# taz.de -- Regisseurin Eliza Hittman über Abtreibung: „Viele sind noch so ungeformt“
       
       > Die Regisseurin Eliza Hittman hat mit „Niemals Selten Manchmal Immer“
       > einen Film über Abtreibung in den USA gedreht. Sie besetzte ihn mit
       > Laien.
       
 (IMG) Bild: Autum (Sidney Flanigan) in New York, allein
       
       taz: Frau Hittman, [1][Ihr Film „Niemals Selten Manchmal Immer“] erzählt,
       um es knapp zusammenzufassen, von der Abtreibung einer 17-Jährigen. Nur
       wenige Tage vor unserem Gespräch wurde gerade in Florida beschlossen, dass
       Minderjährige dort nicht mehr ohne Zustimmung der Eltern abtreiben dürfen.
       Ahnten Sie, wie aktuell Ihr Film im Jahr 2020 sein würde? 
       
       Eliza Hittman: Um ehrlich zu sein, war das Thema nie nicht aktuell. Die
       erste Idee zu diesem Film hatte ich 2012, ausgelöst durch den [2][Tod von
       Savita Halappanavar in Irland]. Eine junge Frau, die ihr Leben verlor,
       weil ihr im Krankenhaus trotz beginnender Fehlgeburt eine Abtreibung
       verwehrt wurde, aufgrund der irischen Rechtslage. In diesem Zusammenhang
       las ich dann immer mehr Geschichten über junge Irinnen, die das halbe Land
       durch- und die Irische See überquerten, um in London eine Abtreibung
       bekommen zu können – und am gleichen Tag wieder zurückreisten. Das erschien
       mir als Filmstoff höchst relevant, denn von der Not solcher Frauen wurde
       mir im Kino noch nie etwas erzählt.
       
       Nun ist die – inzwischen geänderte – Gesetzeslage in Irland eine sehr
       spezielle gewesen. Letztlich nicht zu vergleichen mit den USA, oder? 
       
       In der Tat habe ich auch anfangs darüber nachgedacht, einen Film zu dem
       Thema in Irland und Großbritannien spielen zu lassen. Aber wer hätte das
       mir, einer amerikanischen Regisseurin, finanziert? Und tatsächlich gab es
       immer schon auch in den USA vergleichbare Geschichten, von Frauen, die aus
       ländlichen Gegenden in eine Großstadt reisen mussten, um abtreiben zu
       können. Zwischenzeitlich war ich dann erst einmal mit meinem Film „Beach
       Rats“ beschäftigt. Aber als Trump 2016 zum Präsidenten gewählt wurde, war
       mir klar: jetzt muss ich diesen Abtreibungsfilm machen. Und alles, was
       seither passiert ist, nicht nur in Florida, hat mir ja leider recht
       gegeben.
       
       Das Recht auf Abtreibung war schon eines der dominierenden Themen der
       Frauenbewegung in den siebziger und achtziger Jahren. Eigentlich kann man
       kaum glauben, dass wir heute immer noch damit beschäftigt sind. 
       
       Genau deswegen wollte ich „Niemals Selten Manchmal Immer“ drehen. Auch um
       daran zu erinnern, dass die Möglichkeit einer Abtreibung eben immer noch
       keine Selbstverständlichkeit ist. Das kann man, wenn man zum Beispiel in
       New York City lebt, durchaus vergessen, denn dort stehen einem ja meist
       alle Möglichkeiten offen. Die Nöte und Sorgen der anderen bekommt man nicht
       immer mit. Doch die gibt es eben auch bei uns, auch im Jahr 2020. Die
       Hürden, mit denen man als Frau in den USA in Sachen
       Fortpflanzungsgesundheit zu tun hat, sind zahlreich. Für eine Abtreibung
       muss eine Frau durchschnittlich mindestens 80 Kilometer fahren. Und jeder
       Bundesstaat hat andere Regeln, was es schwer möglich macht, den Überblick
       zu behalten. Selbst für eine legale Abtreibung stehen einem so viele
       Hindernisse im Weg, dass diese nicht selten entmutigend wirken. Genau davon
       wollte ich erzählen.
       
       Ist es der Thematik wegen schwierig gewesen, „Niemals Selten Manchmal
       Immer“ überhaupt umsetzen zu können? 
       
       Ich machte mir keine Illusionen, dass es schwer werden würde. Es ist ja
       nie leicht, eine unabhängige Produktion auf die Beine zu stellen, denn wo
       auch immer man einen Geldtopf auftut, gehört der zu jemandem, der
       Befindlichkeiten hat. Bei vielen Fonds und Firmen, bei denen wir
       anklopften, bekamen wir zu hören, dass die Ölindustrie dahinterstecke – und
       die habe kein Interesse an einem Projekt wie unserem. Man denkt immer,
       Hollywood sei diese liberale Blase. Aber das Geld, von dem die
       Filmindustrie lebt, kommt im Gegenteil nicht selten von konservativen
       Entscheidungsträgern. Dazu kam als Schwierigkeit, dass es heutzutage viele
       Vorbehalte gegen sogenannte Themenfilme gibt. Auch wenn ich meine eigene
       Arbeit so natürlich nie bezeichnen würde, sondern denke, dass ich einen
       sehr menschlichen Film gedreht habe rund um gesellschaftliche
       Schwierigkeiten, mit denen man jenseits der oberen 1 Prozent zu tun hat.
       
       Ihre Filme leben selten von den Dialogen, das Unausgesprochene ist meist
       viel wichtiger. Gleichzeitig arbeiten Sie viel mit jungen, unerfahrenen
       Schauspieler*innen. Ist das bisweilen kompliziert? 
       
       Nicht für mich, nein. Viele Leute denken, es sei beim Drehbuchschreiben
       wichtig, die Geschichte möglichst über Dialoge zu vermitteln, doch das hat
       mich noch nie interessiert. Das fühlt sich für mich immer an wie Fernsehen.
       Kino ist für mich ein viel visuelleres Medium, da spielen Mimik, Verhalten
       und Blicke eine viel größere Rolle. Wenn ich schreibe, nehme ich immer eher
       Dialogsätze weg, als dass ich neue hinzufüge, denn Gefühlszustände lassen
       sich auch gut über das transportieren, was nicht gesagt wird.
       
       Und das kriegen Laien auf Anhieb hin? 
       
       Man muss sich natürlich Mühe geben beim Casting. Mit der Besetzung steht
       und fällt ein Film wie „Niemals Selten Manchmal Immer“. Entsprechend
       sorgfältig muss man sein, gerade wenn man junge Menschen castet. Viele sind
       noch so ungeformt und tragen so wenig Lebensgeschichte in sich, dass sie
       manchmal zu glatt wirken. Deswegen muss man Glück haben und jemanden finden
       wie Sidney Flanigan, die optisch nicht zu unkompliziert ist und bereits
       eine innere Welt in sich trägt, die man durch die Kamera sehen kann.
       
       Wie haben Sie Ihre Hauptdarstellerin gefunden? 
       
       Kennen gelernt habe ich sie schon 2013, in einem privaten Kontext. Danach
       waren wir Facebook-Freunde, aber sie hat mir auf eine erste Nachricht nie
       geantwortet. Als wir das Casting für „Niemals Selten Manchmal Immer“
       machten, war sie immer mein Maßstab, wenn ich mir junge Mädchen ansah. Als
       der Drehbeginn immer näher rückte, habe ich mein Glück bei Sidney noch mal
       versucht. Dieses Mal reagierte sie, las das Drehbuch und wir skypten. Aber
       ich musste sie schon sehr überreden.
       
       Weil sie angesichts der Thematik Berührungsängste hatte? 
       
       Nein, weil sie sich selbst einfach nicht als Schauspielerin sah. Sie
       interessierte sich eher für Musik. Immerhin, denn so hatte sie schon etwas
       Bühnenerfahrung und ich konnte ihr die Arbeit vor der Kamera durch den
       Performance-Aspekt schmackhaft machen.
       
       Im Film brechen die von Flanigan gespielte Autumn und ihre Cousine (Talia
       Ryder) gemeinsam nach New York auf und verbringen letztlich mehrere Tage
       dort, ohne Unterkunft oder viel Geld. Das wirkt oft sehr gefährlich, aber
       Sie lassen ihnen nichts zustoßen. 
       
       Nein, weil das einfach nicht der Punkt war. Natürlich hätten sie ausgeraubt
       werden können oder Schlimmeres. Aber ich wollte ja von der Abtreibung und
       ihren emotionalen Konsequenzen erzählen, da brauchte ich keine Ablenkungen
       anderer Art. Atmosphärisch sollte all das immer in der Luft liegen, aber
       auf der tatsächlichen Handlungsebene hätte mich das gestört.
       
       Dies ist Ihr dritter Spielfilm und zum dritten Mal beschäftigen Sie sich
       mit Minderjährigen. Finden Sie Teenager als Protagonist*innen spannender
       als Erwachsene? 
       
       Das würde ich so nicht formulieren. Aber die Jugend ist schon ein sehr
       faszinierender Lebensabschnitt. Was wir als junge Menschen erleben, formt
       unsere Identität schließlich auf einschneidende Weise. Selten steht man auf
       seinem Lebensweg an so vielen schwierigen Kreuzungen. Und ist so
       verletzlich. Wobei ich denke, dass „Niemals Selten Manchmal Immer“ fürs
       Erste mein letzter Film über Teenager war. Nicht dass ich schon wüsste, was
       als Nächstes kommt. Aber drei reichen erst einmal.
       
       1 Oct 2020
       
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