# taz.de -- Verschwindende Gletscher: Ewiges Eis, das trösten kann
       
       > Die Gletscher in den Alpen sind in 15 Jahren um ein Sechstel geschrumpft.
       > Wenn sie weg sind, wo um Himmels willen sollen MelancholikerInnen dann
       > hin?
       
 (IMG) Bild: Objekte der Sehnsucht, die schrumpfen
       
       Eigentlich waren Gletscher für die Unsterblichkeit gemacht. Das ewige Eis.
       Ein Ort der Geheimnisse. Als Kind lauschte man atemlos der Geschichte von
       dem Bergbauernburschen, der kurz vor der Verlobung plötzlich verschwand,
       einfach Reißaus nahm und die Braut schamlos im Stich ließ. Die Braut
       trauerte ihr Leben lang dem untreuen Geliebten hinterher und wurde darüber
       alt und runzlig.
       
       Bis eines Tages der Gletscher sein Geheimnis hergab. Der Leichnam des
       Jünglings tauchte auf, jung und frisch, tiefgefroren zur Zeit der jungen
       Liebe. In der Tasche seiner Joppe fand man die Verlobungsringe. Beim
       Goldschmied in der Stadt hatte er die Ringe geholt, als Überraschung, und
       war dann über den Gletscher zur Braut zurückgeeilt und in eine
       Gletscherspalte gestürzt. Und so stand nun eine alte Frau am Sarg des
       Jünglings und weinte und trauerte und war gleichzeitig froh, dass die große
       Liebe tatsächlich groß gewesen und ihr nicht ein Verrat geschehen war. Nur
       wer ein eiskaltes Herz hat, dem wird nicht warm bei dieser Geschichte.
       
       Gletscher trösten. Während sich gewöhnliche Urlauber im Sommer am Strand in
       der Sonne aalen, ist der MelancholikerIn dies zu hell, zu heiß und zu
       grell. MelancholikerInnen machen sich daher auf in die Berge, zum Eis, zum
       Gletscher. Wer die Jahrhunderte alten Eisschichten eines Gletschers
       erblickt, der fühlt sich mit der Unsterblichkeit verbunden, auch ohne
       100.000 Follower. Reinhold Messner (mit schwieriger Kindheit) sagte mal,
       nur in Schnee und Eis fühle er sich lebendig.
       
       Doch die Gletscherillusion schmilzt dahin, unwiederbringlich. Die neueste
       [1][Hiobsbotschaft kommt von Geografen der Universität Erlangen-Nürnberg].
       Die alpinen Gletscher in Frankreich, der Schweiz, Österreich und Italien
       haben zwischen 2000 und 2014 etwa ein Sechstel ihres Eisvolumens verloren.
       Ende dieses Jahrhunderts wird es wohl gar keine Alpengletscher mehr geben,
       und das durch unsere Schuld.
       
       Das Objekt der Sehnsucht schrumpft, wird kleiner, grauer, schmutziger. Wer
       hätte das gedacht: Die Gletscher sind jetzt sterblich – wie wir. Wir können
       den Gletschern einen Grabstein setzen wie die Isländer auf dem Eisfleck,
       der einmal der Gletscher Okjökull war. Doch das tröstet nicht. Wir haben es
       verbockt. Doch wo soll dann noch hin, wer die Ewigkeit sucht?
       
       28 Jun 2020
       
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 (DIR) [1] https://www.fau.de/2020/06/news/wissenschaft/gletscherschwund-in-den-europaeischen-alpen/
       
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 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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