# taz.de -- Studie zum Corona-Impfschutz: Das Labor bin ich
       
       > Unsere Autorin nimmt an einer Studie teil, die einen möglichen Impfstoff
       > gegen Covid-19 testet. Für die taz hat sie Tagebuch geführt.
       
 (IMG) Bild: Googeln, Tagebuch schreiben: Miriam Sachs versucht, die Zweifel an der Impfstudie zu zerstreuen
       
       Geht’s mir noch gut? Das denke ich, als sich die Spritze in meinen Oberarm
       schiebt. „Alles gut?“, fragt auch die Ärztin.
       
       Etwas krampft sich zusammen in meiner Armmuskulatur, mehr fühle ich nicht
       von dem, was ich hier teste. Ich bin eine von 200 Probanden, die den
       Corona-Impfstoff in spe am eigenen Leib testen, eine der ersten.
       
       „Ja, kein Problem“, sage ich. Falle zurück auf das Krankenhausbett, es ist
       eins von sechs. Aber momentan liege nur ich hier und mir gegenüber ein
       Mann, der in 30 Minuten dieselbe Spritze bekommen wird und mit dem ich noch
       kein Wort gewechselt habe. Da wir beide liegen, sehe ich nur die Unterseite
       seiner Socken, die aussehen wie neu.
       
       Die Ärzte haben sich wieder in den Nebenraum begeben, man sieht sie hinter
       der Scheibe. Eine Schwester misst Blutdruck. Ich werde ruhig. In meinem
       Körper müssten sich jetzt kleine, ins Innere meiner Zellen geschleuste
       Pakete voll genetischer Information entpacken. Es ist kein klassischer
       Impfstoff, den ich bekommen habe, sondern der genetische Bauplan, um etwas,
       das dem Virus ähnelt, selbst zu produzieren. Hinter der Scheibe wirbeln die
       Ärzte in ihrem Labor; das eigentliche Labor bin ich.
       
       Geht das gut? Die Studie läuft bis November und soll einen möglichen
       Impfstoff auf Verträglichkeit prüfen. Die ersten Freiwilligen hatten noch
       die zehnfache Menge bekommen und stärker reagiert als gedacht. In der
       nächsten Gruppe hatte sich dann wohl Unsicherheit ausgebreitet und einige
       waren abgesprungen. Wir kriegen nun eine stark abgeschwächte Version – in
       mehr als zwei Wochen dann eine weitere Impfung; nach sieben Tagen wird
       kontrolliert. In der Zwischenzeit soll man Buch führen, Fieber messen und
       sich fragen: Geht’s mir noch gut?
       
       Ich frage mich erst mal: Wieso mache ich das überhaupt?
       
       Vor drei Wochen, als ich überlegte, an dieser Phase-I-Studie teilzunehmen,
       war einer der Beweggründe noch: Superheldenkräfte erlangen. Die Chance,
       eventuell immun zu werden gegen Covid-19. Dazu ist eine Impfung ja da. Und
       wer weiß, ob der Impfstoff, wenn er denn da ist, auch verfügbar sein wird?
       Der Wahnsinn der geleerten Klopapierregale der Covid-19-Anfangsphase
       steckte mir noch in den Knochen. Wie wird man sich erst um den Impfstoff
       prügeln?
       
       Dass wir Probanden aber nicht davon ausgehen können, durch die Studie den
       Impfschutz zu bekommen, hat man uns gleich bei der
       Informationsveranstaltung gesagt. Klar. Man weiß noch nichts. Aber wieso
       mache ich dann mit? Ich blättere in meinem Tagebuch und staune, wie schnell
       sich Beweggründe überlagern.
       
       ## 16. April 
       
       Wäre die Coronapandemie das Szenario eines Katastrophenfilms, wir befänden
       uns jetzt in einer Sequenz, die hinterher herausgeschnitten würde, weil die
       Handlung stagniert. Wir haben kapiert, dass es ernst ist, und tun, was wir
       müssen, aber irgendwie atmet man schon wieder auf. Wir hören, die nächste
       Welle der Epidemie käme dann im Winter, wir warten auf einen Impfstoff. 
       
       Blöde Dramaturgie! Und wer ist hier überhaupt der potenzielle Held? Ein
       genialer, uneigennütziger Wissenschaftler, der ein Heilmittel findet?
       Milliardäre, die ihr Geld verschenken, um Impfstoffe finden zu lassen? Oder
       ich? Ich bedarf einer Mission! Die „Filme“, in denen ich sonst unterwegs
       bin, sind allesamt geplatzt, mir bleibt lediglich die Rolle eines
       supporting part in diesem hier, die eines Versuchskaninchens, das
       potenzielle Wirkstoffe am eigenen Leib testen lässt. Ich wäre „Teil eines
       Forschungsvorhabens mit dem Ziel, einen neuen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 zu
       entwickeln“, so steht es in der E-Mail der Prüfstelle, die Testpersonen
       sucht. Prüfstelle. Klingt nach TÜV!
       
       Die „Prüfstelle“ ist die Institution, die eine Substanz unter die Lupe
       nimmt, die ein Pharmakonzern entwickelt hat. Sie prüft Wirkung und
       Verträglichkeit an Freiwilligen. Dass die Pharmafirma, die das Medikament
       oder in diesem Fall den Impfstoff auf den Markt bringen will, dies nicht
       selbst macht, ist sinnvoll. Es beschleunigt den Prozess der Zulassung.
       Allerdings handelt es sich bei der Prüfstelle um keine unabhängige
       Einrichtung. Der Auftraggeber bezahlt schließlich dafür. Eine staatliche
       Aufsichtsbehörde, das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), hat jedoch Einblick in
       die Verfahren. Es muss der Studie und später der Zulassung des Impfstoffs
       zustimmen.
       
       Die fragliche Corona-Impfstudie ist extrem schnell genehmigt worden. Selbst
       eine längere Testphase an Tieren hat es nicht geben können. Aber es seien
       genug Vergleichswerte mit vergangenen Coronaviren vorhanden. „Wir brauchen
       einen Impfstoff nicht in drei Jahren, sondern jetzt“, sagte ein Mitarbeiter
       des PEI. Deshalb habe man den Studienantrag im Schnellverfahren bearbeitet,
       das sei aber kein Anlass zur Sorge. Die Sachbearbeiter hätten sonst viele
       Anträge gleichzeitig auf dem Schreibtisch, jetzt habe sich die gesamte
       Belegschaft auf Covid-19-Konzepte konzentriert und über Ostern
       durchgearbeitet.
       
       ## 23. April 
       
       Heute ist die Informationsveranstaltung. Der Gebäudekomplex des
       Prüfinstituts wirkt wie ein verlassener Zauberberg. Keiner da? Ein anderer
       Probandenbewerber kommt und zeigt mir eine kleine Tür neben dem
       eigentlichen Drehtürenportal. „Werkschutz“ steht auf der Klingel. Der
       Pförtner ist kaum zu sehen hinter der verspiegelten Fensterwand. Einzeln
       eintreten. Ausweis zeigen. 
       
       Wäre es ein Film, wäre ein Türhüter die erste Hürde. Und tatsächlich kommt
       der potenzielle Mitproband nicht hinein, er hat keinen Termin. Ich
       hingegen darf durch das Drehkreuz zum Fahrstuhl, der nur einzeln befahrbar
       ist. Nicht nur die Prüfstelle hat ihren Sitz hier, auch ein namhafter
       Pharmakonzern. 
       
       Am Tresen Gratismaske bekommen. OP-Blau. Meine erste seriöse Maske! 
       
       Infoveranstaltung in engem Raum, daher fast leer wegen Abstandsmaßnahmen.
       Es ist die Studienleiterin selbst, die aufklärt in gut gelauntem Kurpfälzer
       Dialekt, ansonsten sachlich. 
       
       Die Besonderheit des zu testenden Impfstoffs: Es ist kein Lebend-Impfstoff,
       der vom Virus selbst stammt, wie zum Beispiel bei der Masern-Impfung; der
       Körper erhält stattdessen kleine Messenger-Partikel mit Bauplänen des
       Virus. Die „Transportvehikel“ dringen mit diesem Informationsgehalt in die
       körpereigene Zelle ein und machen diese mit dem Bauplan vertraut. Die
       produziert das Antigen dann selbst und „präsentiert“ es auf seiner
       Zelloberfläche. Das Immunsystem reagiert und produziert Antikörper.
       
       Die Studienleiterin erklärt das am Whiteboard sachlich-zügig, man kann
       folgen. „Neuland“ sei es, sagt sie, aber man habe bereits Erfahrung mit
       Bestandteilen des jetzt zu untersuchenden Impfstoffs durch Studien zur
       Krebsforschung. Aufgrund dieser rechne man mit nur vorübergehenden
       Nebenwirkungen wie sie auch nach konventionellen Impfungen auftreten
       können: Fieber, Kopfweh, grippeähnliche Symptome. Sie erwähnt „sehr, sehr
       seltene Fälle“ mit schweren Schäden und Todesfolgen. Der neue RNA-Impfstoff
       verspräche da eher weniger Risiken. Auch enthalte er keine
       wirkungsverstärkenden Substanzen. 
       
       Sie fragt, ob jemand Fragen habe. Seltsamerweise will niemand Genaueres
       wissen. Auch mir bleiben die Fragen irgendwie im Hirn stecken. Vielleicht
       kann man an einer solchen Studie überhaupt nur mitmachen, wenn man über das
       Wort „Todesfolge“ hinweghört. Auch hat man das seltsame Gefühl, den
       Informationsfluss nicht unterbrechen zu wollen. 
       
       Die Einwilligungserklärung gibt man erst beim nächsten Termin ab, es ist
       also noch Zeit für „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie …“ –
       allerdings wen? Ärzte oder Apotheker? Meine Hausärzte sind in Rente, neue
       Praxen nehmen einen nicht so schnell. Rat suche ich mir also woanders.
       Lemmy O. kenne ihn von früher. Ein wilder Querdenker und Musiker. Er hat
       schon öfter Arzneimittelstudien mitgemacht, ein erfahrener und sehr
       kritischer Proband.
       
       Nicht mit allen Prüfstellen habe er gute Erfahrungen, einige bezeichnet er
       als Schlachthaus-und-Fließband-Unternehmen. „Meine“ dagegen gilt als seriös
       und probandenfreundlich. Aber Impfstoffe? Nee, da würde er persönlich die
       Grenze ziehen. „Das ist nicht ohne! Du weißt nie, ob das nicht
       Autoimmunschäden nach sich zieht. Lass die Finger davon.“
       
       ## 23. April, nachts 
       
       Mir schwirrt der Kopf vom Surfen im Internet, von Fact-Sheets,
       Corona-Updates, Internetwahnsinn, Google-Ads: „modische Atemmasken – der
       letzte Schrei!“ Und natürlich Bill Gates. Der wolle via Impfungen
       Mikrochips in die Menschen schleusen und die Welt entweder retten,
       kontrollieren oder ausrotten. Gerade noch die Kurve zu seriöser
       Infoplattform für Wissenschaftler und Journalisten bekommen. Sie nennt das
       RNA-Konzept „elegant“, und „anders als in den USA“ müsse man nicht damit
       rechnen, dass das Verfahren als Gentherapie betrachtet werde. Hmm. Bedeutet
       das jetzt, dass es nur Ansichtssache ist, oder könnten die
       Messenger-Partikel tatsächlich zu genetischen Veränderungen führen? 
       
       ## 24. April 
       
       In einen tiefen Schlaf gefallen. Von Nano-Transportvehikeln geträumt, die
       wie Postautos aussehen und gegen Zellwände crashen. Die Zellwände aber
       sehen aus wie meine eigene Hofeinfahrt, in der überall Müll herumliegt,
       weil der DHL-Nano-Laster die Mülltonnen umgefahren hat. 
       
       Der Wecker klingelt früh. Ich will Tee und Toast, aber es ist der Tag der
       ärztlichen Untersuchung und Blutabnahme. Dafür muss man nüchtern sein. Die
       blaue OP-Maske von gestern vor Mund und Nase, betrete ich den Zauberberg.
       „Sie tragen die Maske falsch herum“, sagt die Krankenschwester am
       Rezeptionstresen dann prompt. Die sei jetzt kontaminiert. Die blaue Seite
       gehöre nach innen. Ich fühle mich wie ein Idiot, bekomme eine neue. 
       
       Blutabnahme. Urintest. EKG. Die Krankengeschichte wird abgefragt. Die
       untersuchende Ärztin wirkt freundlich, aber zurückhaltend. Meine
       medizinischen Fragen beantwortet sie alle, andere nicht. Zum Beispiel die,
       ob sehr viele sich als Probanden melden oder lieber einen Bogen um das
       Neuland machen. Sie sagt, das sollte eigentlich nicht relevant sein für
       meine Entscheidung. 
       
       Hinterher bekommt man eine Plastiktüte mit eingeschweißten
       Vollkornscheiben, Extra-Käse-Päckchen und einen Apfel. Aber da ist kein
       Platz, um zu essen. Ein rotwangiger junger Mann, ebenfalls hungrig und auf
       der Suche nach einem Essensplatz, hat sich in die Cafeteria gesetzt, die
       sonst eine Schnittstelle zwischen dem geschlossenen Studien-Flügel und dem
       Untersuchungsbereich ist. Jetzt ist das Sitzen dort nicht erlaubt. Er wird
       gerügt, entschuldigt sich und betritt verlegen vor mir den Fahrstuhl. Wäre
       gerne mit ihm gefahren, aber man darf nur einzeln. 
       
       Wären die Corona-Auflagen nicht, säßen wir jetzt am
       Studien-Frühstücksbüfett und würden uns über alle Pros und Contras
       austauschen. Stattdessen befinde ich mich alleine im Aufzug im gefühlt
       freien Fall. Die Ärztin hat gut reden. Es mag nicht relevant sein, was
       andere Probanden dazu bewegt, an dieser Studie teilzunehmen. Aber es täte
       gut, mit jemandem zu reden, der dasselbe vorhat … 
       
       Ich schlage das Tagebuch zu. Inzwischen sitze ich in ebenjener Cafeteria,
       diesmal ganz offiziell, weil ich in die Studie aufgenommen bin – stationär.
       Also unter Aufsicht vor Ort, wenn auch nur für eine Nacht. Nein, erklärt
       man mir, es sei nicht mit weiteren Nebenwirkungen zu rechnen. Hmm. Okay.
       Hoffentlich okay.
       
       Außer mir und dem Mann mit den Socken befinden sich noch zwei andere
       Probanden in der stationären Phase. Ich sehe sie aber nicht, weil wir nicht
       nur an getrennten Tischen sitzen, sondern auch alle äußerst unkommunikativ
       in einer Blickrichtung – gen Wand – platziert wurden. Wieder kein
       Gegenüber. Die blonde Wirtin der geschlossenen Cafeteria serviert Spaghetti
       bolognese. Sie bedauert die Corona-Auflagen, aber es ginge nun mal nicht
       anders.
       
       „Aber wieso? Wir haben doch alle den Test gemacht. Wenn er nicht negativ
       gewesen wäre, würden wir doch gar nicht hier sitzen?!“ – „Ja schon …, sagt
       sie, aber der sei ja gestern gewesen, der Test. „Wer weiß, wo Sie
       inzwischen unterwegs waren.“ Sie lächelt – ich sehe es, weil sie selbst
       nämlich keine Maske trägt.
       
       Der Gedanke, ich könnte mich in der Zwischenzeit infiziert haben, war mir
       auch schon gekommen. Wenn man ihn äußert, ob gegenüber Ärzten, Schwestern
       oder dem PEI, löst er meist Seufzen aus oder eine kurze Stille. Dann heißt
       es: „Machen Sie sich keine Sorgen, bisher waren immer alle negativ!“ Oder:
       „Ja das ist ein bisschen doof …“ Oder man bekommt erklärt, die
       Wahrscheinlichkeit sei zu vernachlässigen. Es sei ein logistisches Problem:
       Wenn Test und Impfung an ein und demselben Tag stattfinden und zufällig
       alle Probanden positiv wären, bekäme man nicht so schnell Ersatz … – „Aber
       machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind bestimmt negativ.“
       
       Kleinigkeiten wie diese verunsichern mich. Nimmt man diese Unschärfe
       tatsächlich in Kauf zugunsten der schnellen Durchführbarkeit? Es ist so
       vieles ungewiss, muss sich nun auch noch der zugrunde liegende Coronatest
       als fraglich erweisen?
       
       Die zweite Aufsichtsinstanz bei Arzneimittel- und Impfstudien ist die
       Ethikkommission, sie besteht aus Ärzten, Wissenschaftlern, Philosophen,
       Theologen und manchmal auch einem Laien. Als Kontaktstelle für Probanden
       wie mich ist sie allerdings eher nicht gedacht.
       
       Wäre dies ein Film, müsste bald mal ein Mentor auftreten. Meinetwegen
       dürften es auch ein paar mehr sein. Zum Beispiel ein Rat von Ethikern.
       
       Doch ich beschließe, nicht mehr nach Mentoren, Helden und Antihelden zu
       suchen. Oder gar selbst Heldin zu sein. Das Leben ist kein Film. Es ist
       komplex. Wirkliche Ratschläge für Probanden kann es gar nicht geben. Man
       muss erst die Verschwörungstheorien hinter sich lassen, sich dann durch
       Fachwissen ackern und am Ende doch blind vertrauen.
       
       Natürlich verabreicht Bill Gates keine Kontroll-Impfchips durch Studien wie
       diese. Aber zu wissen, dass seine Stiftung Pharmakonzerne wie den, der
       hinter meiner Studie steht, mit 55 Millionen Euro fördert, ist durchaus
       etwas, das mich interessiert. Es bringt mich zum Nachdenken über
       idealistische Wohltätigkeit und Agenda.
       
       Von Nutzen sein will ich jetzt eigentlich nicht mehr. Aber aussteigen?
       Verpassen, wie’s ausgeht?
       
       ## Sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung
       
       Ein offener Brief an ebenjenen Ethikrat, unterzeichnet von neun Ärzten aus
       Mittelfranken, fällt mir in die Hände – keine Impfgegner! Sondern Ärzte,
       die gerade, weil sie täglich mit Impfungen zu tun haben, die sorgfältige
       Nutzen-Risiko-Abwägung anmahnen; sie warnen sowohl vor pauschaler Angst
       gegenüber dem Virus als auch vor Forschungsoptimismus um jeden Preis.
       
       Einer der Autoren ist der Allgemeinarzt Jörg Voit. Er gibt nicht vor, alles
       besser zu wissen, sondern erinnert an den ärztlichen Grundsatz, zuallererst
       nicht zu schaden. „Die theoretischen und praktischen Risiken neuer
       Impfstoffkonzepte sind unzureichend bekannt. Letztlich stößt man mit dieser
       Art der Impfung eine Autoimmunreaktion an, die in ihren Effekten und in
       ihrem Ausmaß sicherlich noch nicht überblickt wird.“
       
       Selbst der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, weise auf
       die „mögliche Entstehung schädlicher verstärkender Antikörper“ hin. Beim
       PEI bestätigt eine Pressesprecherin das Zitat, nur habe Klaus Cichutek
       „theoretisch“ gesagt und nicht „möglich“.
       
       Das PEI sei überzeugt, dass alle vergleichbaren Studien ausreichen als
       Referenz. „Wissen Sie, wie viele Freiwillige sich von sich aus gemeldet
       haben?“, fügt die Pressesprecherin seltsamerweise noch hinzu. Hmm. Ja. Und?
       Geht’s hier denn um Angebot und Nachfrage? Und weiß das PEI, wie unsicher
       und wankelmütig Probanden zuweilen sind?
       
       ## Ich will das Ende der Geschichte kennen
       
       Ich wanke ja selbst. Auch die Aufwandsentschädigung spielt sicher eine
       Rolle für viele „Freiwillige“. Ich selbst hätte beinahe abgesagt, als die
       Prüfstelle anrief und fragte, ob ich früher einspringen könne, einige
       Probanden seien nicht erschienen. Seltsamerweise hat mich gerade das wieder
       in die Heldinnenpflicht gerufen. Ja, ich weiß, es ist kein Film, aber eine
       Geschichte, deren Ende ich kennen will.
       
       Der offene Brief gibt mir Fragen an die Hand, von denen ich bisher nicht
       wusste, dass ich sie hätte haben können: Ist auszuschließen, dass die
       selbstproduzierten Antigene in andere Regionen des Körpers abwandern und
       bestimmte Rezeptoren blockieren? Etwa solche, die den Blutdruck regulieren?
       Ist ebenfalls möglich, dass gerade die vermeintliche Vertrautheit mit den
       Corona-Antigenen bei einer späteren echten Infektion die Zellen
       interagieren ließe?
       
       Auch im Infoblatt zur Studie ist diese Möglichkeit, wenn auch weniger
       detailliert, aufgelistet. Zu meiner Überraschung entdecke ich dies – trotz
       häufigen Lesens – erst jetzt. Man sollte noch genauer hinsehen!
       
       Viele Ärzte diskutieren darüber, ob das Risiko einer durchgestandenen
       Infektion und die damit verbundene Immunität nicht der bessere Weg wären.
       Auch Jörg Voit und seine Kollegen, die den offenen Brief an den Ethikrat
       geschrieben haben.
       
       Sehr unterschiedliche Konzepte stoßen hier aufeinander: Stärkt man das
       Immunsystem, die Grundversorgung und die Gesundheit der Menschen, damit sie
       selbst mit den vielen Viren zurechtkommen? Oder rottet man gezielt eine
       Virenart nach der anderen aus? Ich bin nun also auf der Seite der
       Kriegsphilosophie der Medizin gelandet. Muss es ein Entweder-oder sein? Man
       muss ja nicht gleich mit dem Forschen aufhören, aber könnte man es
       vielleicht langsamer angehen lassen?
       
       ## 13. 5., abends 
       
       Ich stehe auf der Dachterrasse des gläsernen Prüfstellen-Palastes und
       blättere im Probandentagebuch. Nicht meinem eigenen, sondern einem zum
       Ankreuzen, das muss man jetzt täglich führen: Wie hoch ist die Temperatur?
       Schmerzt die Injektionsstelle? Auch eine optionale halbe Zeile für ein
       „weiteres Ereignis“ ist vorgesehen, falls man doch etwas hat, was der Rede
       wert ist. 
       
       Und wieder: Geht’s noch gut? Wie wird es sein, wenn die
       Pseudoviren-Antigene auf die echten treffen sollten? Produziere ich
       überhaupt Antikörper? Eine weitere Impfung steht bevor und viele
       Kontrollen. Bis in den November werden sich die Blutabnahmen ziehen. Ist es
       das wert? 
       
       Ein Heer von Raben sitzt rund um die Brüstung; das Nicken ihrer Köpfe hat
       etwas äußerst Zustimmendes, allerdings erweisen sie sich dann doch als
       Attrappen. Keine echten Vögel, sondern seltsame Ziertiere an
       galgenähnlichen Halterungen schaukeln im Wind. Man sollte wirklich genauer
       hinsehen! Ich beginne zu frösteln. Etwas fiebrig fühle ich mich und will
       ins Bett. Ein Arzt kommt mir entgegen und fragt, ob es mir gut ginge. Na
       ja, mal sehen. 
       
       Die Autorin Miriam Sachs, 49, ist Schriftstellerin, sie schreibt Romane und
       Essays. Daneben arbeitet sie als Theatermacherin. Eigentlich wäre Miriam
       Sachs dieser Tage mit einem Theaterprojekt im Gazastreifen unterwegs, doch
       dann änderten sich durch das Coronavirus ihre Pläne.
       
       1 Jun 2020
       
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