# taz.de -- Berliner Kneipen in Zeiten von Corona: „Wir haben die Arschkarte“
       
       > Speiselokale dürfen ab dem 15. Mai öffnen, Kneipen und Shishabars nicht.
       > Heiner Klinger, Wirt der Szenekneipe Slumberland, fordert
       > Gleichbehandlung.
       
 (IMG) Bild: Will das volle Hygiene-Programm fahren: Heiner Klinger vor seiner Kneipe am Winterfeldtplatz
       
       taz: Herr Klinger, das Slumberland am Winterfeldtplatz bleibt, wie alle
       anderen Kneipen in Berlin, geschlossen. Was sagen Sie zu der Entscheidung
       des Senats? 
       
       Heiner Klinger: Ich war sehr enttäuscht, als ich das am Donnerstag gehört
       habe. Ich halte das für keine faire Lockerung. Für die Kneipen ist diese
       Ungleichbehandlung Hardcore. Wissen Sie, was passieren wird?
       
       Nein.
       
       Die Leute setzen sich nebenan in die Restaurants und trinken dort ihr Bier.
       Ich hoffe, dass der Senat das in dieser Woche noch mal überdenkt und wir
       Kneipen auch wieder ein bisschen Geld verdienen dürfen. Sonst machen sie
       eine ganze Branche kaputt, denn viele Kneipen werden das nicht überleben.
       
       Der Senat hat beschlossen, dass nur Gaststätten, die Speisen selbst
       zubereiten, [1][ab dem 15. Mai aufmachen] dürfen. 
       
       Das ist absurd. Auch in einer Gaststätte mit Vollkonzessionsküche musst du
       nichts essen, du kannst nur etwas trinken. Der Wirt hat auch viel mehr
       Interesse daran, dir Alkohol zu verkaufen als Essen, weil er am Essen kaum
       was verdient. Mir geht es für die Kneipen um Gleichbehandlung.
       
       Was ist mit der Einhaltung der Auflagen für den Infektionsschutz? Wäre das
       im Slumberland denn möglich? 
       
       Wir können die Vorsichtsmaßnahmen genauso einhalten wie jedes Restaurant
       auch. Am Tresen darf sich kein Gast aufhalten, alle müssen an Tischen
       sitzen. Einlassbeschränkungen, Abstandsregeln, Hygienegrundsätze,
       Mundschutz – wir fahren das volle Programm. Keiner würde dagegen verstoßen,
       weil alle heilfroh sind, dass die Kneipe wieder offen ist.
       
       Wie erklären Sie sich die unterschiedliche Verfahrensweise des Senats? 
       
       Ich will hier keine Verschwörungstheorien aufstellen, aber mein Eindruck
       ist, dass das für manche Leute auch eine günstige Gelegenheit ist, ihre
       Politik durchzudrücken.
       
       Wen meinen Sie damit? 
       
       Die Abstinenzler und Gesundheitsapologeten, denen Kneipen ohnehin zuwider
       sind, weil dort zu viel Alkohol getrunken wird.
       
       Wie kommen Sie zu dieser Annahme? 
       
       Raucherlokale sind in der Senatsverordnung zur Eindämmung des Coronavirus
       grundsätzlich geschlossen worden. Die Leute sollten vor sich selbst
       geschützt werden. Sie seien ja gesundheitlich angeschlagen, weil sie
       rauchen. Das steht in der Senatsverordnung vom 21. April wortwörtlich so
       drin! Da kann man sich doch nur noch fragen: Wo sind wir hier eigentlich?
       
       Mit Blick auf Corona könnte man aber auch einwenden, Alkohol senkt die
       Hemmschwelle, die Leute halten die Abstandsregeln dann nicht mehr ein. 
       
       Da ist sicher was dran. Aber das Problem besteht in Restaurants genauso.
       Der Punkt ist: Wenn man Kneipen verbietet, muss man auch den
       Alkoholausschank in Restaurants verbieten. Dann wäre das okay, weil
       nirgendwo Alkohol ausgeschänkt würde. In manchen Ländern ist das zu
       Coronazeiten jetzt ja so. Im Interesse der Gastronomie wäre das natürlich
       nicht. Im Übrigen ist es in der Praxis doch so: Wenn einer volltrunken ist,
       kriegt er in der Kneipe sowieso nichts mehr. Der fliegt dann raus. Das war
       schon immer so.
       
       Was wollen Sie nun tun? Sie könnten gegen die Verordnung klagen. 
       
       Wir müssen uns erst mal mit anderen Wirten, die in derselben Situation
       sind, beraten. Es geht darum, öffentlichkeitswirksam Druck aufzubauen.
       Gaststätten mit Vollkonzessionsküche haben da eine ganz andere Power mit
       der Dehoga Berlin im Rücken...
       
       ... dem Hotel- und Gaststättenverband. 
       
       Ja. Die Großen sind alle im Verband und können dementsprechend Alarm
       schlagen. Wir kleinen Krauterer haben die Arschkarte, auf gut Deutsch
       gesagt.
       
       Warum gibt es für das Slumberland noch keine Spendenaktion von Stammkunden,
       wie das bei anderen Kneipen oder den Clubs zum Teil der Fall ist? 
       
       Meine Hoffnung war, dass ich in dieser Woche wieder aufmachen kann. Es geht
       auch um die Existenz. Ich habe neun Mitarbeiter. Die Minijobber kriegen
       kein Kurzarbeitergeld und die studentischen Hilfskräfte auch nicht, die
       fallen teilweise total durchs Netz. Ich musste denen zum Teil Vorschüsse
       geben, und dann kommt so ein Beschluss! Eine Spendenaktion wäre der
       allerletzte Rettungsanker. Das Problem ist zudem: Wenn du pleitegehst, sind
       auch die Spendengelder weg. Es wäre mir lieber, die Leute kommen, um zu
       konsumieren, statt zu spenden, und ich bezahle wieder fröhlich meine
       19-prozentige Umsatzsteuer.
       
       Wird das Slumberland denn richtig vermisst? 
       
       Die Stammgäste schimpfen alle, aber das Slumberland findet ja statt.
       
       Wie bitte? 
       
       Die Leute sitzen jetzt alle in der Begegnungszone in der Maaßenstraße oder
       auf dem Winterfeldtplatz zusammen und holen sich in den umliegenden
       Geschäften etwas zu trinken. Ich gucke zu und denke, was für ein Mist
       (lacht). Die Polizei kann solche öffentlichen Ansammlungen ja nicht überall
       kontrollieren.
       
       Die Straße als Kneipenersatz – das hat doch auch was. 
       
       Aber ich mache dabei keinen Umsatz. Um Flagge zu zeigen, dass ich noch
       existiere, verkaufe ich manchmal ein bisschen Pizza und Getränke außer Haus
       zum Mitnehmen. Außerdem: Eine Kneipe hat auch noch ein bisschen eine andere
       Funktion. Das ist wie ein Wohnzimmer. Auf dem Platz verläuft sich das eher.
       Das Lustige ist: Die Begegnungszone hat noch nie so gut funktioniert wie
       jetzt, obwohl sie potthässlich ist.
       
       Die Maaßenstraße war im Auftrag des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg 2015
       mit Betonpollern und Metallbänken verkehrsberuhigt worden. Im Kiez fand das
       [2][wenig Anklang.]
       
       Aber jetzt sind die Leute froh, dass sie die Begegnungszone haben. Ohne
       Witz. Selbst die, die am lautesten dagegen angekräht haben, sind jetzt
       dort.
       
       10 May 2020
       
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