# taz.de -- Berichterstattung über Covid-19: Nicht alles braucht einen Coronadreh
       
       > Eine Studie sagt, die Berichterstattung über Covid-19 sei zu negativ
       > gewesen. Nur wie sollen Journalist*innen über eine Pandemie schreiben?
       
 (IMG) Bild: Szenen wie aus einem Seuchenfilm an der deutsch-polnischen Grenze im März
       
       Ich würde Ihnen gerne sagen: Alles wird gut. Pannen passieren, der Söder
       kriegt das hin und Bob Dylan hat doch neulich ein neues Album
       veröffentlicht. Aber ich bin kritisch, grantlig und keine verdammte
       Happiness-Managerin. Sondern Journalistin.
       
       Wir Journalisten schreiben jeden Tag, was schiefläuft, wo es wie viele Tote
       gibt, wer wen wie in die Pfanne haut und auf welche Abgründe unsere Welt
       gerade zuläuft. Wir sind begabte Dramatiker, verliebt in die Tragödie. Und
       das ist manchmal ein Problem. Denn gerade jetzt in der Coronakrise macht
       sich ein altes Dilemma des Journalismus bemerkbar: Schreiben Journalisten
       zu negativ, stumpfen Leser ab oder drehen sich weg. Schreiben Journalisten
       zu positiv, machen sie sich verdächtig, parteiisch oder unkritisch zu sein.
       
       Kürzlich haben zwei Kulturwissenschaftler von der Universität Passau [1][in
       einer Studie] die Spezialausgaben von ARD und ZDF seit Beginn der Pandemie
       analysiert. Und kamen zu dem Schluss, dass zu negativ und überhaupt zu viel
       über Corona berichtet worden sei. Und außerdem zu dramatisierend.
       
       Die Studie wurde – trotz ihrer Erwartbarkeit – [2][viel diskutiert und
       kritisiert.] Die Senderchefs von ARD und ZDF verteidigten sich. So wehrte
       sich der ARD-Chefredakteur Rainald Becker im Deutschlandfunk:
       „Journalismus ist nicht dazu da, Lösungen zu finden oder
       Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Das müssen andere tun. Das muss die
       Politik tun, das muss die Wirtschaft tun, das müssen die Menschen tun.
       Aufgabe von Journalismus ist es, eine Wirklichkeit, ein Geschehen zu
       beschreiben.“
       
       ## Christian Drosten, der Held
       
       Aber diese Wirklichkeit wird nie einfach nur beschrieben, sie wird immer
       auch narrativ gestaltet. Die Autoren der Studie, Dennis Gräf und Martin
       Hennig, hatten die Berichterstattung über Corona unter anderem aus
       philologischer Perspektive untersucht – also in Bezug auf das Wie der
       Inszenierung. Da war die Rede von „Hollywood-Ästhetiken“, „dystopischer
       Endzeitstimmung“ und „Vorabend-Soap“.
       
       Es lohnt ein Blick auf die mediale Inszenierung der Pandemie: Waren die
       Maßnahmen zum Pandemieschutz 2020 eine Tragödie? Die Figuren und deren
       Besetzung würde zumindest passen: Christian Drosten als Held,
       verantwortungsvoll, angefeindet, aber sich höheren Zielen opfernd („there
       is no glory in prevention“), zeitweise die Antihelden Hendrik Streeck und
       Armin Laschet mit ihrer missglückten PR zur Heinsberg-Studie.
       
       Und da ist der Chor der Leugner. Die Frage ist nicht immer bloß, inwiefern
       Realität korrekt abgebildet wird – sondern auch, ob Berichterstattung in
       Muster verfällt, die dann zu Klischees werden und Desinteresse bewirken.
       Denn wie viel Tragödie verträgt der Mensch? Bevor das Publikum aufhört,
       Nachrichten über Corona zu lesen, nur weil es um Corona geht, kann man
       zumindest einen Kurswechsel in Erwägung ziehen.
       
       Wie ließe sich, mit Blick auf eine „zweite Welle“, die Geschichte der
       Pandemie narrativ anders gestalten? Nein, ich meine nicht das K-Wort:
       „konstruktiver Journalismus“. Wie gesagt: Ich bin keine verdammte
       Happiness-Managerin. Aber das Storytelling könnte besser sein.
       
       ## Nicht jeder Text braucht einen „Coronadreh“
       
       Erstens: Nicht jeder Artikel braucht einen „Coronadreh“. Porträts und
       Reportagen zu anderen Themen funktionieren gut ohne den Hinweis auf die
       schreckliche Zeit, in der wir aktuell leben. Ja, was auf dieser Welt
       passiert, findet unter besonderen Bedingungen statt: Fußballspiele,
       Konzerte, Regierungstreffen, Wahlen. Trotzdem braucht es keine
       Coronakausalität – nicht alles hängt mit der Pandemie zusammen.
       
       Mit dem pflichtbewussten Einflechten der Maskenpflicht, dem Abstand, den
       Digitalkonferenzen, den Rückverweisen auf den Lockdown gehört das C-Wort
       schleichend zum Leben wie die Bauarbeiten vor dem Fenster – es nervt, es
       ist laut, man ignoriert es.
       
       Zweitens, die Dramaturgie: Sind Coronanews immer Titelgeschichten? Wie
       viele Masken müssen auf eine Seite? Welcher Aspekt muss in die Überschrift?
       Dass Norwegen Deutschland als Risikogebiet einstuft, sagt natürlich etwas
       über die Dramatik der Fallzahlen, es sagt aber auch, dass Norwegen
       eventuell eine sehr vorsichtige Politik verfolgt und schlicht weniger
       Fallzahlen hat.
       
       Braucht es also hier wirklich eine Eilmeldung? Wenn im Fernsehen auf einen
       Beitrag über gestresste Eltern wegen der geschlossenen Schulen direkt
       danach ein Beitrag über die gesundheitlichen Gefahren bei der
       Wiedereröffnung von Schulen geschnitten wird, ist das Tragödienmuster
       perfekt erfüllt. Problem wird an Problem geschnitten. Und genau das
       suggeriert die Ausweglosigkeit, ein Kernelement der Tragödie – egal, was
       die Figuren machen und wie sie handeln, sie handeln falsch.
       
       Und schließlich: Neben Tragik ist auch die Komik ein Mittel zur
       Emotionalisierung, und auch in dieser Pandemie gibt es komische Momente,
       die sich zu erzählen lohnen. Denn – das wusste schon Shakespeare – der
       Comic Relief, das erleichternde Lachen, gehört zu einer guten Tragödie
       dazu. Deswegen muss nichts verwässert, gesüßt oder verschwiegen werden.
       Auch in Krisen dürfen die erzählerischen Instrumente variieren.
       
       Apropos Instrumente. Bob Dylan hat ein neues Album. Es heißt „Rough and
       Rowdy Days“.
       
       17 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.researchgate.net/publication/342438331_Die_Verengung_der_Welt_Zur_medialen_Konstruktion_Deutschlands_unter_SARS-CoV-2_und_Covid-19_anhand_der_Formate_ARD_Extra_und_ZDF_Spezial
 (DIR) [2] /Berichterstattung-ueber-Corona/!5704128
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marlene Knobloch
       
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