# taz.de -- Techno und die Coronakrise: Veränderung kann auch gut sein
       
       > Die Pandemie trifft die Clubs ins Herz. Aber sie könnte einen notwendigen
       > Strukturwandel befördern – mit mehr Durchlässigkeit und mehr Teilhabe.
       
 (IMG) Bild: Techno-Festival Nature one, 2018, auf einer ehemaligen Raketenbasis in Pydna/Kastellaun
       
       „Der internationale DJ-Jetset, das ist vorbei, es wird nicht mehr so
       funktionieren wie vorher. Jemand aus Manchester für 50 Zuhörende am
       Sonntagabend einfliegen zu lassen ist nicht nachhaltig, selbst wenn es für
       alle Beteiligten eine feine Sache war. Da ich ein Kapitalismuskritiker bin,
       begrüße ich das sogar, auch wenn damit eine Kulturform wegbricht.“ [1][Ralf
       Köster, Gründer der legendären DJ-Reihe „MFOC“ im Hamburger Pudel Club],
       wird der taz gegenüber deutlich. Die Coronapandemie trifft die Clubs ins
       Herz; es ist eine Krise, die zusätzlich zur sowieso schon prekären Lage
       auch lange schwelende Debatten in der Szene neu entfacht.
       
       Manche behaupten gar, Techno sei tot. [2][Laura Ewert forderte in der taz,
       dass Techno sterben müsse], und auch der Schweizer Autor Tobi Müller kuckt
       auf die Kunstform aus der zwinglianischen Vogelperspektive: Im
       Onlinemagazin [3][Republik.ch] verstieg er sich dazu, Sterbehilfe leisten
       zu müssen: „Dance is dead – oder: Die Musik von morgen“ heißt der Essay, in
       dem Müller im Feld der elektronischen Tanzmusik Ermüdungserscheinungen
       auszumachen glaubt.
       
       Aber ist die Szene wirklich tot? Sind Clubs keine schützenswerten Räume?
       Oder sind sie, wie manche KritikerInnen glauben, nur noch riesige
       Abfüllstationen, die Musik laufen lassen, um alkolholische Getränke zu
       verkaufen?
       
       Die Antwort lautet: Jein. Sicherlich hat die Mainstreamisierung von
       elektronischer Tanzmusik, sowohl von Techno als auch von in seiner Pop-Form
       „EDM“ (Electronic Dance Music) genanntem Sound, dazu geführt, dass auf
       beiden Seiten der DJ-Kanzel „Party-Amateure“ ein Zuhause gefunden haben.
       Solche, die zwar wissen, wie man säuft, aber nicht, wie man feiert. So
       manches Techno-Festival lässt sich bloß noch am Sound von den
       Rock-Dino-Events Marke Hurricane unterscheiden. Immer häufiger fehlt es an
       Wissen um diasporische Traditionen auf dem Dancefloor.
       
       ## Der Dancefloor als politischer Ort
       
       Denn: Ehedem waren die Techno- und House-Szenen geprägt von Solidarität,
       die es auch Ausgeschlossenen ermöglichten, mitzufeiern, sich auszutauschen,
       zu kommunizieren, losgelöst von Rassismus und Homophobie zu leben. [4][DJ
       Sarah Farina konstatierte kürzlich im Deutschlandfunk Kultur]: „Der
       Dancefloor ist ein politischer Ort, an dem marginalisierte Gruppen einen
       Raum für sich haben – und so ein paar Stunden Weltfrieden erfahren können.“
       
       Gepflegte elektronische Tanzclubs übernehmen häufig eine Funktion als
       gesellschaftliches Scharnier, die von anderen Kultur- und
       Sozialeinrichtungen nicht mehr übernommen werden: Sie eröffnen mehr noch
       als früher Schutzräume für diskriminierte Menschen. Dies ist vor allen
       Dingen Ergebnis einer Reflexionsphase des aufgeklärteren Teils der
       Techno-Szene. Offen wurde diskutiert: Hat man eigentlich genug getan, um
       die Sichtbarkeit von Frauen, von rassifizierten und LGBTQI-Menschen zu
       erhöhen? Die Sichtbarkeit weiblicher DJs, nicht-weißer,
       nicht-heteronormativer DJs und Live-Acts erhöhte sich nach und nach.
       
       Die andere Seite gibt es leider auch. Und wo sollte sie prominenter sein
       als in Berlin, der selbsternannten „Welthauptstadt des Techno“. Zum
       Beispiel jener Demo-Unfall, der als die „Bötchen-Trottelei“ in die
       Geschichtsbücher eingehen wird. Nach einer Demo mit 3.000 Teilnehmern in
       etwa [5][400 Schlauchbooten und Schiffchen am 1. Juni] auf dem
       Landwehrkanal hagelte es zu Recht Kritik. Der Zeitpunkt – die Demo fand
       gleichzeitig mit einer Black-Lives-Matter-Kundgebung statt –, das Banner
       mit den letzten Worten des Afro-Amerikaners George Floyd („I can’t breath“)
       und der Ort, direkt vor dem Eingang des Urban-Krankenhauses, führten zu
       heftigen Einsprüchen.
       
       Ursprünglich wollte die Demo auf die drohende Schließung vieler Clubs in
       Berlin hinweisen – das Motto war: „Für die Kultur – Alle in einem Boot“;
       der Zweck heiligte jedoch keineswegs die Mittel. Vielmehr offenbarte sich
       in der Bootstour dreister, egoistischer Hedonismus.
       
       ## Tanzverbot überspielen
       
       Im Mantel von Politisierung wurde damit mitten in einer globalen Pandemie
       die eigene Dummheit zur Schau gestellt. Im selben Maße schwierig sind die
       verzweifelten Versuche der Dance-Szene, eigene Irrelevanz ob Tanzverbot mit
       Streaming-Angeboten zu überspielen. Ein paar Stunden vor einer Webcam gute
       Laune mimen? Es gibt da einen kleinen wirtschaftlichen Faktor, für so
       manchen DJ mag das der Unterschied zwischen warmen und kalten Abendessen
       sein, auch für Clubs entfällt ein Obolus, der aber weder maßgeblich noch
       bedeutend ist.
       
       Wenn wir dies mal an dieser Stelle vernachlässigen und nur die Videos
       selbst sprechen lassen, offenbarten fast alle Streams die gleiche
       selbstgefällige Haltung, die auch die Bötchen-Fahrer vom Landwehrkanal aufs
       Wasser getrieben hatte: jenes bürgerliche Gebot, das Feiern zum
       Menschenrecht erhebt. Koste es, was es wolle.
       
       Und dennoch ist trotz Corona nicht alles verloren; das zeigt ein Blick in
       die Geschichte und die letzten Jahre. Wenn Tobi Müller konstatiert, dass
       immer dann ein Requiem auf Techno angestimmt wurde, bevor die nächste Stufe
       der „Bumm-bumm-Rakete“ gezündet wurde, stimmt dies nur so halb. Als etwa
       die Love-Parade und die „Raving Nation“ benannte Generation der
       Early-Adapter Ende der 1990er in die Binsen ging, fingen lokale Szenen,
       selbstorganisierte Clubs, DJs und Internetforen auf, was an Kreativität
       und Subversion verloren gegangen war. Aus dem Rummel-Techno wurden so neue
       Spielarten von Deep-House und Minimal-Techno, die neben Tanzbarkeit auch
       romantische Einkehr bereithielten.
       
       ## Neue AkteurInnen
       
       Da war lange noch nichts von Zündung zu spüren, sondern eher ging es um den
       Zusammenhalt einer Szene, die sich am eigenen Zopfe aus dem Sumpf gezogen
       hatte. Und die EDM-Hausse der letzten zehn Jahre, die vermeintlich den
       Ausverkauf bedeutete – und im peinlichen David Guetta bei der
       Fußball-WM-Eröffnung 2018 gipfelte –, gerierte gleichsam einen
       elektronischen Untergrund, der so vital wie nie scheint.
       
       Neue Spielarten von Dancesound entstehen derzeit ständig, immer in neuen
       Gewändern und Synthetisierungen: Japanischer Pop und Filter-House werden zu
       Future Funk, Hardcore- und Gabber-Dance wurden von Nekromanten als
       verfluchte Soundwunder wiederbelebt; und der Synkretismus, mit dem
       peruanische KünstlerInnen wie Dengue Dengue Dengue Cumbia-Tradtionen in
       langsam-wankende, klebrige House-Musik verwandelten, ist das Kennzeichen
       dieser Tage geworden.
       
       Man hätte neben Kolumbien nämlich genauso gut Indonesien und Uganda als
       Einflusssphäre nennen können. Wo sich früher europäische KünstlerInnen der
       Sounds der globalen(-kulturellen) Peripherie schlicht bedient hätten,
       spielen die AkteurInnen aus Jakarta und Kampala nun gleich selbst auf
       Partys und Festivals; die Kettenreaktion der globalisierten Präsenz und
       Sichtbarkeit wird kaum aufhaltbar sein – und die weltweite Szene weiter
       profitieren vom Reifeprozess im Schatten des Ausverkaufs.
       
       Dies wiederum führt im selben Atemzug dazu, dass die eben erwähnte
       Visibilität von rassifizierten Menschen größer wurde und wird, und dies
       wird auch in Deutschland marginalisierte Gruppen wieder in den Club spülen.
       Die Durchlässigkeit der Strukturen – in vielen guten Läden heißt es
       nämlich: Be involved! – ermöglicht im Zweifel, dass sie sich an die
       Plattenteller ranwagen können.
       
       Gleiches gilt für LGBTQIs und Frauen, deren Sichtbarkeit zugenommen hat.
       Interessanterweise befinden wir uns damit womöglich nicht unbedingt in
       einer Coronakrise als vielmehr in einem bedeutenden Übergang, der durch das
       Virus befeuert wird – und schon lange überfällig war.
       
       Ralf Köster orakelt jetzt schon: „Es wird ein Zurück zu den lokalen
       Resident-DJs geben. Das bedeutet keinen Qualitätsverlust – ganz im
       Gegenteil: Ich sehe das als Chance, sich neu zu definieren!“
       
       Und diese Chance heißt es zusammen zu ergreifen, denn Techno und Dance
       scheinen nur dann tot, wenn man ausschließlich auf dem Friedhof der
       Geschichte sucht. Der Rest tanzt nebenan im aufregendsten Clubvergnügen
       aller Zeiten.
       
       15 Jul 2020
       
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