# taz.de -- Europas Versagen in Mali: Blamage in Bamako
       
       > In Mali ist das Desaster europäischer Politik komplett. Entwicklungshilfe
       > und Bundeswehr stützen eine antidemokratische Staatsführung.
       
 (IMG) Bild: Komplettes Desaster in Mali – und Europa trägt eine nicht geringe Mitschuld
       
       Eine Regierung lässt auf eine unbewaffnete Opposition schießen, verhaftet
       ihre Sprecher, schickt gegen Jugendliche, die Barrikaden bauen, eine
       Antiterroreinheit auf die Straßen der Hauptstadt. Zurück bleibt ein Dutzend
       Tote, ein Vielfaches an Verletzten.
       
       Hieße der Schauplatz Iran, wären die Reaktionen im Westen eindeutig.
       [1][Doch dies ist Bamako], Mali: besagte Regierung wird finanziell wie
       militärisch von der Europäischen Union unterstützt, die Antiterroreinheit
       von EU-Kräften ausgebildet. Statt eines Aufschreis stummes Händeringen,
       auch Medienberichte verlieren sich lieber im Vokabular des Diffusen –
       „blutige Unruhen“, als sei die Täterschaft aufseiten der Unruhe, nicht
       aufseiten der Macht.
       
       Wer klaren Auges auf die Geschehnisse blickt, sieht in Mali ein umfassendes
       Desaster westlicher Politik. Dem militärischen und politischen Scheitern
       des Antiterrorkampfs folgt nach sieben Jahren Intervention nun ein
       moralischer Offenbarungseid. Eine von Entwicklungshilfe gepäppelte
       Staatsführung schießt auf ihre Bürger, und die sogenannten Geberländer
       rufen nicht mal einen Botschafter heim.
       
       Dabei weiß jeder, der in Mali tätig ist, dass der Staatspräsident, dessen
       Rücktritt die Bewegung auf der Straße verlangt, tatsächlich eine
       Katastrophe ist für sein Land. Ibrahim Boubacar Keïta wird nicht nur
       Bereicherung und Verfassungsbruch vorgeworfen, sondern er hat Mali
       lethargisch und eigensüchtig immer tiefer in eine verheerende Krise gleiten
       lassen, in der nun die Ärmsten, Hirten und Bauern, einander bekämpfen, weil
       der Staat sie mit ihren Problemen völlig alleinlässt.
       
       ## He is our bastard
       
       Der Fisch stinkt am Kopf, sagt die Opposition, Mali lässt sich nicht retten
       mit diesem Präsidenten. Wenn sie unter sich sind, nicken die Vertreter
       Europas, aber irgendwie brauchen sie den Präsidenten, hängt doch das ganze
       System sogenannter Hilfe an einer gefügigen malischen Staatsführung – der
       [2][UN-Einsatz inklusiv Bundeswehr], unzählbare Projekte, Verträge,
       Auslandsgehälter. Das Hilfesystem gefährdet sich niemals selbst. Und darum
       blinkt über dem Präsidenten Keïta jetzt der alte Kissinger-Spruch: He’s a
       bastard, but he is our bastard.
       
       Tatsächlich hat Keïta einen französischen Pass, in Paris sein Vermögen,
       seine Ärzte. Der feiste Sohn Karim, auf zentrale Posten gehievt, damit die
       Pfründen in der Familie bleiben, verstörte die konservativen Malier zuletzt
       durch Videos, die ihn auf einer Mittelmeer-Jacht mit knapp bekleideten
       Frauen zeigen.
       
       Bereits vor drei Jahren [3][zeigte eine militante Jugendbewegung dem
       Präsidenten die rote Karte]; nun verstärkte der Lockdown wegen Corona den
       schwelenden Zorn. „Dieses Regime ist Malis Coronavirus“, stand auf einem
       Schild. Gleichwohl war der jüngste Auslöser der Proteste sehr konkret:
       Parlamentsabgeordnete sollen durch Wahlbetrug an ihre lukrativen Sitze
       gekommen sein, das Verfassungsgericht war dabei zu Diensten, mutmaßlich
       gekauft vom Präsidenten. Solche Machenschaften anzuklagen, inmitten von
       Armut und Krise, scheint nobel. Doch manche hiesigen Medien ziehen es vor,
       den prodemokratischen Aufstand in einer islamophoben Wendung zur
       radikal-religiösen Gefahr zu stilisieren, angeheizt von einem „neuen
       Chomeini“.
       
       ## Ein gemäßigter Salafist
       
       Gemeint ist Mahmoud Dicko; ich traf ihn mehrfach in der Vergangenheit. Ein
       gemäßigter Salafist (das heißt: kein Dschihadist), seine Strömung stellt
       unter den malischen Muslimen eine große Minderheit. Einige Jahre war Dicko
       gewählter Vorsitzender des nationalen Islamrats, ohne dass Mali, religiös
       immer heterogen, deswegen salafistisch geworden wäre. Bei den Sufis, größer
       an Zahl, ist Präsident Keïta nicht minder unbeliebt, doch begehren sie
       nicht gegen eine amtierende Autorität auf, das gilt für den eigenen Orden
       wie für den Staat. Dicko macht seine Aura des Unbeugsamen populär, doch ist
       er politisch moderater als manche Mitstreiter.
       
       Seit Langem gewinnen in Mali religiöse Gestalten, die als moralisch sauber
       gelten, in jenem Maße an Statur, wie die säkulare politische Klasse in
       Machtmissbrauch versinkt. Umso bemerkenswerter, dass die Opposition
       keinerlei religiöse Forderungen erhebt, sich republikanisch nennt und sich
       auf die Verfassung beruft. Ohnehin besteht die „Sammlung patriotischer
       Kräfte“, wie sie sich nennt, neben Dickos Anhängerschaft auch aus säkularen
       Kräften: Einem Bündnis Dutzender Kleinparteien sowie einer
       zivilgesellschaftlichen Gruppe, die der linke Regisseur Cheick Oumar
       Sissoko anführt; der 74-Jährige ist Cineast von internationalem Renommee
       und Exkulturminister.
       
       Weil er nicht ins Strickmuster einer islamistischen Gefahr passt, taucht er
       in keinem Medienbericht auf. So wenig wie der christliche Oppositionelle,
       ein Hochschullehrer, den der malische Geheimdienst als vermeintlichen
       Putschisten gekidnappt hat.
       
       Was ist die Lehre aus all dem? Mali schreit nach einem besseren, einem
       gerechten und sich sorgenden Staat. Die Bevölkerung fühle sich „verwaist“,
       so formuliert das ein Manifest malischer Intellektueller. Die ausländischen
       Akteure haben über Jahre an diesem Bedürfnis nach einem gerechten Staat
       vorbei hantiert – als sei der Staat nur ein Territorium, auf dem sie dann
       „Sicherheit“ schaffen. Dieses Vorgehen ist gescheitert – nicht weil Mali
       Afghanistan wäre. Sondern weil Ausländer entschieden haben, was für Mali
       gut ist. Wie wenig Mali mit Afghanistan gemein hat, beweist nun eine
       Opposition, die national und republikanisch auftritt.
       
       Gewiss, viel mehr Menschen als auf den Straßen Bamakos sind bisher durch
       interethnisch ausgetragene Konflikte in Zentralmali umgekommen. Aber es
       macht einen Unterschied, wenn die Staatsgewalt tötet. Und es berührt mich
       sehr, dass so viele Malier und Malierinnen sich das Gespür dafür bewahren.
       
       5 Aug 2020
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Charlotte Wiedemann
       
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