# taz.de -- Ziviler Ungehorsam in Berlin: „Wir können nicht länger warten“
       
       > Wenn die Politik keine sicheren Radwege baut, dann machen wir das selbst,
       > sagen Laila, 24, und Kim, 51, von der Gruppe „Sand im Getriebe Berlin“
       
 (IMG) Bild: AktivistInnen von Sand im Getriebe beim Protest gegen den „Autogipfel“ am 8. September am Kanzleramt
       
       Das Bündnis „Sand im Getriebe“ hat im vergangenen Jahr die internationale
       Automesse IAA in Frankfurt/M. mit zivilem Ungehorsam blockiert. Jetzt wollt
       ihr als „Sand im Getriebe Berlin“ die Verkehrswende nach Berlin tragen –
       warum das? 
       
       Kim: Verkehrswende beginnt im Lokalen: Eine Stadt wie Berlin ist komplett
       vom Autoverkehr dominiert – das können wir nur hier vor Ort ändern: Mit
       Fahrradwegen, mehr Bus- und Bahnverkehr und eben dadurch, dass wir Autos
       systematisch Platz wegnehmen. Das wollen wir mit unseren Aktionen
       erreichen, hier in Berlin.
       
       Laila: Das ist dann nicht nur gut fürs Klima, sondern auch für alle
       Menschen, die hier leben und dem Autolärm, den Abgasen und den Gefahren
       ausgesetzt sind.
       
       Aber Berlin hat doch schon ein Mobilitätsgesetz, Pop-Up-Bikelanes und sogar
       ein Stück autofreie Straße in Mitte... 
       
       Kim: Die Umsetzung des Mobilitätsgesetzes kommt überhaupt nicht voran: In
       elf von zwölf Bezirken tut sich so gut wie nichts – und die PopUp-Radwege
       in Kreuzberg will die AfD uns jetzt mit rechtlichen Tricks wieder
       wegnehmen. Die Klimakrise hat aber jetzt schon schreckliche Ausmaße
       angenommen – da können wir nicht länger warten. Weil die Regierung und die
       Verwaltungen versagen, nehmen wir jetzt die Verkehrswende selbst in die
       Hand.
       
       Laila: Viele Menschen können sich die Stadt ohne Autos einfach gar nicht
       vorstellen. Wir wollen mit kreativen, ungehorsamen Aktionsformen schon mal
       zeigen und erlebbar machen, wie schön Berlin ohne Autos sein kann.
       
       Ist das euer Ziel: eine Stadt ganz ohne Autos? Wie soll das funktionieren? 
       
       Laila: Wir wollen vor allem eine Stadt für Menschen: In der alle sicher von
       A nach B kommen können. Das heißt: mehr Platz fürs Radfahren, zu Fuß gehen
       und für den ÖPNV. Und natürlich keine Autos mehr, klar! Aber das kann nur
       ein erster Schritt sein. Um die Klimakrise zu stoppen, brauchen wir ein
       generelles Verbot von Verbrennungsmotoren und den konsequenten Rückbau der
       Autoindustrie. Das wird nicht leicht, denn die Lobby der kriminellen
       Autoindustrie von VW und Co. ist in Deutschland unglaublich stark. Aber
       spätestens der Dieselskandal hat ja gezeigt, dass es mit diesen
       Konzernmanagern keine Lösung für Klimaschutz geben kann – sondern nur gegen
       sie.
       
       Kim: Auch Elektroautos sind keine Lösung. Wir müssen weg vom motorisierten
       Individualverkehr, der unsere Städte verstopft und die Privilegien der
       Reichen sichert. Wir wollen, dass in der Giga-Factory von Tesla in
       Grünheide nur noch Elektrobusse und -lieferwagen gebaut werden – also, nach
       der Vergesellschaftung natürlich (lacht).
       
       Was für Aktionen habt ihr schon gemacht? Und was sind weitere Pläne? 
       
       Laila: Es gab Aktionen von Sand im Getriebe hier in Berlin, bei denen wir
       nachts Pop-Up-Radwege selbst aufgebaut haben, in Neukölln und im Wedding.
       Das geht wirklich ziemlich einfach – man darf sich nur nicht erwischen
       lassen.
       
       Kim: Weil wir solche ungehorsamen Aktionen hier in Berlin verstetigen
       wollen, haben wir dann vor Kurzem den Gründungsprozess für die Berliner
       Ortsgruppe von Sand im Getriebe gestartet. Unsere erste Aktion war ein
       „Noise Ride“: eine Fahrraddemo gegen den Autogipfel um dagegen zu
       protestierem, wie Kanzlerin Merkel die Autolobby hofiert.
       
       Illegale aufgebaute Radwege verschwinden meist am nächsten Tag wieder – wie
       wollt ihr mit Euren Aktionen langfristig etwas verändern? 
       
       Laila: Mit Beharrlichkeit (lacht). Wenn wir immer wieder Aktionen machen
       und zeigen, wie leicht es gehen kann mit der Verkehrswende, dann können wir
       den Senat und die Bezirke unter Druck setzen. Unser Ziel ist es, lauter und
       nerviger zu sein als die ewiggestrigen Autofans, die die Verkehrswende
       immer noch blockieren.
       
       Kim: Es geht auch um Selbst-Empowerment: Wir wollen zeigen, dass wir keine
       Lust mehr haben, giftige Luft zu atmen und beim Radfahren unser Leben zu
       riskieren. Mit unseren direkten Aktionen zeigen wir: Wenn ihr keine
       sicheren Radwege baut, dann machen wir das selbst. Und wenn ihr denkt, ihr
       könnt weiter mit Eurem Auto die Stadt blockieren, dann nehmen wir Euch den
       Platz dafür weg.
       
       Nun gibt es ja schon viele Fahrrad- und autofrei-Initiativen in Berlin –
       braucht es Euch da überhaupt noch? 
       
       Laila: Es ist toll, dass es so viele Initiativen für Radwege und autofreie
       Kieze gibt – aber den großen Wurf haben die bisher nicht gebracht. Das
       Mobilitätsgesetz war ein guter Ansatz, aber es wird nicht umgesetzt. Jetzt
       sind viele ratlos, weil sie mit Unterschriften und angemeldeten Demos
       allein nicht weiterkommen. Wir gehen da einfach den logischen nächsten
       Schritt: wir leisten zivilen Ungehorsam, um den Druck zu erhöhen.
       
       Kim: Wir haben schon Erfahrung mit Aktionen des zivilen Ungehorsams – mit
       Ende Gelände gegen Kohle oder vergangenes Jahr bei der IAA-Blockade in
       Frankfurt (a.M., Anmerkung der Redaktion). Jetzt zeigen wir in Berlin, wie
       das mit Verkehrswende geht.
       
       Die nächste IAA-Messe findet nächstes Jahr im September in München statt,
       kurz vor der Bundestagswahl – gibt es dazu beim bundesweiten Bündnis von
       „Sand im Getriebe“ schon Pläne? 
       
       Kim: Fast ein bisschen schade, dass die Automesse nicht nach Berlin kommt
       (lacht). Aber klar, dann fahren wir halt nach München. Inmitten der
       Klimakrise noch eine Messe zu veranstalten, bei der Verbrennermotoren
       vergöttert werden und eine kriminelle Klimakiller-Industrie den roten
       Teppich ausgelegt bekommt – das geht wirklich gar nicht!
       
       25 Sep 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lara Eckstein
       
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