# taz.de -- Streiks in der Pandemie: Ein öffentlicher Dienst
       
       > Streiks sind in der Pandemie unmoralisch, schreiben viele Medien.
       > Arbeitgeber freut das. Sie bauen darauf, dass Corona Gewerkschaften
       > schwächt.
       
 (IMG) Bild: Mit Schirm und Maske: Der Warnstreik von Angestellten im Öffentlichen Dienst ist (k)ein Aufreger
       
       Die veröffentlichte Meinung scheint sich weitgehend einig zu sein:
       „Warnstreiks sind in der Pandemie fehl am Platz“, urteilt die
       [1][Süddeutsche.] Ein Arbeitskampf mitten in der Pandemie sei
       „unverantwortlich“, schimpft die [2][Rheinische Post.] „Ein Streik ohne
       Augenmaß“ sei das, wettert der [3][Reutlinger General-Anzeiger].
       
       Über ein „Muskelspiel zur Unzeit“ empören sich die [4][Westfälischen
       Nachrichten]. Auch das [5][Schwäbische Tagblatt] findet, es sei gerade „die
       falsche Zeit für Warnstreiks“. Sie seien derzeit sogar „so überflüssig wie
       der berühmte Kropf“, echauffiert sich die [6][Augsburger Allgemeine].
       
       Wenn sonst nicht mehr viel funktioniert, dann wenigstens noch die Reflexe.
       Zu den [7][Ritualen eines Tarifstreits] gehören stets auch aufgebrachte
       Kampfkommentator:innen in den Redaktionsstuben der Republik, die über die
       vermeintliche Unbotmäßigkeit gewerkschaftlichen Handelns lamentieren.
       Arbeitskampfmaßnahmen, die wehtun? Da hört der Spaß auf!
       
       Dabei verursachen die am Dienstag, 22. September, begonnenen Warnstreiks im
       Rahmen der Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst
       von Bund und Kommunen vor allem Phantomschmerzen. Höchstens einzelne
       Nadelstiche sind spürbar.
       
       Die Streikaktionen sind weder flächendeckend, noch umfassen sie an jedem
       betroffenen Ort alle Bereiche des öffentlichen Dienstes. Die
       Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Deutsche Beamtenbund zielen nicht
       darauf ab, das ganze Land lahmzulegen.
       
       ## Nur ein paar Warnstreiks
       
       Das ändert nichts daran, dass es ärgerlich für Eltern ist, wenn etwa in
       Gütersloh die Kita ihres Kindes bestreikt wird – und sei es auch nur für
       einen Tag. Dass sie sich vor dem Hintergrund der monatelangen
       coronabedingten Kita-Schließungen fragen, ob das Mittel der
       Arbeitsniederlegung in der aktuellen Situation angemessen ist, ist
       nachvollziehbar. [8][Doch den Gewerkschaften] bleibt nicht viel anderes
       übrig.
       
       Von außen betrachtet agieren die Tarifparteien, als würden sie die
       Außergewöhnlichkeit der Coronazeit einfach ignorieren. Der bisherige
       Verlauf ihrer Verhandlungen scheint dem üblichen Ritual zu folgen: Zwei
       Runden wird mit Geplänkel verbracht, erst für die dritte Runde Mitte
       Oktober kündigen die Arbeitgeber ein eigenes Angebot an – und bis dahin
       gibt es halt ein paar Warnstreiks. Aber es ist trotzdem nicht wie immer:
       Verdi hatte vorgeschlagen, die Tarifverhandlungen auf das kommende Jahr zu
       verschieben.
       
       Das hat die Arbeitgeberseite abgelehnt. Der Bund wäre zwar einverstanden
       gewesen, doch die Städte und Gemeinden stellten sich quer. Sie wollen die
       Gelegenheit nutzen, um möglichst billig abzuschließen – und das auch noch
       mit langer Wirkung, weswegen sie eine Tarifvertragslaufzeit von drei
       Jahren oder noch länger fordern.
       
       Die kommunalen Arbeitgeber bauen darauf, dass in der gegenwärtigen
       Situation [9][die Kampffähigkeit der Gewerkschaften] eingeschränkt ist.
       Auch denen selbst ist bewusst, dass angesichts der großen
       Beeinträchtigungen, mit denen die Bürger:innen ohnehin seit dem Frühjahr zu
       kämpfen haben, ein harter Tarifkonflikt nicht führbar ist.
       
       ## Wo bleibt die Solidarität?
       
       Nicht nur in der Gesamtbevölkerung, auch in der eigenen Mitgliedschaft
       herrscht dafür zu große Ermüdung. Ebenso sind sich die
       Arbeitnehmervertreter:innen im Klaren darüber, dass der
       Verteilungsspielraum momentan kein großer ist.
       
       Sie wissen daher nur zu gut, dass der kommende Tarifabschluss aus ihrer
       Sicht bescheiden ausfallen wird. Damit er jedoch nicht katastrophal wird,
       müssen die Gewerkschaften jetzt demonstrieren, dass sie trotz Corona nicht
       völlig wehrlos geworden sind.
       
       Ach, wie schön war doch der [10][Applaus von den Balkonen] für die
       „Coronaheld:innen“! Lang ist’s her. Trotz aller Sonntagsreden werden die
       vielen Pflegekräfte, Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen, Erzieher:innen
       oder auch Müllwerker:innen, die plötzlich als „systemrelevant“ erkannt
       worden sind, auch nach dieser Tarifrunde nicht so viel verdienen, wie sie
       verdient haben.
       
       Aber wer ihnen im Frühjahr und Sommer Beifall gespendet hat, der oder die
       sollte sich jetzt wenigstens nicht über ein paar Warnstreiks aufregen.
       
       23 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.sueddeutsche.de/politik/warnstreik-verdi-kommentar-1.5039074
 (DIR) [2] https://rp-online.de/nrw/panorama/verdi-warnstreik-in-nrw-im-oeffentlichen-dienst-unverantwortlicher-arbeitskampf_aid-53485379
 (DIR) [3] https://www.gea.de/welt/politik_artikel,-%C3%B6ffentlicher-dienst-ein-streik-ohne-augenma%C3%9F-_arid,6325581.html
 (DIR) [4] https://www.wn.de/Kommentar/4279237-Kommentar-zu-Warnstreiks-im-oeffentlichen-Dienst-Muskelspiel-zur-Unzeit
 (DIR) [5] https://www.tagblatt.de/Nachrichten/Zur-falschen-Zeit-472557.html
 (DIR) [6] https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Tarifverhandlungen-in-Zeiten-von-Corona-Bitte-keine-Warnstreiks-id58170171.html
 (DIR) [7] /Tarifverhandlungen-oeffentlicher-Dienst/!5711389
 (DIR) [8] /Gewerkschaften-verhandeln-Gehaelter/!5714889
 (DIR) [9] /Optionszeiten-fuer-Arbeitnehmerinnen/!5676404
 (DIR) [10] /Soziale-Ungerechtigkeit-in-Deutschland/!5675361
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pascal Beucker
       
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