# taz.de -- Berlin und seine Millionär*innen: Die Stadt der Reichen
       
       > Mit seiner Armut hat sich Berlin lange geschmückt – und das Problem
       > Reichtum ignoriert. Den muss aber im Blick haben, wer soziale
       > Gerechtigkeit will.
       
 (IMG) Bild: Luxus-Neubauten umzingeln die Friedrichswerdersche Kirche in Berlins historischer Mitte
       
       BERLIN taz | Unsere Gesellschaft hat ein [1][Problem mit Reichtum]. Hört
       sich komisch an? Ist aber keine andere Aussage als: Es gibt ein
       Verteilungsproblem. Oder: Wir haben ein Problem mit Armut. Wenn man die
       letzteren Aussagen für plausibel hält, ist die erste auch richtig. Denn
       Reichtum und Armut sind untrennbar miteinander verbunden. Man muss kein
       Marxist sein, um zu wissen: Wenn Menschen mehr besitzen, als sie erarbeitet
       haben, haben andere mehr erarbeitet, als sie besitzen.
       
       Wer eine gesellschaftliche Entwicklung, die immer mehr Superreiche
       hervorbringt und noch viel mehr Menschen in Armut verharren lässt, aus
       guten Gründen für problematisch erachtet, kommt nicht umhin, darauf zu
       schauen, wo sich Reichtum ballt. Das gilt umso mehr in dieser Zeit, in der
       die öffentlichen Kassen durch die Mobilisierung von Coronahilfen
       strapaziert sind und Steuereinnahmen in den nächsten Jahren deutlich
       geringer ausfallen werden: einer neuen Krisenepoche.
       
       Will man also zur Abwechslung mal nicht wieder am Sozialstaat sparen und
       die Mehrheit der Bevölkerung zur Kasse bitten, muss das Tabuthema Reichtum
       ins Zentrum der politischen Debatte geholt werden. Erst dann kann das
       Problem im Sinne einer notwendigen Umverteilung von oben nach unten
       angegangen werden.
       
       Berlin hat sich lange – in völliger Negation der damit verbundenen Probleme
       – mit seiner Armut geschmückt, aber den Reichtum in der Stadt nie richtig
       in den Blick genommen – weshalb wir wenig über ihn wissen. Die Villen im
       Grunewald oder die Luxusgeschäfte am Ku’damm sind Symbole, die den meisten
       noch einfallen; über das Maß an Reichtum und die ungleiche Verteilung
       verraten sie fast nichts. Reichtum und Berlin, passt das überhaupt? Wohnen
       die richtig Reichen nicht woanders, im Bankenzentrum Frankfurt am Main, in
       Hamburg-Blankenese oder dem Kurort Baden-Baden?
       
       Tatsächlich aber ist Reichtum in Berlin ein Thema, ein Problem, wenn man so
       will, und das wächst weiter an, oft wenig sichtbar für die Öffentlichkeit.
       Dabei häufen sich die exklusiven Clubs für Wohlhabende, seit 2001 mit dem
       Berlin Capital Club am Gendarmenmarkt der erste seiner Art in Berlin
       eröffnete. Autos, die mehr als 100.000 Euro kosten, sind auf den Straßen
       keine Seltenheit, genauso wenig wie Restaurants, in denen der Menüpreis die
       vorgesehene Monatssumme für Lebensmittel von Hartz-IV-Empfänger*innen
       übersteigt. Auch die Zahl luxuriös ausgestatteter Dachgeschosswohnungen und
       Lofts, deren Besitzer*innen siebenstellige Summen auf den Tisch legen
       können, hat sich rapide vermehrt.
       
       ## Reich oder superreich?
       
       Was aber wissen wir wirklich über den Reichtum in der Stadt? In der
       Wissenschaft wird zwischen zwei Arten von Reichtum unterschieden. Recht gut
       ausgeleuchtet ist der Einkommensreichtum. Als relativ reich gelten dabei
       jene, die mindestens das Doppelte des durchschnittlichen
       Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung haben. Superreich ist man ab einem
       Jahreseinkommen von mehr als 500.000 Euro. Wenig ist dagegen über
       Vermögensreichtum und -verteilung bekannt – denn mit der Abschaffung der
       Vermögensteuer 1997 ist auch die Vermögensteuerstatistik weggefallen. Die
       Vermutung liegt nahe, dass die Unkenntnis über Vermögen auch eine ihrer
       Bedingungen darstellt.
       
       In Berlin galten laut dem Sozialbericht 2019 des Amtes für Statistik 9,1
       Prozent der Bevölkerung gemessen an ihrem Einkommen als relativ reich, sie
       verdienen also mehr als 200 Prozent des Durchschnittslohns. In solchen
       Haushalten lebten insgesamt 331.679 Berliner*innen. Die Reichtumsschwelle
       lag bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 3.346 Euro für
       Einpersonenhaushalte. Zum Vergleich: 16,5 Prozent der Berliner*innen gelten
       mit einem maximalen Monatseinkommen von 1.004 Euro als armutsgefährdet.
       
       Der erste stadtweite Reichtumsbericht, den Charlottenburg-Wilmersdorf auf
       Antrag der Linken-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung erstellt
       und im vergangenen Jahr veröffentlicht hat, zeigt die Unterschiede
       zwischen den Bezirken. Demnach gehörten 2016 in Steglitz-Zehlendorf und
       Charlottenburg-Wilmersdorf jeweils gut 16 Prozent der Einwohner*innen zu
       den Einkommensreichen, in Neukölln dagegen nur 3,5 Prozent.
       
       Von den circa 50.000 Personen, die in Charlottenburg-Wilmersdorf als
       relativ reich gelten, hatten nach einer Kleinen Anfrage des
       Linken-Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg an den Senat im vergangenen
       Jahr 103 Personen jährliche Einkommen von mehr als einer halben Million
       Euro; berlinweit waren es 749. Noch 2016 waren es nur 486. [2][Der
       prozentual höchste Anstieg] ist dabei ausgerechnet in
       Friedrichshain-Kreuzberg zu verzeichnen: Dort sprang die Zahl der – wie es
       aus D-Mark-Zeiten noch heißt – Einkommensmillionäre von 11 auf 51.
       
       Noch ungleicher als bei den Einkommen ist die Verteilung des Vermögens.
       Erst kürzlich kam eine Untersuchung des Deutschen Instituts für
       Wirtschaftsforschung (DIW) zu dem Ergebnis, dass die oberen zehn Prozent
       der deutschen Bevölkerung zwei Drittel des Gesamtvermögens besitzen; 45
       Superreiche gar so viel besitzen wie die ärmere Bevölkerungshälfte. Wie
       viel Vermögen sich in Berlin wirklich ballt, ist unbekannt. Eine Schätzung
       aus dem Jahr 2014 rechnete mit etwa 20.000 Dollar-Millionär*innen in der
       Stadt, ihre Anzahl dürfte mittlerweile deutlich gestiegen sein – und nicht
       weit hinter den 50.000 Millionär*innen in Hamburg zurückliegen.
       
       In der Liste der 500 reichsten Deutschen finden sich 11 Berliner*innen.
       Die reichsten davon sind die Witwe des Otto-Gründers, die sich zusammen mit
       ihrem Stiefsohn ein Vermögen von etwa 10 Milliarden Euro teilt. Die
       Verlegerin Friede Springer kommt auf ein geschätztes Privatvermögen von 4
       Milliarden Euro. Beide zusammen besitzen damit fast die Hälfte des
       Haushaltsvolumens Berlins im laufenden Jahr.
       
       Darüber zu reden – und die Umverteilung zu fordern und durchzusetzen, wie
       es an diesem Samstag [3][Demos unter anderem in Berlin tun] – ist weder
       anstößig noch hat es mit Neid zu tun. Es ist eine Notwendigkeit, will man
       den sozialen Frieden erhalten.
       
       19 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Demo-fuer-Umverteilung/!5711203/
 (DIR) [2] /Millionaere-in-Berlin/!5609772/
 (DIR) [3] https://werhatdergibt.org/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erik Peter
       
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