# taz.de -- Libyen-Konferenz in Berlin: Ohne Öl kein Krieg
       
       > Alle Kriegsparteien in Libyen leben von den staatlichen Öleinnahmen. Nun
       > legt der aufständische General Haftar den Export lahm.
       
 (IMG) Bild: Um die libysche Hauptstadt Tripolis wird gekämpt. Die UN unterstützen die Regierungstruppen
       
       [1][Libyens Krieg] ist kein Ölkrieg, aber ohne Öl wäre er nicht möglich.
       Mit einer Förderung von zuletzt 1,23 Millionen Barrel täglich sowie
       gigantischen, leicht zu erschließenden Reserven in der Wüste gehört Libyen
       zu den großen Ölförderern der Welt und ist auch für Europa ein wichtiger
       Lieferant. 20,3 Milliarden US-Dollar – 18,3 Milliarden Euro – verdiente
       Libyen am Ölexport im Jahr 2019 bis Ende November, das sind rund 400
       Millionen Euro pro Woche.
       
       Dieses Geld finanziert den Krieg, legal und alternativlos. Einziger legaler
       Ölexporteur Libyens ist die staatliche Ölgesellschaft NOC (National Oil
       Corportation), die in Joint Ventures mit ausländischen Ölfirmen – ENI aus
       Libyen, Total aus Frankreich sowie kleinere Partner wie Wintershall aus
       Deutschland – die Bohrfelder und Pipelines betreibt und auch den Vertrieb
       raffinierter Ölprodukte im Land organisiert.
       
       Die Öleinnahmen landen in Libyens Zentralbank. Beide Institutionen haben
       ihren Sitz in der Hauptstadt Tripolis. Sie sind als eigenständige
       staatliche Institutionen formell unabhängig, auch von der international
       anerkannten Regierung von Ministerpräsident Sarradsch, stehen aber unter
       Einfluss der Hauptstadtmilizen.
       
       Aus der Zentralbank werden alle Staatsgehälter landesweit bezahlt, auch im
       Gebiet des aufständischen Generals Haftar im Osten des Landes, und aus der
       NOC kommen alle Treibstoffe für das gesamte Land. Die NOC ist die einzige
       staatliche Institution Libyens, in der nach der Revolution von 2011 kaum
       jemand entlassen und durch Günstlinge der Bürgerkriegsmilizen ersetzt
       wurde; bei der Zentralbank ist die Lage ähnlich.
       
       ## Beide Lager profitieren
       
       Alle Milizen auf allen Seiten und alle Kriegsführer leben vom
       Zentralbankgeld und betreiben ihre Fahr- und Flugzeuge mit
       NOC-Treibstoffen. Haftar und die mit ihm verbündeten Milizen kontrollieren
       sämtliche großen Ölfelder des Landes sowie mehrere Ölhäfen, nicht aber die
       größte Ölraffinerie in Zawiya im Westen Libyens. Der Ölkreislauf schmiedet
       die Kriegsparteien zusammen: Aus Haftars Gebieten fließt das Öl, über die
       Regierung fließt das Geld.
       
       Würde jemand diesen Kreislauf unterbrechen, müssten beide Kriegsführer
       sofort kapitulieren – und Libyen würde vollends im Chaos versinken, weil es
       dann kein Geld mehr gäbe, wohl aber viele kampferfahrene Menschen mit
       Waffen. Aber hält man diesen Kreislauf aufrecht, ermöglicht man die
       Fortsetzung des Krieges.
       
       Deswegen ist die im Einklang mit bestehenden UN-Resolutionen getroffene
       [2][Festlegung der Berliner Libyen-Konferenz], wonach „Verkauf oder Erwerb
       libyschen Rohöls oder von Erdölprodukten außerhalb der Kontrolle der NOC“
       zu unterlassen ist, zentral. Denn sollte Haftar das Öl auf eigene Rechnung
       verkaufen statt über die legalen Institutionen und dafür willige Abnehmer
       im Ausland finden, wäre der Krieg nicht mehr aufzuhalten, auch nicht die
       Teilung des Landes.
       
       Ansätze dafür gibt es längst. Nach dem Sturz der Gaddafi-Diktatur 2011
       entstanden in West- und Ostlibyen zunächst rivalisierende Zentralbanken und
       Ölgesellschaften. Das Friedensabkommen von Skhirat aus dem Jahr 2015, aus
       dem die jetzt amtierende „Einheitsregierung“ in Tripolis hervorging,
       schaffte diese Aufspaltung wieder ab und sorgte dafür, dass die
       Institutionen in Tripolis sich für das gesamte Land zuständig fühlen.
       
       ## Berliner Konferenz verschärft Streit um Öl
       
       Doch im Osten des Landes, wo das gewählte libysche Parlament und General
       Haftar residieren, blieben darüber hinaus eigene Gegeninstitutionen
       erhalten. Es gibt eine ostlibysche Zentralbank, die Geld in Russland
       drucken lässt, und eine ostlibysche Ölexportfirma, Brega Petroleum
       Marketing Company (BPMC), die vor wenigen Monaten einen eigenen Vorstand
       bestimmte und ihre Aktivitäten in Tripolis einstellte.
       
       Die NOC verurteilte das damals als „Versuch, eine neue illegitime
       Körperschaft für illegalen Ölexport aus Libyen“ zu gründen.
       
       Die Gefahr, dass das Öl zur zweiten Kriegsfront in Libyen wird, ist
       paradoxerweise durch die Berliner Libyen-Konferenz gestiegen. Am Tag vor
       der Konferenz blockierten Haftars Truppen in einer koordinierten Aktion die
       Ölexporthäfen Brega, Ras Lanuf, al-Sedra und al-Hariga. Zugleich
       blockierten mit Haftar verbündete Milizen die Pipeline, die von Libyens
       größtem Ölfeld El Sherara im Südwesten Landes zum regierungskontrollierten
       Hafen Zawiya nahe der tunesischen Grenze führt.
       
       Die NOC erklärte umgehend einen Exportstopp aufgrund „höherer Gewalt“.
       Libyen verliere durch Haftars Blitzmaßnahmen, die 95 Prozent der libyschen
       Ölförderung lahmgelegt haben, 55 Millionen US-Dollar täglich, warnten die
       Behörden in Tripolis.
       
       ## Kein Grund zu Optimismus
       
       Solche Blockaden sind streng genommen kein Verstoß gegen den
       Waffenstillstand in Libyen, aber sie sind die effektivste Kriegswaffe. Sinn
       machen sie für Haftar nur, wenn er sich schon überlegt hat, wie er am Öl
       auf eigene Faust Geld verdienen kann. Dann kann er sich jedem
       Friedensprozess entziehen.
       
       Dies zu verhindern, wird eine der vordringlichsten und zugleich
       schwierigsten Aspekte des neuen internationalen Libyen-Friedensprozesses.
       Optimismus ist nicht angebracht. Schon jetzt ist die EU untätig gegen den
       blühenden Schmuggel von Ölprodukten aus Westlibyen nach Malta.
       
       Die Recherchen über dieses lukrative Nebengeschäft des
       Flüchtlingsschleusertums bezahlte die [3][maltesische Journalistin Daphne
       Caruana Galizia] im Jahr 2017 mit dem Leben.
       
       20 Jan 2020
       
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