# taz.de -- Haushalt der Europäischen Union: Zoff um die Rechtsstaatlichkeit
       
       > Der Streit um den Rechtsstaat in Ländern wie Ungarn oder Polen eskaliert.
       > Das könnte das neue EU-Budget und den Coronahilfsfonds beschädigen.
       
 (IMG) Bild: Tausende Ungarn demonstrieren für Pressefreiheit am 24. Juli in Budapest
       
       BRÜSSEL taz | Aufruhr im Europaparlament, Empörung in der EU-Kommission:
       Der Streit um den Rechtsstaat in Ländern wie Ungarn oder Polen eskaliert
       und droht, auch das neue EU-Budget und den „historischen“ Coronahilfsfonds
       zu beschädigen.
       
       Für den größten Paukenschlag sorgte der ungarische Premierminister Viktor
       Orbán. Er verlangt den Rücktritt der Vizepräsidentin der EU-Kommission,
       Vera Jourova, die für die Grundwerte und den Rechtsstaat zuständig ist.
       
       „Indem die Vizepräsidentin Ungarn eine „kranke Demokratie“ nannte, hat sie
       Ungarn und die ungarischen Menschen beleidigt“, schrieb der rechtsnationale
       Politiker in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
       Diese wies Orbáns Forderung jedoch umgehend zurück. Eine Sprecherin verwies
       am Dienstag in Brüssel darauf, dass Jourova das „vollste Vertrauen“ der
       Kommissionschefin habe.
       
       Doch damit ist der Streit noch nicht beendet. Orbán hat nämlich noch eine
       weitere Front aufgemacht – und mit einem Veto gegen das neue EU-Budget und
       den 750 Milliarden Euro schweren Coronahilfsfonds gedroht.
       
       Auch hier geht es wieder um Demokratie und Rechtsstaat. Am Wochenende hatte
       der deutsche EU-Vorsitz einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der diese
       beiden Themen mit dem künftigen EU-Budget verknüpft. Geld aus dem
       Gemeinschaftshaushalt soll demnach nur fließen, wenn Demokratie und
       Rechtsstaat gewahrt werden. Wer die europäischen Grundwerte verletzt, soll
       dies an der Brieftasche spüren.
       
       Doch der Entwurf des deutschen Ratsvorsitzes ist gegenüber dem
       ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission deutlich abgeschwächt. Kürzungen
       bei den EU-Hilfen wären demnach nur noch möglich, wenn sich Verstöße gegen
       den Rechtsstaat direkt auf die Mittelverwendung auswirken.
       
       Orbán müsste sich das Geld aus Brüssel also unter Umgehung aller EU-Regeln
       selbst in die Tasche stecken und die Justiz daran hindern, einem solchen
       Missbrauch nachzugehen. Ein [1][allgemeiner, schleichender Abbau] von
       [2][Rechtsstaat und Demokratie] fällt hingegen nicht mehr unter den neuen
       Mechanismus. Selbst offensichtliche Interessenskonflikte würden nicht mehr
       erfasst. Zudem wurden die Hürden für Strafen deutlich erhöht.
       
       Bisher war geplant, dass ein Vorschlag für Kürzungen schon dann als
       angenommen gilt, wenn der Ministerrat ihn nicht binnen eines Monats mit
       qualifizierter Mehrheit abweist oder verändert. Nun ist vorgesehen, dass
       über jede Sanktion vor dem Inkrafttreten abgestimmt werden muss – und eine
       qualifizierte Mehrheit notwendig ist. Damit wird es wesentlich schwerer,
       autoritäre EU-Länder abzustrafen. Eine qualifizierte Mehrheit wird nämlich
       nur erreicht, wenn mindestens 15 EU-Staaten zustimmen, die zusammen
       mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen.
       
       ## Unter Hochdruck und wüsten Beschimpfungen
       
       Dem Europaparlament passt die ganze Richtung nicht. Die Bundesregierung sei
       Orbán viel zu weit entgegengekommen, kritisieren Abgeordnete aller
       Fraktionen. Besonders scharf geht der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund mit
       dem deutschen EU-Vorsitz ins Gericht. Die Abgeordneten würden vor die Wahl
       gestellt, entweder zuzustimmen und das Corona-Aufbauprogramm zu retten –
       oder aber für den Rechtsstaat einzutreten. „Aber man kann das eine nicht
       für das andere opfern“, sagte Freund. Der Vorschlag sei „im Grunde eine
       Unverschämtheit“. Ob die Abgeordneten ihre Drohung wahrmachen und das
       EU-Budget ablehnen, ist offen. Die Verhandlungen gehen weiter – unter
       Hochdruck und mit wüsten Beschimpfungen.
       
       29 Sep 2020
       
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       Orbán.