# taz.de -- Essen und Trinken in der Ostschweiz: Der Geschmack von Heu und Heimweh
       
       > Wie schmeckt ein Bergdorf? Das fragt sich unter Autor bei einer Wanderung
       > durch Graubünden. Er findet Craftbier, Bündnerfleisch und
       > Wachteleierlikör.
       
 (IMG) Bild: Alte Häuser, dunkles Holz: Alltag in Vals
       
       Das ist verrückt. Ich wandere auf den Bergen rund ums Valser Tal in
       Graubünden und mir kommt der Titel eines DDR-Films in den Sinn: „Ein irrer
       Duft von frischem Heu“, eine Defa-Komödie von 1977, in der sich Bauer und
       Pfarrer zoffen und eben Heu eine (erotisierende) Rolle spielt. Hier oben,
       rund 2.000 Meter hoch, also über der Baumgrenze, wird Anfang September Heu
       gemacht. Und das riecht so irre gut.
       
       Auf steilen, satten Wiesen kommt ein Mann ins Bild, der Heu zusammenrecht.
       Wie idyllisch! Und wie irreführend: Ein paar Wanderschritte weiter ist eine
       Frau beim Heumachen zu hören: Mit einem Bläser pustet sie trockenes Heu
       zusammen. Und dann kommt schon ein Erntefahrzeug ins Bild, das Heu wird
       maschinell aufgenommen. Als Kind hab ich gern an frischen Heu geschnuppert
       – und darauf herumgekaut. Schmeckte, nun na ja, wie Heu.
       
       Wie schmeckt ein Bergdorf? Dieser Frage will ich in Vals nachgehen, einem
       Ort mit rund 1.000 Einwohnern im Kanton Graubünden in der Ostschweiz, 1.252
       Meter über dem Meer. Vals bildet die walserdeutsche Sprachinsel, ringsum in
       den Tälern wird mehrheitlich Rätoromanisch gesprochen. Vor rund 700 Jahren
       waren deutschsprachige Walliser hier eingewandert.
       
       Dieses Bergdorf schmeckt nach Kindheit. Der Wanderweg vom Zervreilastausee
       mit Blick aufs schneebedeckte Zervreilahorn führt nicht nur an Alpweiden
       vorbei, sondern auch durch ein Hochmoor, dort wachsen neben Heidekraut und
       Zwergwacholder auch Heidelbeeren in rauen Mengen. Die habe ich zuletzt als
       Kind gepflückt. Sie schmecken himmlisch – so wie früher.
       
       ## Bernsteinfarbenes im Glas
       
       Und nach dem Wandern ein kühles Bier! Auf exakt 1.807 Metern gelegen,
       bezeichnet sich das Bergrestaurant Gadastatt als „höchstgelegene
       Craftbeerbrauerei der Schweiz“. Das Bier schmeckt herb und frisch, ist
       ungefiltert und „kupferfarben“, wie der Bierbrauer sagt. Mich erinnert die
       Farbe eher an Bernstein. Ulf Heinemann ist auch der Koch des Hauses und
       stammt aus Jena in Thüringen. Es hat ihn 2013 nach Vals verschlagen, das
       Handwerk hatte er noch zu DDR-Zeiten in einer volkseigenen Brauerei in
       Rudolstadt, Thüringen, gelernt.
       
       „Das sehr weiche Gebirgswasser kommt aus der eigenen Quelle“, sagt er:
       „Hopfen und Malz beziehen wir aus der Schweiz.“ Erst seit vergangenem Jahr
       wird gebraut, zweimal die Woche, die kleine Anlage schafft 60 Liter pro
       Braugang. „Das ist nicht viel und schon nach einem halben Tag
       ausgetrunken.“ Zum Bier passt ein zünftiges „Plättli“ mit Alpenkäse,
       Schinken und dem hier allgegenwärtigen Bündnerfleisch – luftgetrocknetes,
       gepökeltes Rindfleisch, das, in dünnsten Scheiben serviert, eine leichte
       Wildnote hat.
       
       Am Abend nach der Wanderung spielt Heu auch eine kulinarische Rolle. Beim
       Essen im Hotel gibt es „Valser Bergheusuppe mit Capuns“. Das Heu stamme von
       der Alp Bidanätsch oberhalb des Dorfes und sei frisch, versichert die
       Kellnerin. Es liegt auf dem Teller als Dekoration und soll in der Suppe
       stecken. „Für die Heusuppe wird ein Fond vom Heu gekocht“, erklärt der
       Hotelchef das Rezept. Gemischt mit einer „klassischen Crèmesuppe“ schwimmt
       darin ein Capuns, eine Graubündner Spezialität: ein kleines rundes Ding aus
       einer Art Spätzleteig, mit Bündnerfleisch angereichert, von Mangold
       umwickelt und einfach köstlich.
       
       Okay, Bündnerfleisch in Graubünden ist allgegenwärtig. Auch in der Bündner
       Gerstensuppe, einem weiteren traditionellen Gericht. Aber die habe ich
       nicht gegessen, weil ich keine Graupen mag.
       
       ## Süßes aus Wachteleiern
       
       So ein Bergdorf kann aber auch süß schmecken, das merke ich auf dem kleinen
       Wochenmarkt, der hier den Sommer über immer samstags auf dem Dorfplatz
       stattfindet. Stefan Stoffel hat hier einen Stand und bietet
       Wachteleierlikör an, er hält japanische Legewachteln und sagt, dass so ein
       Miniei „gesünder als ein Hühnerei“ sei, das läge am „relativ hohen Gehalt
       an B-Vitaminen und Eisen“.
       
       Nun, das schmeckt man [1][dem Eierlikör] nicht an, dafür seine Frische,
       außerdem ist er heller als Fabrikware und dünnflüssiger. Für einen halben
       Liter braucht Stoffel Eidotter von dreizehn Wachteleiern. Und weil bei der
       Produktion allerhand Eiweiß übrigbleibt, wird das zu Meringues verarbeitet,
       die hier Baiser genannt werden.
       
       Nicht ganz so süß wie ein Baiser mundet das selbstgemachte Thymiangelee,
       dass Monika Schmid auf dem Sommerwochenmarkt verkauft. Aus dem Thymian,
       dessen wilder Vertreter hier in den Bergen wächst, stellt sie einen Absud
       her, der dann mit Gelierzucker aufgekocht wird. So macht Schmid das auch
       mit Löwenzahn. „Man darf aber nur die gelben Blüten nehmen“, verrät sie,
       „und muss deren grüne Blütenhülle abzupfen, sonst wird alles bitter.“ Und
       am Stand vis-à-vis ist Valser Bergblüten- und Alpenrosenhonig im Angebot.
       Geschmack, der von den Bergen rings ums Dorf kommt. Lokaler geht es nicht.
       
       ## Bitteres aus dem Kräutergarten
       
       Das ist auch der Ansatz von Claudia Vieli, die mit drei Mitstreiterinnen
       seit 2016 einen Kräutergarten in Vals betreibt, in dem Heilkräuter und alte
       Gemüsesorten wachsen, wie etwa „Bodenkohlrabi“ – gemeint sind Steckrüben.
       Trotz Umzäunung ist der Garten für die Allgemeinheit zugänglich. „Bei uns
       ist alles Handarbeit“, sagt Vieli und lädt zu einer Verkostung ein.
       
       Der Aufguss aus Feldstiefmütterchen riecht etwas nach Spinat, schmeckt aber
       eher erdig und soll entzündungshemmend wirken. Quendel, der wilde
       Feldthymian, riecht und mundet halt wie Thymiantee. Das zum Abschluss
       kredenzte Wermutkraut haut mich von den Socken: So etwas Bitteres aber
       auch! Ein Geschmack, der zwar sehr gesund ist, aber verdammt lange
       nachwirkt.
       
       Da hilft nur „spülen“ mit einer Kräuterteemischung aus Agastache, einer
       Duftnessel, Spitzwegerich, Erdbeerblättern und Wundklee; sie trägt den
       schönen Namen „Valser Heimwehtee“. Für solche Fälle habe ich eine Packung
       mit nach Hause genommen. Damit ich mich auch in Berlin daran erinnern kann,
       wie ein Bergdorf schmeckt.
       
       Transparenzhinweis: Die Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus,
       Graubünden Ferien und Visit Vals.
       
       17 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Hergeth
       
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