotz Bedenken den „Heldentag“ für ihre tamilische Kriegsopfer
       friedlich am Strand von Charty feiern konnten. Aus dem trostlosen Ort wurde
       für mehrere Tage ein lebendiges Spektakel. Sonst ist es still in Sri Lanka,
       fast schon zu still.
       
       8 Jan 2020
       
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