# taz.de -- Professorin zu Religionsfreiheit an Unis: „Wir stehen für Weltoffenheit“
       
       > Die Uni Bochum kommt gläubigen Studierenden entgegen, sagt die
       > Wissenschaftlerin Isolde Karle. An religiösen Feiertagen soll es keine
       > Prüfungen geben.
       
 (IMG) Bild: Prüfungen an Feiertagen können, etwa wegen Schreibverbot, für gläubige JüdInnen problematisch sein
       
       Frau Karle, die Uni Bochum, an der Sie als Professorin lehren, hat im Juli
       beschlossen, künftig keine Prüfungen mehr auf religiöse Feiertage zu legen.
       Warum?
       
       Isolde Karle: Wir haben uns die Frage gestellt, wo an der Uni
       Diskriminierung stattfindet, und haben festgestellt: Für observante
       Jüdinnen und Juden ist es problematisch, an Prüfungen am Schabbat
       teilzunehmen. An diesem Tag gilt für orthodoxe Juden ein Schreibverbot. Wir
       wollen proaktiv deutlich machen, dass wir für Weltoffenheit stehen und
       setzen diese lang gehegte Forderung des Zentralrats der Juden deshalb als
       erste deutsche Uni um.
       
       Wie aufwändig ist die Umstellung? Teilen Sie jetzt Kalender an alle
       Dozierenden aus, damit diese wissen, wann sie auf Prüfungen verzichten
       sollen? 
       
       Es ist nicht so, dass von vornherein alle religiösen Feiertage
       ausgeschlossen sind. Sollte eine Prüfung auf einem Feiertag liegen, können
       Studierende einen Antrag beim Prüfungsausschuss stellen und um einen
       zeitnahen Ersatztermin bitten. Voraussetzung ist, dass sie einen Nachweis
       vorlegen können, dass sie die Prüfung tatsächlich aus religiösen Gründen
       nicht absolvieren können. Diesen Nachweis kann zum Beispiel ein Rabbiner
       oder ein Imam ausstellen.
       
       Warum schließen Sie nicht gleich alle religiösen Feiertage aus? 
       
       Beim Thema Religionsausübung schlagen die Wellen schnell hoch. Es gibt
       antireligiöse Ressentiments, auch an der Uni. Manche haben wohl [1][Angst,
       dass Muslime direkt den Gebetsteppich ausrollen.] Deshalb fangen wir erst
       einmal so an und schauen dann, wie sich die Praxis darstellt. Ich denke,
       dass viele Dozierende in Zukunft zentrale religiöse Feiertage von
       vornherein als Prüfungstermine ausschließen, weil sie keine Lust haben,
       Klausuren zweimal zu erstellen.
       
       Wie viele Personen werden die Möglichkeit nutzen, einen Ersatztermin
       einzufordern? 
       
       Genau wissen wir das nicht. Christinnen und Christen sind schon mal außen
       vor, weil deren Feiertage sowieso geschützt sind. Bei Muslimen käme das
       Ramadan- oder Opferfest in Betracht; bei jüdischen Studierenden geht es
       neben dem Schabbat auch um hohe Feiertage wie Jom Kippur und das
       Pessach-Fest. Wie viele Studierende davon in Bochum Gebrauch machen, lässt
       sich vorab schwer sagen. Ich schätze, zehn bis zwanzig pro Jahr.
       
       Sind nur die Feiertage von Weltreligionen inbegriffen oder könnte auch
       ein*e [2][Scientology]-Anhänger*in einen anderen Prüfungstermin erzwingen? 
       
       Die Scientologen begreifen sich selbst als Religionsgemeinschaft. Insofern
       könnten sie prinzipiell einen Antrag stellen. Doch finden ihre religiösen
       Andachten an einem Sonntag statt, der nicht mit Prüfungsterminen
       kollidiert. Und die wenigen Feiertage, die es unter der Woche gibt, haben
       keine verpflichtende Bedeutung für den Einzelnen.
       
       Und bei Dozierenden? Können die mit Hinweis auf ihre Religion ebenfalls
       darauf verzichten, Prüfungen abzunehmen? 
       
       Ja, klar. Es gibt dazu einschlägige Urteile vom Europäischen Gerichtshof
       und der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Wir müssen da nichts
       erfinden. Eigentlich könnten sowohl Studierende als auch Lehrende gegen die
       bisherige Praxis klagen, wenn sie sich dadurch benachteiligt fühlen. Sie
       tun es nicht, weil es mit viel Aufwand verbunden ist und vielleicht auch
       mit Angst vor Diskriminierung.
       
       Wie passt der Beschluss zur Trennung von Staat und Kirche? 
       
       Anders als in Frankreich haben wir in Deutschland keinen Laizismus. Bei uns
       gibt es nicht nur eine negative, sondern auch eine positive
       Religionsfreiheit, da ist Artikel 4 des Grundgesetzes eindeutig. Gläubigen
       muss es möglich sein, ihre Religion ungestört auszuüben, deshalb ist auch
       der Sonntag gesetzlich geschützt. Aus den Erfahrungen im
       Nationalsozialismus wissen wir, dass die Religion auch vor dem Staat
       geschützt werden muss.
       
       Gibt es andere Hochschulen, die Ihrem Beispiel folgen? 
       
       Die Bundesregierung empfiehlt den Hochschulen, genau solche Regelungen wie
       bei uns einzuführen und darüber hinaus auch Lehrveranstaltungen nicht auf
       religiöse Feiertage zu legen. Verordnen kann sie das aber nicht, denn
       Hochschulpolitik ist Ländersache. Im Übrigen plädieren fast alle Parteien
       für diese Regelung.
       
       31 Jul 2020
       
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