# taz.de -- Die Wahrheit: Deep Talk mit Gesichtsbehaarung
       
       > Wer sich bei Hitze durchs Netz klickt, gerät in Paralleluniversen, deren
       > Algorithmen auch nicht mehr das sind, was sie nie waren.
       
       Ich bin auf drei Dates, basierend auf geteilten Werten, gegangen, und es
       hat alles verändert.“ Haha, stimmt ja gar nicht. Verabredungen vermeide ich
       und meine Werte teile ich nicht gern, wie der Liebste bestätigen kann, wenn
       er versucht hat, sich heimlich aus meiner Sockenschublade zu bedienen. Da
       kann ich so was von nervig werden.
       
       Wenn es sehr heiß ist, klicke ich aber auf Internetwerbung, und habe
       deshalb plötzlich ein Date mit dem Drei-Dates-Satz, der mich direkt in ein
       Paralleluniversum beamt. Ich lese von den Sorgen einer Frau, die am
       liebsten 30-jährige „Creatives“ trifft, „vorzugsweise mit Bart“, und deren
       klügere Freundin ihr für die Zukunft davon abrät. Nach dem liebevollen
       Gespräch unter Freundinnen versucht sie, ihr Beuteschema zu ändern, anders
       gesagt: „Mein erster Step nach diesem Peptalk war es, eine neue App
       auszuprobieren.“
       
       Aha. Als ich vor 100 Jahren jung war, kurierte man eine unheilvolle Neigung
       zu Hallodris und Arschlöchern noch nicht mit Algorithmen. Die beste
       Freundin stellte einem einfach ihren netten Bruder vor. Und irgendwann
       hatte auch die dümmste Ellie begriffen, dass der möglicherweise für die
       Familiengründung geeigneter sein könnte als der verantwortungslose Künstler
       aus dem Fernsehen oder der Motorradmacho vom Ende der Straße.
       
       Inzwischen brauchst du dafür ein Programm, das dir „die Kompatibilität der
       Singles zu deinen Antworten zeigt“. Das dient dann auch gleich der
       Selbstoptimierung: „Die Erstellung meines Profils hat mich daran erinnert,
       mir zu überlegen, woraus ich gemacht bin, und schlussendlich auch, welche
       Person ich mir an meiner Seite vorstelle.“ Eine Person, die sich von
       Wörtern wie „schlussendlich“ nicht stören lässt, sollte es schon sein.
       
       Großzügig verkündet unsere paarungswillige Kandidatin auch, dass ein Date
       ja „nicht nur aus üppiger Gesichtsbehaarung“ bestehe. Woraus sie selbst so
       gemacht ist, verrät sie aber doch lieber nicht. Ich tippe auf eine Mischung
       aus Bot und Übersetzungsprogramm, obwohl ich bisher nicht wusste, dass es
       Software gibt, die auf Bärte steht.
       
       Zu ihren neuen Werten gehört es jedenfalls, sich „outside the box“ nach
       Männern umzusehen. Ein älterer Mann mit selbst gebügeltem Hemd zum
       Beispiel, der „eine feste und warme Umarmung gab“. Noch ehe man sich in der
       „Craft-Beer-Pizzeria“ setzen konnte, begann das Petting, nein, der „Deep
       Talk“ – was ist denn das schon wieder, verflucht, geht das auch ohne
       Kondom? Egal, schon der übernächste Typ scheint der Richtige zu sein: „Er
       stellte konkrete Fragen und ich fühlte mich direkt als Person gesehen.“
       Ach, ein Therapeut? Nein, aber schon kocht man gemeinsam, allerdings per
       Videochat. Das jedenfalls geht ohne Kondom.
       
       Fazit der Bärte-Dating-Lady: „Diese Erfahrung hat mich definitiv gelehrt,
       keine Angst mehr davor zu haben, um Liebe zu bitten.“ Also, Mädels, auf die
       Knie, geht schön mit euren geteilten Werten betteln, ehe ich euch noch das
       Internet abschalte.
       
       12 Aug 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Fischer
       
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