# taz.de -- Internationales Filmfest Oldenburg: Wie viel Glamour geht schon wieder?
       
       > Am 16. September startet in Oldenburg das Internationale Filmfest – als
       > erstes in Norddeutschland unter Coronabedingungen.
       
 (IMG) Bild: Bild aus vergangenen Zeiten: Die Eröffnungsgala des Internationalen Filmfests Oldenburg im Jahr 2019
       
       BREMEN taz | Der rote Teppich wird in Wohnzimmern ausgerollt – nicht nur
       symbolisch, sondern ganz real. Aufwendige Galas mit Hunderten festlich
       gekleideten Gästen wird es weder zur Eröffnung des diesjährigen
       [1][Oldenburger Filmfestes] geben noch zum Abschluss oder der Präsentation
       der Ehrengäste – nicht in Zeiten von Corona. Aber Festivalleiter Torsten
       Neumann hatte eine Idee, wie sich trotzdem zumindest ein wenig festliche
       Stimmung schaffen lassen könnte: Ganz normale Oldenburger*innen konnten
       sich darum bewerben, ihre Wohnzimmer für Galavorstellungen zur Verfügung zu
       stellen.
       
       So wird nun etwa die Eröffnungsgala am kommenden Mittwoch in einem
       Privathaushalt stattfinden, von einem Kamerateam aufgenommen und live
       „ausgestrahlt“ auf der On-Demand-Plattform Pantaflix – für alle, die vorher
       ein digitales Ticket erworben haben. Neumann wird feierlich dieses 27.
       Festival eröffnen, ein paar prominente Gäste werden mit ihm und den
       Gastgeber*innen mit Sekt anstoßen, und dann wird „Puppy Love“ gezeigt.
       
       Zwei Tage später läuft der Film des kanadischen Regisseurs Michael Maxxis
       dann auch noch mal auf einer großen Leinwand. Die kleine Eröffnungsgala
       aber gibt es nur online: In den Kinos wird dieses Jahr nicht gefeiert. Wie
       viel Festivalatmosphäre lässt sich retten unter den Bedingungen der
       Pandemie?
       
       Alle 45 Filme [2][im Programm] werden je einmal in einem der drei
       Festivalkinos aufgeführt. In den großen, zum temporären Kino umgebauten
       Saal [3][der Oldenburger „Kulturetage“] passen dann immerhin rund 100
       Zuschauer*innen. Und es werden sogar ein paar Gäste anreisen, um ihre Filme
       persönlich vorzustellen. Aber noch mehr bleiben zuhause und werden für
       Einführungen oder Gespräche per Videolink zugeschaltet.
       
       Das Festival findet also zum größeren Teil virtuell statt, nicht an realen
       Orten in Oldenburg. Da ist es dann schon eine Herausforderung, in diesem
       „sterilen Medium“ – wie Festivalleiter Neumann es selbst nennt – die
       Spannung des „hier und jetzt passiert es!“ zu schaffen, die viel vom Reiz
       so eines Filmfestes ausmacht.
       
       Immerhin: Um dem Erlebnis so nahe zu kommen wie möglich, geschieht auch
       online alles in Echtzeit. So stehen die Festivalfilme nicht etwa für 24
       Stunden oder länger im Netz, sondern können auch von zuhause aus nur zu den
       im Programm angegebenen Zeiten angesehen werden. „Wenn du zu spät kommt,
       ist die Tür zu, und du kommst nicht mehr hinein“, sagt Neumann, der hofft,
       für Disziplin auch unter virtuellen Festivalbesucher*innen sorgen zu
       können. Aber er weiß auch: Einen Teil des potenziellen Publikum dürfte
       diese Politik das Festival diesmal kosten.
       
       Premierenatmosphäre soll auch der digitale Applaus schaffen: Die
       Wohnzimmer-Zuschauer*innen können kurz vor dem Ende des Films darüber
       abstimmen, ob sie danach leise, freundlich, laut oder begeistert
       applaudieren wollen. Und wie in einer billigen TV-Komödie die Lachkonserve,
       so wird nun in Oldenburg während des Abspanns der im Voting errechnete
       Durchschnittsapplaus eingespielt – Buhrufe sind allerdings nicht möglich.
       
       Für die digitalen Vorführungen wird es keine Dauerkarten geben, es muss
       jeweils ein neues Ticket erworben werden. Dieses wird mit 5,99 Euro etwas
       preiswerter sein als der Besuch eines physischen Festivalkinos mit 8,50
       Euro. Die Erfahrung von anderen Online-Festivals ist, dass nicht selten
       zwei und mehr Zuschauer*innen mit nur einem Ticket einen Film ansehen
       werden; das senkt die Zahlen und die Einnahmen. Zum realen Kinobesuch soll
       ermuntern, dass zu jeder Dauerkarte – für diese Vorführungen gibt es welche
       – drei Gutscheine für einen digitalen Kinobesuch ausgegeben werden.
       
       Technisch wird die Hybrid-Strategie eine große Herausforderung für den
       Video-On-Demand-Anbieter Pantaflix werden. Für diesen Partner hat Neumann
       sich recht kurzfristig entschieden hat: Noch Mitte Mai war mit Pornhub eine
       der bekanntesten Pornowebsites im Gespräch – auch wegen eines, so Neumann,
       „bedeutend umfangreicheren“ Angebots. Tatsächlich haben die Plattform und
       das Festival schon zusammengearbeitet, so lief im vergangenen Jahr ein für
       Pornhub produzierter Kurzfilm im Festivalprogramm. Der Filmfestchef hätte
       ausdrücklich kleine Berührungsängste, die Zusammenarbeit scheiterte dann
       aber an „zu vielen Verwerfungen“: Sponsoren oder auch Fördergremien legten
       Einspruch ein.
       
       Ein Film im Programm könnte digital wohl mehr Zuschauer*innen anlocken als
       alle anderen zusammen: Mit „The Jesus Rolls“ hat John Turturro ein Spin-off
       zu einem echten Kultfilm – und hier passt die oft bemühte Vokabel wirklich
       – geliefert, nämlich zu „The Big Lebowski“ von den Coen-Brüdern. Die
       weigern sich seit vielen Jahren standhaft, selbst eine Fortsetzung mit Jeff
       Bridges in der Hauptrolle zu drehen. Sie haben aber Turturro einen eigenen
       Film erlaubt – über die damals von ihm gespielte Nebenfigur Jesus. Und so
       ist er jetzt noch einmal der kleine König der Bowling-Alley, der seine
       Kugel ableckt und „Don’t fuck with the Jesus“ schreit.
       
       [4][Auch der Festival-Trailer] sieht in diesem Jahr anders aus. Seit vielen
       Jahren produziert Neumann selbst die kurzen Werbefilme, die in den Wochen
       vor dem Festival in norddeutschen Programm- und Kommunalkinos laufen:
       voller Selbstironie und cineastischen Anspielungen. In diesem Jahr hat er
       stattdessen wiederum die Oldenburger*innen aufgefordert, selbstgedrehte
       Filmchen einzuschicken, in denen sie zeigen, wie sie sich einen
       Festivalabend im eigenen Heim vorstellen. Solche Collagen filmischer
       Selfies sind [5][eine neue, im Lockdown entwickelte Stilform] – insofern
       ist der diesjährige Trailer also nicht direkt originell. Aber er vermittelt
       einen guten Eindruck davon, wie es in einigen Oldenburger Wohnzimmern
       aussehen wird, wenn wieder Filmfest ist.
       
       11 Sep 2020
       
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