# taz.de -- Kemmerich und ein anderes Sturmtief: Extreme indoor nazivergleiching
       
       > Das Desaster in Thüringen lässt sich auf viele Arten lesen – kaum eine
       > davon ist uneingeschränkt positiv. Und auch sonst ist es eher windig.
       
 (IMG) Bild: Man würde ihr eine Duldung von R2G zutrauen
       
       taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht in der vergangenen Woche? 
       
       Friedrich Küppersbusch: [1][Sabine].
       
       Und was wird besser in dieser? 
       
       Sabine.
       
       Die AfD-gestützte Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten
       von Thüringen vergangene Woche war ein Eklat, der weit über Erfurt hinaus
       für Schockwellen gesorgt hat. Was wird uns davon über die Woche hinaus
       erhalten bleiben? 
       
       Eine Demarkationslinie. Keine demokratische Partei [2][kann sich eine
       Mehrheit aus Stimmen der AfD basteln]. Zwei Lesarten: 1. „Damit das mal
       klar ist“ und leider 2. „Daran wird ab sofort gefräst“. Am Tag der Schande
       schäumte sogleich die deutsche Lieblingssportart auf – extreme indoor
       nazivergleiching. Vor Ramelow [3][postete der Liberale Guy Verhofstadt]
       (16.24 Uhr) das Höcke-Locke-Hitler-Foto, vor ihm Jürgen Kuttner (15.07
       Uhr).
       
       Die Vergleiche mögen humpeln, das tat Goebbels auch, doch jedenfalls laden
       sie ein, auch zu Ende zu vergleichen: 1930 in Thüringen wie 1933 in Berlin
       gab es keine Empörungswelle, die den Spuk binnen 24 Stunden beendete. Die
       Vorsitzenden von Union und FDP nahmen weidlich Gelegenheit, sich öffentlich
       zu demolieren. Künftig steht unter jedem Lindner-Foto in Zaubertinte der
       Schokoriegelspruch „Kann Rückstände von Nüssen enthalten“. Aber wirklich
       nur ganz wenig. Und [4][AKK weiß nun, dass ihr Thron auf zwei Merkelfüßen]
       steht.
       
       Einem dritten „mir doch egal“ und dem vierten „mit der AfD geht’s auch“.
       Unterm Strich: sehr dumm, das Wirken der Havarie-Systeme nun zuzupflastern
       mit todessehnsüchtiger Verliebtheit in Höcke, wie es etwa der neue
       Spiegel-Titel tut. Es mag unschicklich sein, doch: Diese Woche hat der
       Konsens der Demokraten in Deutschland funktioniert und gewirkt. Man muss es
       leise sagen, denn siehe 2. Daran wird ab sofort gefräst.
       
       Angela Merkel [5][setzt den Ostbeauftragten Christian Hirte vor die Tür].
       Er hatte Thomas Kemmerich öffentlich zu dessen Wahl gratuliert. Ist der
       Rauswurf mehr als eine freundliche Geste in Richtung des Koalitionspartners
       SPD? 
       
       Nachfolgerin AKK hatte versprochen, dieses Jahr keine Büttenrede zu halten.
       Doch was war das dann? Die Vorsitzende der CDU (21 Mandate in Thüringen)
       [6][fordert SPD und Grüne (13 Mandate in Thüringen) auf, einen neuen
       MP-Kandidaten zu liefern]. Wahlweise sagt AKK damit „Bei uns gibt’s halt
       nur Pfeifen“ oder „Ich weiß auch nicht so genau, wessen Vorsitzende ich
       gerade bin“. Ausgangspunkt des Desasters war, dass Mohring und seine
       Erfurter Gang zweimal versuchten, die Bundes-CDU in die Duldungsstarre gen
       links zu tanzen.
       
       Nirgends ist die Linke zumutbarer als unter dem christlichen
       Westgewerkschafter Ramelow, nirgends die AfD ekliger. Mag sein, dass
       Ostfrau Merkel weniger Illusionen hat über die Blockflöten bei CDU und FDP
       (ehedem CDU, Bauernpartei, LDPD, NDPD). Warum sollte sich die Linke nicht
       eben so weit von der SED entfernt haben in 30 Jahren? Merkels Pragmatismus
       wäre zuzutrauen, R2G in Thüringen hinzunehmen. Doch das ist Spekulation.
       Der Rauswurf Hirtes hingegen darf neben der notorischen Cleverness – eine
       plausible Forderung der SPD weniger – auch als Teil eines
       Merkel-Vermächtnisses gelesen werden. Wie auch das Zauberwort, das sie aus
       Afrika zurief und das dann wording des Koalitionsausschusses wurde:
       „unverzeihlich“.
       
       Bei einem Fußballspiel gegen Schalke 04 wurde Hertha-Spieler [7][Jordan
       Torunarigha rassistisch beleidigt]. Weil er wütend reagierte, kassierte er
       eine rote Karte. Was war da los? 
       
       Der Schiri war der Meinung, „nichts gehört zu haben“, als er von
       Torunarighas Sportchef Preetz auf „rassistische Rufe und Laute“ hingewiesen
       wurde. Oder er dachte, [8][es sei nur wieder der Schalker Präsident].
       
       Der Schweizer Pharmahersteller Novartis verlost 100 Behandlungen mit
       Zolgensma, einem Mittel gegen eine tödliche Muskelkrankheit bei Säuglingen
       und Kleinkindern. Eine einzige Dosis soll mehr als zwei Millionen Dollar
       kosten. Ist das nun großzügig oder unethisch? 
       
       Geiselnahme. Das Medikament ist nicht zugelassen, und es gibt ein
       wirkungsähnliches älteres, das die Betroffenen allerdings öfter bekommen
       müssen. Novartis will den Markt an sich reißen und die bei nicht
       zugelassenen Medikamenten übliche Härtefallregelung überspringen. Da
       müssten sie es auch billiger abgeben, wenn ein Arzt die Gabe auf seine
       Kappe nimmt. Doch offenbar will der Pharmakonzern vor allem den absurd
       hohen Preis durchsetzen. Der wird mit „Entwicklungskosten“ begründet, und
       hey, wenn ich für jeden Film die Entwicklungskosten dem Kunden, also
       Sender, reindrücken könnte, wäre ich Krösus und ein paar Sender pleite. Vor
       alledem warnte ein Verbund aus Kassen und Kliniken bereits im November
       Gesundheitsminister Spahn – der sich anschloss und von Novartis eine
       Gratis-Vergabe forderte. Das hat er nun davon.
       
       Am 13. Februar ist der von der Unesco ausgerufene World Radio Day. Was
       hören Sie gerne im Radio? 
       
       Wie der große Helmut Lehnert sagt: „Die Zukunft des Radios liegt in seiner
       Vergangenheit.“ Also überall, wo nicht die achtzigsten der neunziger, der
       richtige Verkehrshinweis-Mix und stattdessen originelle Musik und
       leidenschaftliche Wortbeiträge laufen.
       
       Und was machen die Borussen? 
       
       Ich kann dieses Gewechsel und haltlose Kaderwürfeln nicht mehr sehen.
       Könnte der Trainer mal elf Spieler drei Spiele durchspielen lassen?
       
       Fragen: hdl, lme
       
       9 Feb 2020
       
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