# taz.de -- Unkontrollierte Buschfeuer in Australien: Warten auf die Apokalypse
       
       > taz-Korrespondent Urs Wälterlin lebt im australischen Busch. Hier
       > beschreibt er die Bedrohung seiner Familie durch die Feuergefahr.
       
 (IMG) Bild: Weihnachten im Wohnzimmer des taz-Korrespondenten
       
       WOMBAT CREEK taz | Das Schlimmste ist der Rauch. Selbst hier im Büro,
       hinter Rollläden, Fenstern und Klimaanlage. Unsere Kleider stinken wie die
       eines Pfadfinders nach dem Sommerlager. Der Hals kratzt. Meine Augen
       tränen.
       
       Seit 15 Jahren wohnen wir auf unserer kleinen Farm „Wombat Creek“ nördlich
       der Hauptstadt Canberra. Meine Frau Christine, unsere beiden Söhne, und
       ich. Es ist unser Paradies. Ein Ort, wo vor dem Küchenfenster Kängurus
       grasen, während wir die Eier unserer Hühner zum Frühstück braten.
       
       Unter der Veranda wohnt unser Wombat Ellie. Ich hatte sie einst ihrer
       überfahrenen Mutter aus dem Beutel geschnitten. Meine Frau hatte das Baby
       ein Jahr lang mit der Flasche gefüttert. Das Waisenkind ist wieder frei,
       hat uns aber als seine Familie adoptiert.
       
       Wir sind umgeben von Wald. Typisch australischer Busch. Eukalyptus,
       Akazien. Wunderschön – und potenziell tödlich.
       
       ## Zwei Buschfeuer in der Nähe
       
       Während ich diese Zeilen schreibe, toben hinter unserem Horizont zwei
       Buschbrände, [1][das Inferno, das seit zwei Wochen die Bildschirme der
       Welt] dominiert.
       
       22 Kilometer von uns entfernt ist das eine Feuer, das andere sogar nur zehn
       Kilometer. Zehn Kilometer sind gar nichts. Bei Windgeschwindigkeiten von 80
       Stundenkilometern und Flammen so hoch wie Häuser kann sich eine Feuerbrunst
       in Minutenschnelle in jede mögliche Richtung entwickeln.
       
       Im Moment drängt das Feuer nach Norden. Gut für uns. Schrecklich für die
       Menschen, die in seinem Weg leben und alles verlieren, auch ihr Leben.
       
       ## Die Furcht, selbst zur „Story“ zu werden
       
       Davor habe ich Angst. Der Gedanke, dass meine Familie zu Schaden kommen
       könnte, ist unerträglich. Alles verbrennen zu sehen, was wir uns ein Leben
       lang aufgebaut haben – ein reiner Alptraum.
       
       Und dann ist da die Furcht, selbst zur „Story“ zu werden. Nach 30 Jahren
       als professioneller Beobachter, als Journalist, der zusieht und
       rapportiert, der analysiert und kommentiert – sich selbst aber nicht
       einbringt.
       
       Und jetzt das. Plötzlich bin ich mittendrin, nicht nur als Beobachter, auch
       als Mitspieler. Existenzielle Emotionen gehen einem durch den Kopf. Wenn
       ich schreibe, muss ich die wegstecken.
       
       Zwischen meiner Arbeit am Mikrofon und am Computer habe ich in unseren
       Feuerbunker getragen, was uns am Kostbarsten ist. Bilder, Fotoalben, den
       Ordner, in dem mein Vater in der Schweiz seine Lebensgeschichte
       aufgeschrieben hatte, bevor er starb.
       
       ## Erinnerung an die Kriegsschilderungen des Vaters
       
       Auch den Tag im Zweiten Weltkrieg hatte er beschrieben, als er aus dem
       Dachfenster seines Elternhauses bei Basel zusah, wie im benachbarten Elsass
       die Flammen von Brandbomben den Himmel in apokalyptisches Rot tauchten. An
       diese Passage erinnere ich mich heute.
       
       Ein Blick aus dem Fenster weckt Gedanken an eine Apokalypse. Unsere
       Aussicht – 30 Kilometer in die Ferne – endet 30 Meter an einer rotbraunen
       Luftwand aus Staub, Schmutz und Asche. An Weihnachten war nicht nur der
       Himmel blutrot, sondern auch die Luft.
       
       Während unserer Feier – komplett mit Plastikweihnachtsbaum – fühlte ich
       mich für einen Moment an den Film „Der Untergang“ erinnert, der die letzten
       Tage in Hitlers Bunker zeigt. Innen Party, draussen Armageddon.
       
       ## Systematisch alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen
       
       Selbstverständlich haben wir alles getan, was die Behörden vorschreiben.
       Die Schutzdistanz zwischen Haus und Wald stimmt auf den Meter. Die
       Baumaterialien sind feuerfest. Und unser „Feuerplan“ schreibt Schritt für
       Schritt vor, was wir bei Gefahr tun müssen: Generator starten (die
       Stromversorgung bricht als erstes zusammen), Sprinkleranlage ums Haus
       aktivieren, Gasflaschen entfernen, den Hund einfangen. Flucht.
       
       Die frühzeitige Evakuierung ist oberstes Gebot. Wir sitzen auf gepackten
       Koffern. Als absolute letzte Option, falls die Flucht nicht mehr möglich
       ist, haben wir den Feuerbunker. Ein Schiffscontainer, eingegraben in einen
       Hügel. 20 Minuten dauere ein Feuersturm, sagen die Feuerwehrleute. So lange
       könne man da drin überleben. Sagen sie. Und hoffe ich.
       
       ## Die Feuer sind nicht mehr kalkulierbar
       
       Denn wer weiss, ob sich das Feuer dann auch so verhält, wie es die Experten
       lange Jahre geglaubt hatten. [2][Denn nichts an dieser Feuersaison ist so
       wie früher].
       
       Klar, Feuer hat es hier schon immer gegeben, das Risiko war bekannt und
       auch für uns berechenbar. [3][Eine durch Klimawandel verschärfte Dürre] hat
       die Vegetation aber über Jahre so ausgetrocknet wie noch nie in der
       Geschichte des Kontinents.
       
       In weiten Teilen ist die Landwirtschaft ruiniert. Trotzdem blockiert
       Australien auch auf internationaler Ebene wirklichen Klimaschutz, wo es
       kann. Dass es der weltgrößte Exporteur von Kohle ist und damit buchstäblich
       davon profitiert, den globalen Klimawandel mitzuverursachen, mag etwas
       damit zu tun haben.
       
       ## Australiens Brände als Menetekel
       
       Wie lange Australien mit seiner Haltung noch durchkommt bei der
       internationalen Gemeinschaft, ist nach diesen Bränden zumindest fraglich.
       Die Feuer sind nicht nur der Beginn von dem, was in Australien zur
       Normalität wird. Sie sind eine Vorschau auf das, was der ganzen Welt
       bevorsteht.
       
       Es ist Abend. Durch den dichten Rauch sehe ich in der Ferne hoch am Himmel
       das Leuchten des Infernos. Ich muss wieder an das Bild denken, das mein
       Vater als Junge im Krieg gesehen hatte. „Weshalb musst Du denn in
       Australien wohnen, in diesem Land, wo alles so hart ist, so brutal?“ hatte
       er einmal gesagt, während eines besonders heißen Sommers. „Komm doch heim“.
       
       Wieder diese Tränen in den Augen. Es ist nicht nur der Rauch.
       
       5 Jan 2020
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Urs Wälterlin
       
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