# taz.de -- Polizeigewalt gegen Senior*innen: Unerwünschter Hausbesuch
       
       > Ein Notruf alarmiert die Hamburger Polizei – ein Einbrecher, so der
       > Verdacht. Es folgt ein brutaler Übergriff auf über 60- und 70-jährige
       > Senior*innen.
       
 (IMG) Bild: Empfängt man ungern als Gast in den eigenen vier Wänden: Polizeihund
       
       HAMBURG taz | Wenn man über 60 Jahre alt ist und abends um 22 Uhr in seiner
       eigenen Wohnung sechs Polizist*innen und einem Polizeihund gegenübersteht,
       wird man vermutlich keinen Widerstand leisten. Jedenfalls keinen
       körperlichen. Genau das aber wirft die Polizei der über 60-jährigen Petra
       Vollmer und dem über 75-jährigen Hartmut Wehrstedt vor.
       
       Am Abend des ersten Mai habe es an der Tür geklingelt und er habe geöffnet,
       [1][erzählt Jan Allers in einem Youtube-Video]. Allers ist ebenfalls über
       60 und Hauptmieter der Etage in Hamburg-Altona, wo Vollmer und Wehrstedt
       wohnen. In dem Video sitzen sie gemeinsam mit der vierten Mieterin an einem
       Tisch mit karierter Tischdecke und schildern nacheinander den gewaltsamen
       Übergriff.
       
       Eine Nachbarin hatte gegen 22 Uhr den Notruf alarmiert, weil sie am Fenster
       eine Taschenlampe flackern gesehen habe und einen Einbrecher vermutete. So
       bestätigt es der Polizeisprecher Holger Vehren auf taz-Anfrage. Das sagten
       auch die Beamt*innen zu Allers, als er ihnen die Tür öffnete. „Achso, das
       mit dem Licht war ich“, habe Allers geantwortet, „und ich bin hier der
       Hauptmieter.“ Nach einem kurzen „Geplänkel“, so Allers im Video, hätten die
       Polizist*innen ihn zur Seite geschubst und die Etage, die aus mehreren
       Wohneinheiten und einem Arbeitszimmer besteht, betreten.
       
       Sie seien zielstrebig zum hintersten Zimmer gelaufen, das am weitesten
       entfernt von dem Fenster mit dem Flackerlicht liege, erzählt Petra Vollmer
       weiter. Sie habe sich vor das Zimmer gestellt, die Tür zugemacht und wütend
       gefragt, was das solle. „Sie sehen doch, dass hier kein Einbruch
       stattfindet“, habe sie zu den Polizist*innen gesagt. Alles sei hell
       erleuchtet gewesen. Eine Polizistin habe daraufhin die Tür wieder
       aufgeschlagen und ihren Kolleg*innen zugebrüllt: „Die hat mich mit der
       Faust geschlagen!“
       
       ## Sie wollten sich in ihrer Wohnung nicht ausweisen
       
       Zwei Polizistinnen hätten sich daraufhin auf Vollmer geworfen, ihr Gesicht
       auf den Boden gedrückt und ihr, die schrie, mehrfach in den Rücken
       geschlagen. In Handschellen hätten sie Vollmer, die nicht mal Schuhe
       getragen habe, durch den Flur und die Treppe nach unten gezogen, wo sie
       hingefallen sei.
       
       Dass die Polizist*innen die Dame unter körperlicher Gewalt zu Boden
       gebracht und gefesselt haben, bestätigt Polizeisprecher Vehren. „Immer
       wieder beleidigte sie die Beamten und ließ sich auf dem Weg zum
       Funkstreifenwagen unter anderem mehrfach fallen“, schildert er die
       Situation. Problematisch sei von Anfang an gewesen, dass die Personen in
       der Wohnung sich nicht ausweisen wollten. Sie seien den Polizist*innen
       immer wieder ins Wort gefallen, ein sachliches Gespräch sei nicht möglich
       gewesen.
       
       Hartmut Wehrstedt bekräftigt im Video, dass er seinen Personalausweis nicht
       zeigen wollte. „Bei uns im Wohnzimmer gibt es keine Personalienkontrollen“,
       sagt er. Die Polizist*innen hätten ihn zu Boden gebracht, wobei er seine
       Brille verloren habe. „Ich hatte Nasenbluten und krabbelte am Boden herum,
       um meine Brille zu suchen.“ Er habe sie nicht gefunden und sei
       aufgestanden, um sich eine andere Brille zu holen. Daraufhin habe der
       Polizist ihm eine Ladung Pfefferspray direkt ins Gesicht gesprüht.
       
       Auch den [2][Einsatz des Pfeffersprays in der Wohnung] bestätigt
       Polizeisprecher Vehren: „Weil der Mann trotz einer
       Unterlassungsaufforderung immer wieder auf einen Beamten zugegangen war,
       wurde gegen ihn Pfefferspray eingesetzt.“ Auch Wehrstedt wurde gefesselt
       und ins Polizeiauto gebracht und zur Identitätsfeststellung auf die Wache
       gefahren.
       
       Die beiden anderen Mieter*innen der Etage hätten sich noch in der Wohnung
       ausgewiesen. Gegen ein Uhr nachts brachte eine Angehörige die beiden
       Personalausweise zur Wache und die Senior*innen konnten gehen.
       
       ## Keine Einbruchsspuren erkennbar
       
       Muss man sich in seiner Wohnung ausweisen? Darauf antworten Jurist*innen:
       Es kommt auf die Situation an. Die Ausweispflicht verpflichtet Bürger*innen
       zum Besitz eines Ausweises. Auf Verlangen einer berechtigten Behörde wie
       der Polizei muss man sich ausweisen, „wenn es zur Gefahrenabwehr
       erforderlich ist“. [3][So steht es im Polizeigesetz].
       
       Ob die Gefahr, dass Einbrecher im Haus sind, hier bestand – darüber haben
       die Beteiligten unterschiedliche Ansichten. Ob das Verweigern der
       Identitätskontrolle in den eigenen vier Wänden einen so brutalen Einsatz
       rechtfertigt, bleibt eine andere Frage.
       
       Zwar hätten die Beamt*innen keine Einbruchsspuren erkennen können, sagt
       Holger Vehren. Jedoch hätten sie auch nicht sicher sein können, dass die
       angetroffenen Personen die echten Mieter*innen oder deren Gäste waren.
       
       Später, als die beiden Senior*innen bereits im Polizeiauto saßen, konnten
       die Beamt*innen „aufgrund der Gesamtumstände davon ausgehen, dass es sich
       auch bei ihnen nicht um Einbrecher handelte“. Die Personalienfeststellung
       sei dann aber trotzdem erforderlich gewesen – „für die einzuleitenden
       Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Widerstands gegen
       Vollstreckungsbeamte“.
       
       ## „Da gruselt es mich“
       
       Die Mieter*innen haben die Beamt*innen ihrerseits angezeigt: wegen
       Körperverletzung, Hausfriedensbruchs und Verletzung der
       Infektionsschutzmaßnahmen.
       
       Was ihr im Nachhinein noch Angst mache, sagt Petra Vollmer der taz: „Wie
       die Polizist*innen mit anderen Menschen umgehen.“ Sie selbst seien gut
       vernetzt und wüssten sich zu wehren – verbal und juristisch. „Körperlich
       haben wir keinerlei Widerstand geleistet, dazu sind wir überhaupt nicht in
       der Lage“, sagt sie. „Aber was machen die mit anderen, die sich nicht
       wehren können? Da gruselt es mich.“
       
       27 May 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=NSFn5CiKK84
 (DIR) [2] /Nach-Reizgas-Einsatz-der-Polizei/!5527533
 (DIR) [3] http://www.lexsoft.de/cgi-bin/lexsoft/justizportal_nrw.cgi?xid=170635%2C14
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Schipkowski
       
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