# taz.de -- Moderator Markus Lanz: Er will’s wirklich wissen
       
       > Markus Lanz gilt als schleimig und neoliberal, für manche gar als
       > Hassfigur. Andere finden, er macht den besten Polit-Talk des Landes. Was
       > stimmt?
       
 (IMG) Bild: Ein sehr guttaussehender Mann mittleren Alters und einer, der polarisiert: Markus Lanz
       
       Als Boris Palmer zum ersten Mal bei Markus Lanz war, twitterte eine
       Bundestagsabgeordnete der Grünen: „Jetzt ist Palmer ganz unten angekommen.“
       Ein reizendes Beispiel für gelebte grüne Affektkultur: Die
       ZDF-Gesprächssendung von Lanz definiert „ganz unten“, wo der Tübinger
       Parteikollege hingehört. Klatsch, klatsch. Zwei Schmeißfliegen mit einer
       Klappe.
       
       Bis vor Kurzem war es in den medienkritischen Milieus grundsätzlich üblich,
       Markus Lanz und seine gleichnamige Sendung entweder zu ignorieren oder blöd
       zu finden. Das musste nicht wirklich begründet werden, weil es sich ja von
       selbst zu verstehen schien. Schleimiger Unterhaltungsfuzzi. Kam der nicht
       vom „Privatfernsehen“? Hatte der nicht mal Sahra Wagenknecht fertig
       gemacht? War da nicht auch eine Connection mit Bild?
       
       Leute, die sichergehen wollten, dass da keine gefährlichen Ambivalenzen
       aufkamen, sagten barsch: Sehr wahrscheinlich FDP, auf jeden Fall
       neoliberal. Er werde immer sofort fuchsig, wenn er „linkes Gedankengut
       vermutet (oder was er dafür hält)“, und geriere sich dann als
       „Scharfrichter“, [1][schrieb die lanzophobe Frankfurter Rundschau.]
       
       Doch was, wenn wir etwas verpasst haben und Lanz mittlerweile „ganz oben“
       definiert, was politische Gespräche im Fernsehen angeht, und das nicht erst
       seit den Corona-Erklärungswochen? Die These lautet: Lanz und seine
       Redaktion haben ein Format des Politikergesprächs entwickelt, das in
       Deutschland seinesgleichen sucht, weil es wirklich ein Gespräch ist und
       weil es politische Inhalte und biografischen Hintergrund
       nebeneinanderstellt, sodass Querverbindungen entstehen können. Oder ist das
       übertrieben? „Schauen Sie bitte mal“, wie Lanz zu sagen pflegt.
       
       An einem Junitag stehen die Gäste der Sendung im Aufenthaltsraum der
       Produktionsräume, als der Moderator hemdsärmelig durch die Tür tritt, um
       ein bisschen Warm-up zu machen. Er erzählt dem Minister Hubertus Heil, dass
       er mal am neben ihm stehenden Sozialpsychologen Harald Welzer an der Alster
       vorbeigejoggt sei, ihn aber nicht angesprochen habe. Welzer fragt Heil,
       wofür eigentlich das Nummernschild der direkt unter dem Balkon parkenden
       Ministerlimousine stehe (PE). Worauf Heil sich für seinen Heimatort Peine
       rechtfertigen muss und dann zurückschlägt und sagt, Welzer selbst komme
       doch aus Hannover?
       
       „Wo kommst du eigentlich her?“, sagt Lanz beiläufig zur ZDF-Kollegin Jana
       Pareigis, von der er weiß, dass sie das als schwarze Frau ständig gefragt
       wird.
       
       „Aus Hamburg“, sagt sie.
       
       Lanz lächelnd: „Ich weiß, aber aus welchem Stadtteil?“
       
       So überwindet er auf spielerische Art den Alltagsrassismus, über den
       Pareigis in der Sendung sprechen wird und macht aus der gefürchteten
       Herkunftsfrage eine Fachsimpelei unter Hamburgern.
       
       Markus Lanz ist ein sehr gut aussehender Mann mittleren Alters, Jahrgang
       1969. Trotz graumelierter Haare hat er die Aura eines gerade
       Vierzigjährigen, vielleicht wegen seines Lächelns und weil er sehr schlank
       und drahtig wirkt. Seine Gesprächssendung läuft seit 2009 im Spätprogramm
       des ZDF. Zunächst zweimal, ab 2010 dreimal pro Woche.
       
       Lanz fing als Nachfolger von Johannes B. Kerner an, kernerig, also so, wie
       man damals Unterhaltung für müde Zuschauer definierte: Promis stellten ihr
       neues Produkt vor oder ihr Privatleben aus, und der Moderator goss
       freundlichst Schleim oder Mitgefühl drüber. Das war in einer Zeit, als
       Harald Schmidt in den letzten Zügen lag und Netflix noch nicht da war.
       
       Auffällig wurde Lanz erstmals, als er 2014 die Politikerin Sahra
       Wagenknecht wegen Positionen der Linkspartei zur EU („diktatorisch“,
       „militaristisch“) [2][hart befragte und danach selbst richtig was
       draufkriegte]. Unter anderem lief eine [3][Petition], die seine Absetzung
       forderte. Empörungsauslösend war, dass er mit einem Stern-Journalisten
       zusammen auf sie losging. Zwei Männer gegen eine Frau, „das wirkt
       unhöflich“, sagt er heute. Er entschuldigte sich nach der Sendung bei
       Wagenknecht.
       
       Aber dass die von ihm kritisierte Passage anschließend aus dem
       Positionspapier der Linkspartei flog, ist ihm schon auch wichtig zu
       erwähnen. „Meine Redaktion hat sich einiges anhören müssen“, sagt Lanz,
       „und ich auch.“ Er sei „der Mann, den das ZDF regelmäßig außerhalb des
       Kinderprogramms über Politik diskutieren“ lasse, [4][schrieb der
       Medienkritiker Stefan Niggemeier zur Wagenknecht-Sendung], „ein Mann, der
       dann wütend wird, wenn sich jemand nicht zu ihm in den Sandkasten knien
       will, um auf seinem Niveau zu diskutieren“.
       
       Lanz’ Biografie ist eine echte Aufstiegsgeschichte. Er stammt aus Italien,
       genauer gesagt, aus dem Südtiroler Dorf Geiselsberg im Pustertal, genauer
       gesagt, aus dem Weiler Gassl östlich von Geiselsberg. Er ist ein
       Bergbauernkind, eines von dreien, das mithilfe eines Stipendiums in einem
       Klostergymnasium Abitur machen konnte. Und nebenbei mit Akkordeonmusik
       etwas Geld verdiente. Lanz hält sich für geprägt von „Tiroler Melancholie“,
       die er zum einen auf eine historisch-politische „Zerrissenheit“ zwischen
       dem Italienischen und Deutschen zurückführt, zum anderen auf die Dunkelheit
       und Enge der Täler.
       
       Als er nach Deutschland kam, war er anfangs eingeschüchtert vom riesigen
       Angebot im Tengelmann und vom Selbstbewusstsein der Deutschen, jedenfalls
       nahm er das so wahr. Mitte der Neunziger war er Volontär bei RTL und flog
       raus, weil er während der französischen Atombombentests im Mururoa-Atoll an
       einem Song beteiligt war, der in einer Radioshow lief und den
       verantwortlichen Präsidenten kritisierte („Fuck Chirac“).
       
       „Ich habe nur die Musik komponiert und den Song produziert, weil ich den
       Synthesizer zu Hause hatte“, sagt er. Den Text schrieben zwei Kollegen.
       Aber, wie das so ist: Riesenärger, die beiden profilierten Kollegen
       blieben, der Südtiroler Volo flog raus. Beziehungsweise zeigte dann doch
       jemand Zivilcourage, und Lanz konnte bei RTL Nord sein Volontariat zu Ende
       machen. Als Reporter. „Deshalb mache ich so gern Reportagen.“ Er macht sie
       nicht nur gern. Er spricht auch gern darüber. Lanz-Liebhaber warten immer
       schon darauf, dass er in seiner Sendung von den Reportagereisen erzählt. Er
       tut es womöglich sogar öfter, als den Politikjournalisten Robin Alexander
       zu zitieren, einen seiner Stammgäste.
       
       Lanz machte bei RTL Hochzeitsplanungs- und Wildlife-Überlebensshows und
       moderierte acht Jahre das Vorabendmagazin „Explosiv“. 2008 ging er zum ZDF,
       wo er zunächst die Vertretung des damals populären Johannes B. Kerner in
       dessen Talkshow übernahm; und ab 2009 dann dessen Format und Sendeplatz –
       und eine Kochshow gleich mit. Zwischendurch scheiterte er, wie es immer
       heißt, an der Moderation von „Wetten, dass..?“ (2012 bis 2014). Allerdings
       war die legendäre Samstagabendshow damals schon ein strunzlangweiliges
       Zombieformat, weil sich die Welt einfach verändert hatte.
       
       Von Kerner erbte Lanz auch – und damit kommen wir zur Bild-Zeitung – dessen
       Produzenten Markus Heidemanns. Die Heidemanns-Brüder aus Witten sind eine
       Größe im Unterhaltungsmediengeschäft, entdeckt von Michael Spreng, dem
       früheren Chefredakteur der Bild am Sonntag. Der eine, Martin, war lange
       Unterhaltungschef bei Bild, bis der aktuelle Chefredakteur Julian Reichelt
       ihn nicht mehr brauchen konnte.
       
       Der andere Heidemanns ist anderthalb Jahre jünger, heißt Markus, und
       zusammen bildeten die beiden Brüder eine bisweilen synergetische Achse.
       Falls es so war, dann ist es lange vorbei. Zum einen interessiert sich
       Reichelt offenbar nicht für Promis und das Material, das man mit ihnen –
       zusammen oder auf ihre Kosten – kneten kann. Zum anderen steht Lanz
       offenbar nicht auf Bild und damit umgekehrt.
       
       Während Kerner zu seinen Wichtig-Zeiten zum Inventar derer gehörte, von
       denen Bild glauben machen wollte, dass sie die zentralen Figuren der
       Republik sind (Beckenbauer, Bohlen, Naddel, Friedrich Merz), kommt Lanz
       dort kaum vor und wenn, dann tendenziell nicht positiv.
       
       Als sich abzeichnete, dass Lanz eine feste Größe beim ZDF werden würde,
       gründeten er und Markus Heidemanns als gleichberechtigte 50-Prozent-Partner
       die Mhoch2-TV-Produktionsgesellschaft. Zusammen mit einer Firma, die
       Heidemanns allein gehört, produziert diese „Markus Lanz“ und andere
       Fernsehformate mit und ohne Lanz. Hunderte im Jahr und sehr gern was mit
       Kochen. Die Firma residiert in Hamburg-Ottensen auf einem ehemaligen
       Fabrikgelände.
       
       Es gibt zwei Studios, ein großes für das Gekoche und ein kleines für Lanz.
       Letzteres hat nur sieben Zuschauerreihen, die derzeit leer bleiben. Auch
       die Redakteure haben gerade erst wieder angefangen, die Sendung vor Ort zu
       verfolgen. Die Redaktion besteht aus etwa 15 Leuten, aus Kerner-Zeiten ist
       fast niemand mehr dabei. „Vom Wendler zu Schäuble ist ein weiter Weg“, sagt
       Lanz, und das meint so viel wie: vom Trashunterhalter zum
       Politikdurchdringer. Der Schlagersänger Wendler würde heute nicht mehr bei
       Lanz sitzen.
       
       „Den Weg haben Markus Heidemanns und ich gemeinsam zurückgelegt.“
       Heidemanns und er hätten „ein blindes, gemeinsames Verständnis von Dingen“.
       Heidemanns habe als Ruhrpottler „eine gewisse Leichtigkeit“. Und, wie er
       selbst auch, „ein Gespür, was Menschen auf der Straße denken und was ihnen
       wichtig ist“. Der Porsche, der direkt an der Eingangstür vom Studio geparkt
       ist, gehört Heidemanns. Und verheiratet ist der mit der Tänzerin und Model
       Stefanie Küster, die als „Estefania“ Anfang des Jahrtausends einige Jahre
       die Lebensgefährtin des Musikers Dieter Bohlen war.
       
       Die naheliegende Frage lautet, ob Lanz die Sendung politisiert hat oder die
       Sendung Lanz. „Die Sendung mich“, sagt Lanz. Und nach einer für ihn
       ungewöhnlich langen Sprechpause: „Ich hatte immer das Gefühl, es muss doch
       möglich sein, ein anderes Politikgespräch zu führen.“
       
       Das Gefühl hat er nicht allein. Fernseh- und Hörfunkjournalisten träumen
       davon, richtige Gespräche mit Politikern zu führen statt in 90 Sekunden
       drei lahme Fragen zu stellen, auf die sie die Antworten schon kennen. Lanz
       hat es geschafft. Er ist der Mann des „One-on-one“, wie dieses Format
       genannt wird. Ein Interviewer, ein Politiker und genügend Zeit.
       
       Zumindest ist dieses Gespräch der Kern der Sendung, faktisch sitzen bei
       Lanz noch drei, vier andere herum, die auch was reinrufen können und
       sollen. Einer ist fast immer ein Hauptstadtjournalist und kommt meist von
       einem Medium, das man im alten Denken zum Gegenlager des Politikers
       rechnete.
       
       Man kann die Funktion des Journalisten in der Lanzsendung entfernt mit der
       eines Hundes bei einer Treibjagd vergleichen. Er muss hecheln und kläffen,
       um den Politiker aufzuschrecken und in Richtung von Lanz’ Fangfrage zu
       treiben. Der Moderator sieht das selbstverständlich anders und sagt, die
       Journalisten seien für Berliner Insiderwissen zuständig. Tatsächlich
       enthüllte die FAZ-Journalistin Helene Bubrowski mal die Anzahl von Faxen,
       die der baden-württembergische Ministerpräsident schon in die
       Grünen-Zentrale gesendet habe, um sich für irgendetwas zu entschuldigen. So
       was kann kein normaler Mensch wissen.
       
       Das Entscheidende sei, sagt ein regelmäßig eingeladener Politiker: Man habe
       bei Lanz 15, 20 oder sogar mehr Minuten Zeit, um Gedanken wirklich
       auszuformulieren und werde nicht ständig unterbrochen wie von den
       Talkmoderatorinnen Will und Illner, dürfe dafür aber auch nicht
       „rumschwadronieren“ oder „Erklärungen des Zentralkomitees“ der jeweiligen
       Partei herunterbeten. Da gehe er sofort dazwischen. Wenn Lanz es aber
       wirklich interessant finde, dann frage er genau zu dem nach, was man gerade
       gesagt habe. Eine Praxis, die offenbar unüblich in Talkshows ist.
       
       ## Übersprungshandlung oder Ritual?
       
       Jede Sendung beginnt mit dem Song „Nur ein Wort“ von Judith Holofernes’
       Band Wir sind Helden. Darin heißt es: „Zu deinen Füßen red’ ich mich um
       Kopf und Kragen.“ Programmatisch? „Einfach nur ein guter Song.“ Danach
       greift Lanz als Erstes mit der Hand nach seiner Krawatte, als müsse er
       prüfen, ob noch alles da ist. Übersprungshandlung oder Ritual? „Ist mir
       noch nie aufgefallen“, sagt er.
       
       Alte Parodien der Comedysendung „Switch“ zeigen die schönsten von Lanz’
       Ritualen und Gewohnheiten, etwa den Zeigefinger an den Lippen, das leicht
       abgehackte Sprechen, die Sendung-mit-der-Maus-Fragen („Wann war Ihnen klar,
       dass …?“), und sie zeigen einen Lanz, der an Moderationskarten klebt, was
       längst überholt ist. Er liest die Dossiers seiner Redaktion, er memoriert,
       bis er alle Formulierungen kennt, mit denen der Gast sich Fragen zu
       entwinden pflegt.
       
       Dann macht er beim Joggen einen Matchplan. Er schreibt die Vorstellungen
       der Gäste selbst, „um einen gewissen Grundton vorzugeben“. Die liest er von
       den Karten ab, doch dann legt er sie auf das Tischchen neben sich. Er
       greift allenfalls danach, wenn er ein Zitat korrekt vorlesen will.
       
       In der Regel wechselt er zwischen dem zugewandten
       Ich-bin-dein-Freund-Blick, dem interessierten Rede-mal-weiter-Blick und dem
       Augenbrauen-involvierenden Komm-zur-Sache-Blick. Manchmal beugt er sich
       weit vor, der Körper gerät in Bewegung. Dann ist er mit sich unzufrieden,
       weil er nicht an den Politiker herankommt.
       
       Ein Gespräch freihändig in der geplanten Orchestrierung auf den Punkt
       hinzuführen, auf den man hinaus will: Das bedarf hoher Professionalität,
       wie jeder weiß, der schon selbst als Moderationsdilettant agiert hat. Lanz
       sagt, hier zahle sich seine hohe Sendungsfrequenz aus.
       
       Er macht 135 Sendungen im Jahr, viermal so viele wie etwa die Kollegin
       Will.
       
       „Anne Will“ am Sonntagabend in der ARD ist gefühlt eine gehobenere
       Kategorie, und das Prestige einer Einladung ist höher als bei Lanz. Dennoch
       kann man bei Lanz mehr gewinnen. Die Chance für Politiker besteht durch die
       längere Strecke und persönliche Fragen darin, dass sie bei Lanz auch mal
       erzählen können, wie sie Kartoffelsuppe kochen, und so das grundsätzliche
       Gefühl erzeugen, sie seien eigentlich ganz okay – als Politiker und als
       Kartoffelsuppenkoch.
       
       Allerdings kann man bei Lanz auch verlieren, weil das Prinzip dieses
       „One-on-one“ die Herstellung von Nähe ist, was eben auch die Herstellung
       von persönlicher Verletzbarkeit beinhaltet. Der Spindoktor eines
       Spitzenpolitikers sagt, die Lanz-Redaktion finde Dinge über seinen Mann
       heraus, die er selbst nicht wusste, aber er schickt ihn dennoch gerne hin,
       weil er sich dort entfalten könne und nicht wie ein Gladiator eingesetzt
       werde. Er schickt ihn, weil man es „bei Lanz leichter hat als bei den
       Frauen“, sagen die anderen.
       
       Die politischen Talkshowformate im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – Will,
       Plasberg, Maischberger in der ARD, Illner im ZDF – funktionieren eher wie
       eine Boulevardzeitung, spitzen ein komplexes Thema sehr verkürzt zu und
       hüpfen dann zwischen den Diskutanten hin und her. Der Politiker wird aus
       deren Sicht funktional und sachbezogen eingesetzt. Keine Gefühlsfragen.
       Kartoffelsuppen-Statements nur, wenn die Kartoffelsuppe in der nationalen
       Krise sein sollte. Es ist nicht die Idee, einen Politiker „kennenzulernen“.
       Aber es findet eben auch kein Gespräch statt.
       
       Ab und zu macht Marietta Slomka ein richtig gutes und scharfes Gespräch
       über mehrere Minuten im „heute-journal“. Die besten und tiefsten
       Politiker-Interviews dürfte Armin Wolf in den österreichischen Tagesthemen
       namens ZIB führen, aber da ist für Deutsche das Problem, dass man die
       Interviewten nicht kennt.
       
       Die Älteren seufzen an dieser Stelle, dass Günter Gaus große
       Politikgespräche im Fernsehen geführt habe, hinter Rauchschwaden, aber
       intellektuell glasklar. Aber der Begründer des modernen Politikergesprächs
       dürfte Friedrich Küppersbusch gewesen sein, der Mitte der 80er in seiner
       WDR- und irgendwann ARD-Sendung „Zak“ mit Politikern so redete, dass man am
       nächsten Tag in der Schule darüber diskutierte. Zak galt als superlinke
       Sendung, aber seine wirkliche Qualität bestand darin, dass der Moderator
       sehr gut vorbereitet, politisch streitbereit und unfassbar schlagfertig
       war.
       
       Das ging in der ARD nicht lange gut. Anfang der Neunziger definierte Roger
       Willemsen in „Premiere“ das „One-on-one“ mit seiner Mischung aus Empathie,
       Intelligenz und Informiertheit. Anfang der nuller Jahre war es Sandra
       Maischberger bei n-tv, in einem Format, das Küppersbusch entwickelt hatte.
       Alles jenseits öffentlich-rechtlicher Politik und ihrer angeschlossenen
       Gremien.
       
       Sein „Wetten, dass..?“-Vorgänger Thomas Gottschalk sagte mal zu Lanz: „Du
       hast einen gewissen Grundernst, der mir fehlt, du willst wirklich etwas von
       den Leuten wissen.“ Lanz sei ein guter Interviewer, sagt Küppersbusch, der
       heute Fernsehproduzent ist und seit vielen Jahren taz-Kolumnist. „Er kann
       good cop und bad cop in einer Person sein.“ Ein anderer Medienexperte
       formuliert es bildhafter. Lanz kündige seinen Gast „superschleimig“ an und
       werde dann „zum Mastino, der ihm ein Stück Fleisch aus der Wade beißen
       will“.
       
       Tatsächlich hat er einen Biss, den man als Journalist selbst gern hätte.
       Dann wird es für den Politiker ernst, und er muss höllisch aufpassen, dass
       er nicht als Verlierer das Studio verlässt. Wer selbst Interviews führt,
       weiß, dass es nicht so einfach ist, mehr als dreimal nachzufragen, wenn nur
       Blabla kommt. Dann wird es frostig, aber dann wird es auch interessant, wie
       man bei Lanz, der zur Not sechsmal die gleiche Frage stellt, sieht. Wenn
       trotzdem nichts kommt, kann es rausgeschnitten werden, denn die Sendung
       wird aufgezeichnet. Aber manchmal kommt ja was.
       
       ## Lanz schneidet Fluchtwege ab
       
       Der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken etwa merkte man ihre Unerfahrenheit mit
       der kommunikativen Situation des Lanz-Verhörs an, sie wirkte weder charmant
       noch pointiert noch entschlossen, und am Ende sagte sie, sie könne „nicht
       beurteilen“, ob Vizekanzler Olaf Scholz „ein standhafter Sozialdemokrat“
       sei. Die Frage kann man auch boulevardesk finden, aber in der Antwort
       schwingt die ganze Illusionstragödie der SPD-Basis mit.
       
       Lanz kann Politikern mit einer Zwischenfrage den Fluchtweg abschneiden. So
       versuchte er dem Grünen-Bundesvorsitzenden Robert Habeck zu unterstellen,
       seine Partei sei im Abstieg begriffen. Als Habeck das argumentativ zu
       widerlegen trachtete, sagte Lanz einfach: „Aber die Leute haben das
       Gefühl!“ Das mag populistisch sein, aber es ist rhetorisch raffiniert, denn
       damit hatte er Habeck in der Zwickmühle, entweder klein beizugeben oder
       sich gegen das „Gefühl der Leute“ zu positionieren. Der Grüne tat
       Letzteres, aber richtig glücklich wirkte er nicht dabei.
       
       FDP-Chef Christian Lindner wurde bei Lanz mal von Luisa Neubauer und dem
       Entertainer David Hasselhoff wegen seiner Twitter-Kritik am
       Klima-Engagement von Schülern richtig schön rundgemacht – unter
       Orchestrierung des Moderators.
       
       Neubauer kritisierte Lindner inhaltlich, Hasselhoff lieferte die Empörung,
       und der FDP-Politiker war für einmal ungewöhnlich still. Ein Lanz-Fan
       dürfte Lindner heute genauso wenig sein wie Verkehrsminister Andreas
       Scheuer (CSU), der mal bei der Verteidigung seiner Pkw-Maut immer tiefer
       ins Märchenerzählen abglitt. Die schönste Pointe dieser Geschichte: Als
       Lanz dem Minister „das Niveau albanischer Hütchenspieler“ attestierte,
       hetzte ihm die Bild-Zeitung in ihrem Kampf gegen rassistische Ressentiments
       den albanischen Ministerpräsidenten auf den Hals.
       
       Wenn man viele Sendungen ernsthaft interessiert an- und auch mal
       weggeschaut hat, dann ist das Irritierende an Lanz, auf das man sich erst
       mal einlassen können muss: dass er wirklich politisch informiert und
       interessiert ist, aber weitgehend unideologisch. „Er fragt ohne eigene
       Agenda“, sagt der Schriftsteller Maxim Biller, der zu den Ersten gehörte,
       die ihn öffentlich gut fanden.
       
       Mir selbst wurde das bei der Analyse früherer Reaktionen klar, die
       unterschiedlich ausfielen, je nach Gast. Bei einer mir unsympathischen
       linkskonservativen Politikerin war ich begeistert, wie scharf Lanz fragte,
       und dachte: Sooo muss man es machen. Bei einer mir sympathischen
       Klimapolitikaktivistin war ich empört, wie scharf Lanz fragte, und dachte:
       Sooo geht es ja gar nicht. Der Ideologe war also ich.
       
       Was man als Argument gegen Lanz hört: Er „polarisiere“. Was ja in
       Deutschland nicht als Tugend gilt, sondern als Problem. Ihm fehle die
       „Wärme“, er wirke „unsympathisch“, weil er zwischen dem Superfreundlichen
       und dem Superscharfen hin- und herswitsche. Es ist aber durchaus
       angemessen, Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass man sich über ihr
       Kommen freut – und sie dann trotzdem kritisch zu befragen.
       
       Manche Gäste beschweren sich neuerdings auch, dass ihnen gesagt werde, sie
       sollten sich erst mal kritisch in das Hauptgespräch einbringen und könnten
       dann am Ende schön ihr neues Produkt bewerben. Aber dann komme es nicht
       mehr dazu. Was für einen Autor blöd ist, denn Lanz hat die Kraft, viele
       Tausend Bücher zu verkaufen. Weshalb der Gast trotzdem wiederkommt.
       
       ## Durchgehend hohe Einschaltquoten
       
       Die Gesamtkonstellation bei Lanz ist oder war zumindest bis Mitte März so,
       dass neben dem Politiker und dem zugeordneten Journalisten noch ein
       Schauspieler, Comedian oder unterhaltender Buchautor sitzen. Und am Ende
       kommt eine Ameisenbärforscherin oder jedenfalls was mit Tieren. Oder mit
       Nordpol. Der Mix funktioniert, die Einschaltquoten bleiben auch nach
       Mitternacht durchgehend hoch.
       
       Nach über 1.000 Sendungen sehen heute dreimal die Woche regelmäßig um die
       1,5 Millionen zu, auch wenn es erst um 23.30 Uhr losgeht. Zu
       Corona-Hochzeiten auch mal 2,5 Millionen. Das ist erstaunlich, weil man
       früher dachte, diese ZDF-Zuschauer seien halbsediert und ihnen sei nur ganz
       Leichtes zuzumuten. Nö. Offenbar hat Lanz seine Zuschauer so entwickelt,
       dass sie heute sogar dranbleiben, wenn 75 Minuten über Arbeitspolitik und
       Rassismus geredet wird.
       
       Nach der Sendung redet Lanz weiter mit seinen Gästen. Will das Gespräch der
       Sendung vertiefen. Die politische Großlage besprechen. Oder etwas ganz
       anderes wissen. Wer zum ersten Mal da ist, den fotografiert er vielleicht
       sogar in seiner Umkleidekabine für eine SchwarzWeiß-Porträt-Galerie.
       
       Lanz sagt, er wolle auch deshalb mehr vom Gast wissen, weil er ihn dann
       beim nächsten Mal besser oder in einem neuen Kontext einsetzen könne. Nach
       der Sendung im Juni rennt er einem bis fast zur Ausgangstür hinterher, wo
       der Fahrdienst wartet.
       
       ## Der Fahrdienst für Lauterbach
       
       In den ersten Wochen der Pandemie war alles anders. Der Fahrdienst war
       permanent zwischen Berlin und Hamburg unterwegs, um den Epidemiologen Karl
       Lauterbach hin- und herzutransportieren. Der Virologe war jetzt die
       zentrale Figur. Die verantwortlichen Politiker mussten sich – gern aus der
       Bayerischen Staatskanzlei zugeschaltet – dazu verhalten. Dafür keine
       Comedians, keine Ameisenbären.
       
       Im Angesicht der allgemeinen Angst wurden alle politischen Talks zu im Ton
       heruntergedimmten Servicesendungen, die um einen Virologen kreisten. Weil
       aber Lanz und seine Redaktion dreimal die Woche sendeten, lieferten sie
       ganz nah an Politik und Wissenschaft das tägliche Update der Lage.
       
       Wenn das jetzt alles ein bisschen sehr positiv klingt, dann ist der
       richtige Zeitpunkt, um die grundsätzliche Frage zu stellen, ob und
       inwiefern Lanz widerspiegelt, dass Politik die neue Unterhaltung geworden
       ist. Inwiefern der Politiker ein Unterhaltungskünstler ist, der seine zehn
       Minuten vor der Kamera genauso professionell und schmerzfrei absolviert wie
       Howard Carpendale seine bei Carmen Nebel. Ein Typ wie Ludwig Erhard (in
       den 60ern Bundeskanzler) könnte heute mangels Medienkompetenz nicht mal
       Kassenwart bei der FDP Wermelskirchen werden.
       
       Was intensiv gespürt wird, was Emotionen bringt, am besten negative, ist
       der Stoff, aus dem wir alle, Qualitätsmedien wie soziale Netzwerke, ihre
       „Geschichten“ und Umsätze machen. Diese Emotionen sind heute weniger in der
       Kultur, der Musik, den Königs- und/oder Trashhäusern, sondern sie sind im
       Politischen, genauer im Vorpolitischen.
       
       Die üblichen Promistorys sind öde, die alten Künstlerheldenfiguren des
       Widerständigen und der gesellschaftlichen Liberalisierung funktionieren nur
       noch begrenzt. Der Kultur fehlt der direkte Bezug zu der wirklichen Frage
       der Zeit: Ob und wie man nach dem Ende der unbeschwerten Jahre im Westen
       mit liberaler Demokratie den diversen globalen und individuellen Krisen
       beikommt.
       
       ## Gremien voller Gremlins
       
       Auf dieser – meist unausgesprochenen – Grundlage vollzieht sich eine
       Politisierung von neuen Teilen der Gesellschaft, aber halt nicht
       mehrheitlich im Sinne einer Sprecherin der Grünen Jugend, die denkt, alle
       werden durch Politisierung so wie sie. Und nicht auf einem Marktplatz,
       sondern zersplittert. Die Politisierung wird von sozialen Netzwerken, von
       Bild, von Lanz, von Fridays for Future auf jeweils andere Art und Weise
       aufgegriffen. Im schlechtesten Fall weicht sie den Problemen radikal aus
       und setzt konsequent auf Spaltung.
       
       Der König dieser Form von Politik-Unterhaltung ist der Präsident der
       Vereinigten Staaten. Klassische Politikberichterstattung kommt ihm nicht
       bei. Empörung und Anklage seiner Wähler lässt sein Feuer nur noch heller
       lodern.
       
       Alles passiert nebeneinander. Man kann mit Politikunterhaltung negative
       Gefühle potenzieren. Man kann mit klassischer Politikberichterstattung
       große Teile der Gesellschaft verfehlen und die großen Probleme auch. Man
       kann auf einer unterhaltend dafür sensibilisieren, wie sich Zeiten und
       Problemlagen ändern. Nach intensivem Studium muss man sagen: Der Zuschauer
       kann bei und mit Lanz im Idealfall seine eigene Politisierung vorantreiben.
       
       Selbstverständlich sind nicht alle beim ZDF gleich begeistert über die
       Entwicklung. Lanz gehört nach wie vor zur „Unterhaltung“, die anderen
       heißen beim ZDF „Politik und Zeitgeschehen“ und sind der Chefredaktion
       unterstellt.
       
       Was als doppelt gemein empfunden wird, weil Lanz ihnen Konkurrenz macht,
       ohne die berüchtigten öffentlich-rechtlichen „Gremien voller Gremlins“ im
       Nacken zu haben, deren „drittklassige“ Bedenkenträgerei Günther Jauch einst
       als Gesicht des politischen Talks in der ARD davonrennen ließ. Nein, sagt
       Lanz, bei ihnen rufe nie jemand an, um sich einzumischen.
       
       ## „Ich habe einen Job zu machen, ja“
       
       Wenn ihm etwas wichtig ist, redet Lanz abseits der Kamera ohne Punkt und
       Komma, wie man zu sagen pflegt. Etwa, dass er sich sehr wohl als „Vertreter
       einer Generation, die enorm von der Globalisierung profitiert“ sieht, aber
       seine Na-ja-so-ist-das-halt-Position komplett verloren hat, je tiefer seine
       Politisierung wurde. Dass er durch seine Fernsehreportagen die Welt größer
       sehen gelernt hat, als sie der in der Regel verengte bundesdeutsche
       Politikdiskurs zu sehen gewillt ist.
       
       Und auch in ihrer Komplexität, etwa wenn er in einem Getto in Baltimore
       Schwarze trifft, die glühende Trump-Wähler sind oder feststellt, dass durch
       Trump die Waffenverkäufe in den USA im Vergleich zu Obama zurückgegangen
       sind. In der Sendung ist es sein Ziel, bestehende Narrative zu brechen und
       durch eine Geschichte zu ersetzen, die näher an der Wirklichkeit ist.
       
       „Ich habe einen Job zu machen, ja“, sagt er an einem anderen Tag, „aber
       will nicht ideologisch sein, und vor allem habe ich keinen Bock, als alter
       zynischer Sack durch die Gegend zu laufen.“
       
       Die Geschichte, die er über sich erzählt sehen will, ist die eines Mannes,
       der sehr hart dafür gearbeitet hat, um an einen Punkt zu gelangen, zu dem
       er sich nie bewusst auf den Weg gemacht hat. „Beruflich ist dies die beste
       Zeit meines Lebens“, sagt Markus Lanz.
       
       Als führender politischer Interviewer dieses Landes wäre es auch schade,
       wenn es anders wäre.
       
       7 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.fr.de/kultur/tv-kino/markus-lanz-zdf-versucht-sich-wieder-linkenfresser-zr-13257698.html
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=ZAYjDGP2kJQ
 (DIR) [3] https://www.openpetition.de/petition/argumente/raus-mit-markus-lanz-aus-meiner-rundfunkgebuehrhttps://www.openpetition.de/petition/argumente/raus-mit-markus-lanz-aus-meiner-rundfunkgebuehr
 (DIR) [4] http://www.stefan-niggemeier.de/blog/17061/wie-markus-lanz-ein-paar-mal-bei-der-schoensten-linken-aller-zeiten-einhaken-musste/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
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       Und weiter geht's mit den Fernsehjournalisten, die rechte Politiker mit
       kunstvoller Psychologie demaskieren wollen und sich doch nur selbst
       entlarven.