# taz.de -- Hamburger Koalitionsvertrag: Mehr Räume für Kultur
       
       > Hamburgs Senat will laut Koalitionsvertrag Leerstände für Kultur und
       > Soziales zugänglich machen. Prestigeprojekt wird das „Haus der digitalen
       > Welt“.
       
 (IMG) Bild: Vorbild für Hamburgs „Haus der digitalen Welt“: Helsinkis neue Zentralbibliothek Oodi
       
       HAMBURG taz | Es geht viel um Räume. Um die Infiltration der Stadt durch
       Kultur, wo immer es geht – und das ist nicht viel: Die Gelder für Kunst im
       öffentlichen Raum sind in Hamburg längst zurückgefahren, Ateliermieten
       steigen, Künstlerhäuser weichen aus gentrifizierten Vierteln.
       
       Manche, wie das Künstlerhaus Frise im Stadtteil Ottensen, lösen das, indem
       sie eine Genossenschaft gründen und das Gebäude kaufen. Für freie
       Kunst-Aktionen im Außen- und Innenraum bleibt da wenig, obwohl es in der
       Stadt massig Leerstände gibt, darunter etliche Spekulationsobjekte, die
       völlig nutzungsfrei dastehen.
       
       Hier will der frisch ausgehandelte [1][Koalitionsvertrag des Hamburger
       Senats] nachsteuern und derlei Leerflächen für Kultur und Soziales nutzen;
       man mag das als Politikum sehen. So sollen nicht nur städtische
       Immobilienbesitzer wie Sprinkenhof GmbH und HHLA künftig „einen absehbaren
       Leerstand von über einem Jahr melden und plausibel begründen“.
       
       Auch längerfristige private Leerstände will man in einer Art
       „Kulturkataster“ erfassen. Wie man Privatbesitzer allerdings dazu bewegen
       will, diese Räume für Kunst und Soziales zur Verfügung zu stellen, bleibt
       offen.
       
       Außerdem, sagt Matthew Partridge von Hamburger Kunstort Westwerk, müsse man
       einen dazu passenden Projektfonds auflegen, denn eine Freifläche bespiele
       sich nicht umsonst. Auch dürfe die Förderung ephemerer Pop-up-Aktionen
       nicht auf Kosten des längerfristigen Bestandsschutzes bestehender
       Ateliergemeinschaften und Künstlerhäuser gehen, findet er.
       
       Generell ist die Idee, Leerstände an Künstler zu vergeben, übrigens nicht
       neu. Seit Langem müssen etwa die Obergeschosse der Hamburger
       Grindel-Hochhäuser verbindlich als Ateliers genutzt werden. Aber solche
       Vorgaben sind inzwischen selten geworden, und da ist es erfreulich, dass
       der Koalitionsvertrag sagt: „In allen Stadtentwicklungs- und Neubauvorhaben
       sollen verbindliche Vereinbarungen über kulturelle und soziale Flächen
       herbeigeführt werden, an denen geprobt, gespielt und Neues ausprobiert
       werden kann.“ Wie viel Prozent der Flächen das betrifft, steht da zwar
       nicht, aber es ist ein wichtiger Schritt, um die Lebensform „Künstler“
       weiter in Alltag und Gesellschaft zu integrieren.
       
       Etwas irritierend ist allerdings, dass die städtischen Immobilienbesitzer
       für die Zwischennutzung aus einem Raumnutzungsfonds entschädigt werden
       sollen, der „mindestens zwei Millionen Euro pro Jahr“ schwer ist. Denn die
       städtische Vermieterin unter anderem von Kunsthalle, Kunsthaus und
       Kunstverein verdient auch jetzt schon recht gut an der Kunst. Aber mehr hat
       SPD-Kultursenator Brosda seinen Verhandlungspartnern wohl nicht abringen
       können, grassiert doch stets die Angst vor Dauerbesetzung durch die Kunst,
       wie vor Jahren im Gängeviertel geschehen.
       
       Dafür will Brosda die (städtische) Kreativ-Gesellschaft „stärken“ und dafür
       sorgen, dass sie sich „stärker als bisher systematisch um die Schaffung und
       Sicherung kultureller Freiräume in der Stadt kümmert“. Sie solle künftig
       „aktiv und systematisch von Beginn an in Stadtplanungsvorhaben eingebunden“
       werden.
       
       Doch auch wenn das nach sanfter Kritik an der bisherigen Effektivität der
       Kreativ-Gesellschaft klingt: Grundlegend infrage gestellt wird die unter
       Künstlern durchaus umstrittene Institution nicht. Dabei müsse man, sagt
       Künstlerin Katharina Kohl, „sehr fein zwischen Kreativwirtschaft und Kunst
       unterscheiden.“ Die Kreativwirtschaft, die auch die Medien- und
       Gamer-Branche umfasse, sei auf Profit ausgerichtet, Kunst aber nicht. Und
       die von der Kreativ-Gesellschaft angebotenen Räume seien für Künstler
       leider meist zu teuer.
       
       Der Kunst im engeren Sinne dient diese Maßnahme also nicht. Wohl aber der
       Plan, einen Ausstellungs-Honorarfonds für Künstler einzurichten, wie er in
       Berlin seit 2018 existiert. Denn bislang bekommen Künstler meist nur
       Materialkosten erstattet, nicht aber Kunstproduktion und Aufbau der
       Ausstellung – von einer Würdigung der Kunst als „Humus der Gesellschaft“,
       so der Vertrag, ganz zu schweigen. Für kommerzielle Galerien mag das
       angehen, nicht aber für Museen, Ausstellungs- und Künstlerhäuser, die Kunst
       ja ohne jede Verkaufsabsicht präsentieren.
       
       „Ein Bühnenbildner wird ganz selbstverständlich für seine Arbeit bezahlt.
       Wenn ich dieselbe Arbeit als Künstlerin mache, gilt das nicht“, sagt Sabine
       Mohr vom Künstlerhaus Frise. Seit Längerem fordert deshalb „[2][Art Off
       Hamburg]“, eine Initiative freier Kunstorte, eine angemessene Vergütung.
       Sie wurde gehört, und ohne Corona wäre man schon weiter in den
       Verhandlungen darüber, ob die Kulturbehörde das Geld verteilen soll oder
       die Künstler. Und nach welchem Schlüssel.
       
       ## Über 120 Millionen für „Haus der digitalen Welt“
       
       Das ist ein ebenso positives Signal wie die gleich zu Coronabeginn
       eingerichtete Hamburger Soforthilfe von 2.500 Euro für Künstler – zügig und
       unbürokratisch ausgezahlt und [3][bundesweit einmalig]. Diese Unterstützung
       soll laut Koalitionsvertrag weitergehen, und zwar in Form von
       Förderprogrammen, „die die Produktion von Kunst und Kulturangeboten für
       unsere neue Normalität unterstützen“.
       
       Wie aber Hamburgs Klubkultur in jene „neue Normalität“ kommen soll, bleibt
       offen. Zwar will man einen Schallschutzfonds für Live-Musikklubs auflegen,
       damit sie ihre Gebäude sanieren können – auch der Nachwuchs fördernde Live
       Concert Account erhält weiter Geld –, von einer Coronahilfe für Betreiber
       der besonders gebeutelten kleinen und mittleren Klubs ist aber keine Rede.
       
       Umso euphorischer erzählt der Vertrag davon, dass man ein monumentales, an
       der Bibliothek von Helsinki orientiertes „Haus der digitalen Welt“ plane.
       In dem vom Bund mit zu finanzierenden, über 120 Millionen Euro teuren Bau
       sollen auch Zentralbibliothek, Volkshoschulzentrale, digitale
       Weiterbildungsangebote sowie „Räume und Veranstaltungsformate entstehen,
       die Forschung sichtbar und digitale Transformation erlebbar machen“. Das
       Projekt trägt deutlich die Handschrift des digitalaffinen Kultursenators
       Brosda, und manchem gilt es bereits als „digitale Elbphilharmonie“.
       
       Ob eine solche Mammut-Investition in und nach Coronazeiten aber noch
       vermittelbar ist, steht dahin. Zumal Digitalität durch die Krise ohnehin in
       aller Homeoffices und -schoolings angekommen ist.
       
       5 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.spd-hamburg.de/fileadmin-hamburg/user_upload/Koalitionsvertrag2020.pdf
 (DIR) [2] http://art-off-hamburg.de/
 (DIR) [3] /Coronahilfen-fuer-freie-Kuenstler/!5679901&s=Petra+Schellen/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
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